© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Hamstert!
Im Ernstfall kann der Staat nur wenige Tage die Lebensmittelversorgung aufrechterhalten
Christian Schwiesselmann

Es ist äußerst ratsam, stets einen Nahrungsmittelvorrat für einen Zeitraum von 14 Tagen im Haus zu haben.“ Dieser Satz stammt nicht aus einem Überlebensbuch zivilisatorischer Aussteiger oder aus jenen zahlreichen Weltuntergangsratgebern, die seit der Finanz- und Währungskrise florieren. Der Staat selbst möchte seine Bürger ermuntern, einen privaten Notvorrat an Lebensmitteln für Krisenzeiten anzulegen.

Insgesamt 2.200 Kilokalorien pro Tag empfiehlt „Vater Staat“ für den Grundbedarf auf der Internetseite www.ernaehrungsvorsorge.de, die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz betrieben wird. Eine Vorratstabelle gibt Auskunft darüber, wie ein Speiseplan im Katastrophenfall aussehen könnte. Mehl, Zucker, Salz, Honig, Marmelade, Kakaopulver, Schokolade, aber auch Fertiggerichte (Tütensuppen), Instantbrühe, Hartkekse und Salzstangen ergänzen die Speisekammer auf ideale Weise.

„Beachten Sie bei Ihrer Planung jedoch auch, daß mit bestimmten Notfallsituationen bisweilen auch ein Stromausfall verbunden sein kann“, mahnen die ministeriellen Verbraucherschützer. Kühlschränke und Tiefkühlpizza sind also tabu. Auf der Internetseite befindet sich ein Vorratskalkulator, der es gewissenhaften Bürgern ermöglicht, den Notvorrat eines Mehrpersonenhaushalts für bis zu 28 Tage rechnerisch genau zu bestimmen. Zudem erhalten sie Empfehlungen und Tips, wie man Lebensmittel optimal konservieren und lagern kann. „Neue Vorräte immer nach hinten bzw. unten stellen. Zunächst ältere Ware verbrauchen“ – längst versunkenes Hausfrauenwissen, geborgen durch eine obere Bundesbehörde. Für die private Ernährungsvorsorge spricht vor allem der Zweifel an der Zulänglichkeit staatlicher Vorratshaltung. Obwohl zur öffentlichen Daseinsvorsorge gesetzlich verpflichtet, kann der Staat keine „Vollversorgung“ von 80 Millionen Menschen garantieren. Statt dessen wollen die Technokraten aus dem Ernährungsministerium Versorgungsengpässe nur kurzfristig überbrücken.

Wie ein Hamster hat der Staat mit der zivilen Notfallreserve und der Bundesreserve Getreide zwei Nahrungsspeicher angelegt. Einerseits soll die Bevölkerung in den Ballungszentren mit Reis, Hülsenfrüchten (Erben und Linsen), Kondensmilch und Vollmilchpulver versorgt werden, andererseits Brotgetreide und Hafer zur Verfügung stehen, wenn der Ernstfall eintritt. Die rechtlichen Grundlagen dafür stammen zum Teil aus dem Kalten Krieg, als die Bundesrepublik einen sowjetischen Atomschlag beziehungsweise einen Angriff der Warschauer-Pakt-Armeen befürchtete. Heute erwartet das Ministerium andere Gefahrenlagen wie Naturkatastrophen, technische Unfälle oder Terrorakte.

Je nach Produkt, Umfang der Tagesration und Anzahl der zu versorgenden Personen reiche die Staatsreserve „zwischen wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen“, meinen die staatlichen Ernährungsvorsorger. Der Historiker Karl J. J. Gschwendtner zweifelt an der Stichhaltigkeit dieser Prognosen: „Aufgrund der ausgefeilten Logistik könnten bereits geringfügige Störungen das ganze Versorgungssystem zum Kollabieren bringen.“ Geschwendtner rechnet mit Engpässen wegen der heutig üblichen Just-in-time-Produktion. Im günstigsten Fall reiche die staatliche Notversorgung für zehn bis vierzehn Tage, dann sei Schluß.

Foto: Den Sommer ins Glas bannen: Obst und Gemüse wie früher einzukochen, könnte in Krisenzeiten überlebenswichtig sein

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