© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Fahrplan für den Ausstieg
Euro-Krise: Ein Austritt aus der Währungsunion ist möglich / Nord-Euro realistischer als D-Mark / Einmalige Kosten statt Dauertransfer
Dirk Meyer

Einer Emnid-Umfrage zufolge wünschen sich die Hälfte der Bundesbürger die D-Mark zurück. Aber wie realistisch ist ein Ausstieg aus der Europäischen Währungsunion (EWU) und die Einführung einer Neuen Deutschen Mark (NDM)? Die Geschichte gescheiterter Währungsunionen weist auf die Gefahren eines Zerfalls der politischen Union hin. Mit einem deutschen Ausscheiden wäre ein Austrittswettlauf weiterer Länder wahrscheinlich. Der deutsch-französische Motor der EU-Integration würde auseinanderbrechen. Selbst die Errungenschaften des freien Binnenmarktes ständen durch Handelssanktionen in Frage.

Dennoch ist die EWU gescheitert. Als Auto ohne die Stoßdämpfer flexibler Wechselkurse 1999 gestartet, sind die Schlaglöcher mangels ökonomischer und fiskalischer Integration tiefer geworden. Der Achsbruch mag durch weitere Hilfen notdürftig geflickt werden. Die permanenten Transfers werden jedoch kontraproduktiv versinken. Die Eingriffe in die Souveränitätsrechte der unterstützten Staaten und die Rettungslasten der noch funktionsfähigen Volkswirtschaften werden die EU-Bürger gegeneinander aufbringen. Bereits jetzt fühlen sich die Nicht-Euro-Staaten wie Großbritannien ausgegrenzt. Eine EWU-Neuordnung erscheint unabwendbar, will die Politik ein chaotisches Zusammenbrechen der Euro-Zone vermeiden.

Wie sähe der Fahrplan eines geordneten Ausstiegs aus? Um Deutschland aus der moralischen Schußlinie zu nehmen, müßte die Initiative aus den Niederlanden oder Finnland kommen. Im Verbund mit Deutschland und Österreich könnte ein Nord-Euro (Nordo) auch für Dänemark und Tschechien attraktiv sein. Die Ankündigung wäre mit einem nahen Austrittszeitpunkt zu verbinden, um unerwünschten Kapitalbewegungen entgegenzuwirken und Verhandlungsdruck gegenüber den verbleibenden Euro-Mitgliedern zu erzeugen. Zugleich müßte ein Ausstieg aus den Verträgen zur Griechenlandhilfe und zum Rettungsfonds EFSF angekündigt werden.

Als erster Schritt müßte eine Rückübertragung der an die EU abgetretenen Währungssouveränität auf die ausscheidenden Staaten erfolgen. Da ein ordentliches Vertragsänderungsverfahren einen sehr zeitaufwendigen Rückbau der Währungsunion im Konsens aller Mitgliedstaaten erfordert (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 EUV), wären Wege anzustreben, die lediglich einen kurzfristig zu erzielenden Beschluß des Europäischen Rates benötigen.

Die Ermächtigung zu einer nationalen gesetzlichen Regelung (Art. 2 Abs. 1 AEUV) sowie die Annullierung des Euro-Ratsbeschlusses und eine Änderung der Euro-Einführungsverordnung wären außergewöhnliche, aber vertragskonforme Wege, die der Rat kurzfristig beschließen könnte. Erst nach diesem Prozedere kann der austretende Euro-Staat seine wiedererlangte Währungssouveränität in einem nationalen Währungsgesetz ausführen. Der Bundestag müßte sodann die Übertragung der Währungssouveränität (Art. 88 GG) zur Einführung eines Nordo auf eine „Nord­europäische Zentralbank“ beschließen. Durch ein Euro-Beendigungsgesetz würde die Eigenschaft des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel für das Gebiet der Bundesrepublik aufgehoben und durch den Nordo ersetzt werden. Die drei Lesungen, die erforderliche Abstimmung im Bundesrat, die Gegenzeichnung durch den Bundespräsidenten und die Verkündung im Bundesanzeiger beanspruchen mindestens sechs Tage.

Bei entsprechender Vorbereitung dieses Plans B würde der Zeitbedarf für die vertraglich, parlamentarisch und rechtsstaatlich korrekte Abwicklung mindestens zwei Wochen beanspruchen. Dieser Zeitbedarf ist jedoch zu hoch, um antizipative Kapitalbewegungen aufgrund der Aufwertungserwartung und den Zustrom von „gebietsfremden“ Euro aus den Krisenstaaten auszuschließen. Überlegenswert wäre deshalb die Einführung zeitlich begrenzter Kapitalverkehrs- und Grenzkontrollen, die im Ausnahmefall durch die Binnenmarktregeln gedeckt wären. Im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft mit gleichzeitig aufrechterhaltenem freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr hätten sie jedoch nur begrenzte Wirkungen.

