© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Eine todernste Machtfrage
Ein Jahr nach Sarrazin – Meinungsfreiheit in Deutschland: Eine Tagung des Instituts für Staatspolitik
Michael Kreuzberg

Am 26. November lud das „Institut für Staatspolitik“ zum 19. Mal zum „Berliner Kolleg“. Die Tagung zum Thema „Ein Jahr nach Sarrazin – Meinungsfreiheit in Deutschland“ zog rund 180 Teilnehmer an, die beinah die Kapazitäten des Hörsaals im AVZ Logenhaus erschöpften. Das ist freilich eine vergleichsweise geringe Zahl, worin sich bereits ein dem Thema immanentes Dilemma andeutet. Daß eine kleine oppositionelle Institution wie das von Erik Lehnert geleitete Bildungswerk zur Zeit nicht mehr Interessenten gewinnen kann, spiegelt eine gesamtgesellschaftliche Situation.

Dieser Umstand wurde gleich in dem ersten Vortrag des Historikers Karlheinz Weißmann deutlich, der jeglichen idealistischen Vorstellungen von Meinungsfreiheit, oder konkreter: Meinungsäußerungsfreiheit, eine desillusionierende Absage erteilte. Denn diese sei stets abhängig von einem bedeutenden Machtfaktor der Moderne, der da heißt „öffentliche Meinung“. Diese entsteht nun bekanntermaßen nicht durch den spontanen, rationalen Entschluß der Summe der Individuen einer Gesellschaft, sondern ist etwas durchaus Gemachtes und Gesteuertes. Die „Torhüter“ und Produzenten der erwünschten Meinung sind in der Regel jene entschlossene Minderheit, die über die stärksten finanziellen und organisatorischen Mittel verfügt. Eine ihrer stärksten Waffen ist der Druck auf die „soziale Haut“ der Menschen, die Grundvoraussetzung für das Entstehen der „Schweigepirale“ (Elisabeth Noelle-Neumann). Diese kann sich soweit verschärfen, daß die Äußerung einer abweichenden Meinung zum erheblichen Risiko für den einzelnen werden kann. Die Gefahr der sozialen Ausgrenzung kann sich zur existentiellen Bedrohung auswachsen, ihr Gebrauch wird mitunter zum asozialen Akt, den sich nur wenige leisten können.

Mit dem Verweis auf den amerikanischen Medientheoretiker Walter Lippmann legte Weißmann eine Spur, die sich wie ein roter Faden durch die Referate der Tagung ziehen sollte: Lippmann war nicht nur der Autor des einflußreichen Buches „Die öffentliche Meinung“ (1922), sondern als einer der wesentlichen Architekten der „Re-Education“ der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg auch erfolgreicher Praktiker seiner Thesen.

Dieser Zusammenhang ist nicht nebensächlich. In der Tat lassen sich sämtliche heutigen Meinungstabus in ihrer Wurzel auf die „Umerziehungs“-Prämissen der Nachkriegszeit zurückführen. Verkürzt gesagt, dienen sie letzten Endes der Beschränkung, langfristig gar der Delegitimierung und Auflösung des nationalen Eigeninteresses.

Wie sich dies in der offiziellen Geschichtspolitik der Bundesrepublik niederschlägt, demonstrierten die beiden an Weißmann anschließenden Referenten. Günter Bertram thematisierte die juristisch fragwürdige Ausweitung und Auslegung des „Volksverhetzungsparagraphen“ 130 Strafgesetzbuch (StGB). Hier ist zu beobachten, wie die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit zunehmend politisch eingefärbt und nach „rechts“ beschnitten werden. Dies wird zum Teil mit dem Argument begründet, das Verbot der Billigung des Nationalsozialismus sei auch ohne explizite Ausformulierung „verfassungsimmanent“. Derlei Vorstellungen führen zu einer deutlichen Parteilichkeit der Verfassungsschutzbehörden und anderer staatlicher Institutionen.

Dies verdeutlichte auch der Historiker Stefan Scheil am Beispiel der Unterdrückung, Zensur und Ächtung der sogenannten „Präventivkriegsthese“, also der wissenschaftlichen Auffassung, daß der deutsche Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 einer geplanten sowjetischen Offensive zuvorgekommen sei. Diese wird von der Bundeszentrale für politische Bildung offiziös als „rechtsextremes Vorurteil“ diffamiert. Ihren Vertretern werden grobe Geschichts- und Zitatfälschungen unterstellt, während in der Tat eher das Gegenteil der Fall ist, wie Scheil anhand eines einschlägigen Buches des Direktors am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Potsdam, Rolf-Dieter Müller, nachwies. Obwohl gerade die „Präventivkriegsthese“ schlüssig begründbar ist, wird sie in Deutschland hinter einem Drahtverhau von DDR-artigen Phrasen gehalten. Hier kann man sich auch als Laie sehr rasch davon überzeugen, daß die bundesrepublikanische Geschichtsschreibung tendenziös politischen Interessen dient, wobei auch hier die Wurzeln in der alliierten Besatzungspolitik in Ost und West zu suchen sind.

Die Tagung schloß mit einem furiosen Referat des Soziologen und Internet-Bloggers Manfred Kleine-Hartlage (korrektheiten.com), Autor der islamkritischen Studie „Das Dschihad-System“. Kleine-Hartlage konstatierte einen „kalten Krieg“ gegen die Meinungsfreiheit, die einst ein bevorzugter Kampfbegriff der Linken und Liberalen war, die mit deren gesellschaftlich-politischem Siegeszug jedoch fast vollständig auf die konservative Seite gewechselt sei. Dieser „kalte Krieg“ richte sich in letzter Instanz gegen das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes an sich, dessen Souveränität zunehmend ausgehebelt werde. Dies sei aber nicht weniger als Hochverrat, entsprechend dem Königsmord in der Monarchie. Verräterische Begriffe wie „Extremismus der Mitte“ zeigen, wie die Meinungsmacher und die von ihnen gestützten Eliten dem Willen der Mehrheit des Volkes feindlich gegenüberstehen. Sie haben quasi die Rolle der Besatzer und Umerzieher eingenommen, die ihnen von den Siegern von 1945 übertragen wurde.

In diesem Zusammenhang muß auch die Politik der Masseneinwanderung und -einbürgerung gesehen werden: Frei nach Bertolt Brecht ist der deutsche Staat momentan dabei, sich einfach ein neues Volk zu wählen. Kleine-Hartlages polemische Frage, ob die Merkels und Schäubles inzwischen nicht selbst die größten Verfassungsfeinde seien, deren Politik das „Widerstandsrecht“ gegen die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gemäß Artikel 20, Absatz 4 GG rechtfertige, stieß auf lebhaften Applaus der Zuhörer.

Damit schloß sich der Kreis zu Karlheinz Weißmanns Referat am Beginn der Veranstaltung: Die Frage nach der Meinungsfreiheit ist zuallererst eine Machtfrage, die todernst ist. Denn auch in der Bundesrepublik verstehen die Herrschenden keinen Spaß, wenn ihre Macht in Frage gestellt wird.

Foto: Meinungsfreiheit in Deutschland: Die Gefahr der sozialen Ausgrenzung kann sich zur existenziellen Bedrohung auswachsen

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