© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Pankraz,
der V-Mann und die Agents provocateurs

Wer die Tat eines anderen provoziert, um ihn beim Versuch zu überführen, kann nicht wegen Anstiftung zu dieser Haupttat bestraft werden, weil ihm der erforderliche doppelt bezogene Anstiftervorsatz fehlt, insbesondere hinsichtlich des Taterfolgs.“ Diese einigermaßen kryptische Auskunft aus dem deutschen Strafrecht deutet Pankraz so, daß der genannte Provokateur nur dann straflos bleiben kann, wenn er sich nicht zum Komplizen der Tat selber macht. Er muß im Augenblick des Tatbeginns seine Karten offen auf den Tisch legen, nur so wird er nicht zum Anstifter und Mittäter.

Das Bundesverfassungsgericht war einst anderer Meinung, als es im Jahre 2003 die Klage eines italienischen Geschäftsmanns abwies, den ein sogenannter V-Mann der Strafverfolgungsbehörde übel hereingelegt hatte. Als lieber Geschäftsfreund getarnt, bat ihn dieser um die Lieferung einer bestimmten Droge, doch der Italiener weigerte sich, versicherte vehement, er habe nie etwas „mit solchen Sachen“ zu tun gehabt. Der V-Mann aber bat nochmals und nochmals – schließlich wurde der Angeflehte weich und brachte mit Ach und Krach die Lieferung zustande. Er bekam vier Jahre, der V-Mann blieb unbehelligt.

Zwar räumte das nun angerufene Bundesverfassungsgericht ein, daß der Italiener sich nur aus reiner Gefälligkeit für den „Geschäftsfreund“ abgestrampelt habe, aber der Tatbestand sei nun einmal gegeben, Punktum. Über den V-Mann kein Wort. Der Fall liegt inzwischen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der sich in einem ähnlichen Fall schon einmal eindeutig und geradezu zornig gegen das „um sich greifende Undercover-Unwesen in Deutschland“ ausgesprochen hatte. Man darf gespannt sein.

Es könne nicht angehen, hieß es damals, daß V-Leute ihre Überwachungsopfer systematisch zu kriminellen Handlungen provozierten und manchmal erst dadurch straffällig machten. Sie dürften zwar in ein der Kriminalität verdächtiges Milieu eindringen, um es zu beobachten, doch von sich aus ein kriminelles Milieu schaffen und fördern dürften sie nicht. Zwischen V-Mann einerseits und Agent provocateur andererseits verlaufe eine klare Trennlinie. Ein Menschenrecht auf Nichtbespitzeltwerden gebe es nicht, wohl aber ein Menschenrecht auf Nicht-zu-einer-Straftat-genötigt-Werden.

Braver Menschenrechts-Gerichtshof! Nur klaffen auch hier, wie so oft, Sein und Sollen kraß auseinander. Ein V-Mann, der schon beim ersten Kriminalfall „seines“ Milieus Alarm geben würde, wäre ja sofort „verbrannt“ und für weitere Einsätze unbrauchbar. Er muß vielmehr bei vielen Schandtaten aktiv mitmachen, um in der Hierarchie des Milieus kontinuierlich aufzusteigen. Besonders für „ideologische Delikte“ gilt das. Der Agent provocateur ist dazu da, das Milieu in solchen Fällen mit verbotenem Vokabular regelrecht aufzuladen, die Rhetorik bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzuschärfen und zu bestialisieren.

Jedes Gefühl für Ethik und Qualität ist bei Agents provocateurs dispensiert. Ihre Romantisierung als „Undercover-Spezialisten“ in Romanen und Fernsehspielen ist von vorn bis hinten verlogen. Agents provocateurs dürfen von der übelsten (un)moralischen Sorte sein; je übler, um so willkommener. Hoch gefragt bei der Rekrutierung sind alle möglichen „Abenteurer“, seelisch labile Wichtigtuer und trostlose Nachtschattengewächse, die nichts Ordentliches mit sich anzufangen wissen.

Kaum glauben möchte man hingegen, daß es unter ihnen auch „Idealisten“ gibt, hochanständige Sicherheits- und Geheimdienstbeamte also, die bei ihrer Lockspitzelei „nur ihren Dienst verrichten“, und zwar immer contre coeur und mit schlechtem Gewissen. Nach jeder gelungenen Tatanstiftung haben sie nichts Eiligeres zu tun, als zum Beichtvater zu laufen. Kommt so etwas wirklich vor? In der schönen Literatur erfährt man davon nichts.

Stattdessen hält die Wirklichkeit eine ganz andere Konstellation bereit: die Schizophrenie nämlich, die Seelenspaltung via Arbeitsplatz. In erster Linie altgediente Agents provocateurs in ideologiegeschwängerten Milieus werden davon befallen. Ihre langjährige Vertrautheit mit dem ursprünglichen Feindmilieu und ihre schwer erarbeitete Prominenz darin läßt sie jede dortige ideologische Kehre mitvollziehen, sie werden allmählich zu richtigen Meistern der Fremdlogik und bilden am Ende sogar Heimatgefühle für sie aus, teilen ihre innere Loyalität zwischen ihrem Arbeitgeber und ihrem zu bekämpfenden Feind regelrecht auf.

Berühmte Beispiele gibt es dafür. Am berühmtesten der Fall des Roman Malinowski, dem Alexander Solschenizyn in seinem „Archipel Gulag“ ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Er war Beamter der Ochrana, der Geheimpolizei des Zaren im vorrevolutionären Rußland, und wurde von dieser als V-Mann in Lenins bolschewikische Dumafraktion eingeschleust. Dort war er so erfolgreich, daß er bald zum zweiten Mann gleich hinter Lenin aufstieg. Nach dem bolschewikischen Oktoberputsch 1917 kam alles heraus, und Malinowski wurde erschossen.

Alles, was er im Leninschen Exekutivkomitee und in der Duma vorbrachte, war vorher mit der Ochrana sorgfältig abgesprochen. Die Ochrana hatte durch ihn einen außerordentlichen Einfluß auf die Entscheidungen der Leninisten, konnte sie im Bedarfsfall fast beliebig ins Messer laufen lassen. Andererseits war sie ihrerseits von Malinowski abhängig, und der provozierte, wie Solschenizyn dargelegt hat, „mit Lust sowohl Putschisten wie Ochrana“.

Hinter die „Lust“, die die Sache Malinowski gemacht habe, möchte Pankraz ein Fragezeichen setzen. Der Mann trug jahrelang auf zwei Schultern – und wußte am Ende gar nicht mehr, wem er eigentlich diente, dem Lenin oder dem Zaren. Er war wohl eher unglücklich. Er war der erfolgreichste Undercover-Agent, der je gelebt hat, aber an ihm zeigte sich voll die ganze Hybris dieses monströsen Berufszweigs.

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