© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Schäffler auf dem Vormarsch
FDP: Der Mitgliederentscheid über den ständigen Euro-Rettungsschirm ESM geht in die entscheidende Phase
Hinrich Rohbohm

Die Veranstaltung hat einen klaren Sieger: Frank Schäffler. Es sind viele, die Beifall klatschen, als der 42 Jahre alte Bundestagsabgeordnete sein Plädoyer gegen die Einrichtung des ständigen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (siehe Seite 10) beendet hat. Knapp 70 Besucher sind in den Stadtverordnetensaal von Marburg gekommen, um die Pro- und Contra-Argumente zum ESM zu hören.

Schäfflers Kontrahent auf dem Podium: Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Solms hat an diesem Sonntagnachmittag keinen leichten Stand. Er muß die Position der Parteiführung verteidigen, Antrag B. Kein leichtes Unterfangen. Zumal er sich in der Analyse der Euro-Krise mit Schäffler einig ist. „Meine große Sorge ist, daß wir mit der Annahme von Antrag A als Partei und als Bundestagsfraktion stark geschwächt werden“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT.

Die Sorge ist nicht unberechtigt. Zahlreiche Informationsveranstaltungen zum Mitgliederentscheid haben die Stimmung zum Kippen gebracht. Auf dem wenige Wochen zuvor abgehaltenen Bundesparteitag in Frankfurt waren sich nicht wenige Delegierte noch darüber einig, daß sich der Bundesvorstand durchsetzen werde. Zwei Drittel zu ein Drittel, 70 zu 30 Prozent, 80 zu 20 lauteten die Prognosen zugunsten von Antrag B. Derlei Aussagen sind inzwischen verstummt. Und während die Funktionäre der Liberalen auf ihrem Parteitag noch mit großer Mehrheit gegen den Mitgliederentscheid wetterten und sich in ihren Reden in vorauseilendem Gehorsam zumeist dem Votum ihrer Parteiführung fügten, spricht man an der Basis mittlerweile eine vollkommen andere Sprache.

Auch im hessischen Marburg ist die Stimmung bei den Mitgliedern eindeutig für Frank Schäffler. Und damit für den Antrag A. Schäffler punktet auch hier. Wie bereits bei so vielen Info-Veranstaltungen zum Mitgliederentscheid in den letzten Tagen. Kaum einer im Saal will für Antrag B stimmen. „Ich sehe eine Diskrepanz zwischen Basis und Funktionären in unserer Partei“, sagt Schäffler, der sich gegenüber der JF optimistisch zeigt, daß sein Antrag erfolgreich sein wird. „Ich rechne mit 60 zu 40 Prozent für uns“, sagt er.

Sorge bereite ihm hingegen das Quorum. Mehr als 21.000 Mitglieder müssen sich an der Wahl beteiligen. Derzeit haben jedoch erst 14.000 Liberale ihre Stimme abgegeben. Bis Mitte nächster Woche haben die Mitglieder noch Zeit. Probleme gibt es da etwa mit einer Erklärung, mit der das Mitglied versichert, den Stimmzettel persönlich ausgefüllt zu haben. Nicht alle sollen ihn mit ausgefüllt haben. Im Mitgliedermagazin der FDP ist er am Anfang des Heftes abgedruckt. Der Stimmzettel findet sich hingegen erst am Ende des Magazins. Was für Verwirrung sorgt. Auch bei der Wahlwerbung ist es ein ungleiches Kräftemessen. Während der Parteivorstand mit Hochglanzflugblättern und E-Post-Anschreiben versucht, die Mitglieder für ihren Antrag zu überzeugen, gesteht sie das den Initiatoren um Frank Schäffler nicht zu.

Der sieht in seiner Initiative eine Chance für die FDP. Antrag A mache Druck auf die Union, die Koalition werde deshalb nicht gleich zerbrechen. „Ich gehe davon aus, daß sich die Kanzlerin auch in einem solchen Fall als besonders flexibel erweist“, sagt Schäffler der JF. Seine Forderung: Griechenland muß aus der Euro-Zone raus. „Sonst werden wir von den Nehmerländern erpreßt“. In der Analyse der Euro-Krise ist er sich mit Solms einig. Nicht Spekulanten, sondern die Politiker seien Ursache der Euro-Krise, da sie laufend mehr Geld ausgeben als einnehmen. „Die Spekulanten sind die Nutznießer, nicht die Auslöser der Krise“, sagt Solms, der wie Schäffler einen Eingriff der Europäischen Zentralbank (EZB) eigentlich für falsch hält.

Allerdings sei genau dies als „kurzfristige Maßnahme“ unausweichlich. „Sonst brechen die Märkte zusammen“, warnt Solms. Man habe nicht die Zeit, dem Markt die Krise zu überlassen, argumentiert er. Im Saal wird es unruhig. „Konkursverschleppung“, rufen einige hämisch. Und meinen damit eigentlich nicht Solms, sondern die Koalition und die FDP-Spitze. Auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Gisela Babel meldet sich mit Kritik an der Parteispitze zu Wort. „Der Antrag B gehört in ein Poesie-Album. Der soll uns die Illusion geben, wir hätten es damit geschafft.“

Auch beim FDP-Ortsverband im brandenburgischen Eberswalde kann Schäffler überzeugen. „Die jüngere Generation wird bei uns überwiegend für Antrag A stimmen“, sagt Martin Hoeck, FDP-Ratsherr und Vorsitzender im Ausschuß für Bildung, Jugend und Sport. Auch FDP-Ortsvorsitzender Stephan Fischer wird für den Schäffler-Antrag stimmen. „Insgesamt schätze ich aber in unserem Verband die Stimmung auf 70 zu 30 Prozent zugunsten der Position des Bundesvorstandes ein“, sagt er der JF.

Unterdessen sieht Schäffler mit der Annahme des ESM nicht nur die Existenz der FDP gefährdet, sondern sogar die Gefahr einer Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft. Wie zum Beweis dafür zitiert er einen Satz des einstigen Kommunistenführers Lenin: „Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muß man ihr Geldwesen verwüsten“.

Foto: Streitgespräch zum FDP-Mitgliederentscheid: Das Quorum bereitet den Initiatoren Sorge

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