Die Bundesregierung müßte die nächsten beiden Tage als Bankfeiertage festlegen, an denen die Geldinstitute die Umstellung der Konten und des Zahlungsverkehrs vornehmen. Da das Nordo-Bargeld kurzfristig nicht verfügbar ist, lassen sich die Geldvermögensbestände (Bargeld und Kontokorrent) lediglich registrieren. Dabei könnte das Buchgeld sofort zum gesetzlich festgelegten Umtauschkurs in die Nordwährung transformiert werden. Sodann könnte man die vorgelegten Euro-Banknoten mit magnetischer Tinte fälschungssicher stempeln, um nur sie späterhin als zum Umtausch berechtigt auszuweisen. Damit verkörpern die gestempelten Euro-Noten bereits Nordo zum gesetzlichen Umtauschkurs. Mit Öffnung der Banken würde der Wechselkurs des Nordo gegenüber dem Euro bereits aufwerten, entweder frei am Markt mit geschätzten 15 bis 25 Prozent oder aber mit einer festgelegten Rate von vielleicht zehn Prozent. Deshalb wird man mit dem gestempelten Euroschein mehr Waren erwerben können als mit dem Original.

Innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten könnten Bundesregierung und Bundesbank mit der Europäischen Zentralbank (EZB) die Austrittskonditionen aus der EWU aushandeln. Diese betreffen zum einen die Rückführung der Euro-Banknoten und im Gegenzug die Freigabe der deutschen Währungsreserven. Zum anderen wäre die Beteiligung Deutschlands an den möglichen Verlusten der EZB durch die Anleiheankäufe und weitere Leihgeschäfte an das Bankensystem der Krisenländer zu klären.

Durch den rechnerischen Anteil von 27 Prozent könnte dies den Steuerzahler bei Zahlungsausfällen und einem Währungsschnitt von 50 Prozent bis zu 90 Milliarden Euro kosten. Darüber hinaus muß Deutschland bestrebt sein, aus den Verträgen zur Griechenlandhilfe und der EFSF auszusteigen, notfalls durch ein permanentes Veto bei zukünftigen Hilfeanträgen. Die bereits ausgesprochenen Kredithilfen und Zusagen von 75 Milliarden Euro belasten die Bundesrepublik bei Insolvenz dieser Staaten mit etwa zehn Milliarden Euro.

Wegen des langen Zeitbedarfs für das Design, die fälschungssicheren Entwürfe sowie die Produktion und die Auslieferung der Banknoten ist mit der Einführung des Nordo-Bargeldes frühestens in 12 bis 18 Monaten zu rechnen. Eine technisch-konzeptionelle Anlehnung an die alte Euro-Währung hätte neben einem Zeit- und Kostenvorteil vor allem auch einen Erfahrungs- und Akzeptanzvorteil. Während bei einer Neukonzeption die Leseköpfe der Prüfgeräte der Automaten in einem ein- bis eineinhalbjährigen Arbeitsprozeß entwickelt und ausgetauscht werden müßten, reicht im anderen Fall eine nur mehrere Tage bis Wochen dauernde Software-Umstellung. Bei der Euro-Einführung beliefen sich die Kosten der Umstellung in der Bundesrepublik auf etwa 20 Milliarden Euro. Davon entfielen auf die Bundesbank für die 4,3 Milliarden Euro-Banknoten und 17 Milliarden Euro-Münzen im Wert von 150 Milliarden Euro Druck- und Prägekosten von 1,9 Milliarden Euro.

Welche realwirtschaftlichen Konsequenzen hätte ein Ausstieg? Wurden exportintensive Branchen bislang durch reale Abwertungseffekte innerhalb des Euro-Raumes begünstigt, so drohen infolge einer aufwertenden Währung zumindest kurzfristig Überkapazitäten. Ausfuhrabhängige Unternehmen könnten bei der Rückzahlung ihrer Kredite gegenüber heimischen Banken in Schwierigkeiten geraten. Während der Kredit auf den Nordo umgestellt wird, refinanzieren sich die Firmen über ihre Exporte mit einem abgewerteten Euro.

Bei einer differenzierten Betrachtung relativieren sich diese vermeintlichen Negativeffekte allerdings erheblich. Durchschnittlich beinhalten deutsche Exporte etwa 40 Prozent Vorleistungsimporte. Vorteile durch sinkende Einkaufspreise erfahren etwa der Automobilbau oder energieintensive Produktionen. Konsumenten kommen in den Genuß günstigerer Importgüter. Die Produktvielfalt und die reale Kaufkraft steigen. Der Wettbewerbsdruck der Importkonkurrenz auf inländische Produzenten hinsichtlich innovativer und kostengünstiger Produkte wächst.

Des weiteren spiegeln sich die Exportüberschüsse Deutschlands in den teilweise erheblichen Importüberschüssen gerade der mediterranen Krisenstaaten wider. Damit einher geht eine Gläubigerposition Deutschlands, deren Erfüllung durch die Schuldnerstaaten nicht gewährleistet ist. Bei einem Ausfall der Forderungen wären die Exportüberschüsse verschenkt. Ein Rückgang dieses Außenbeitrages kann für zusätzliche inländische Investitionen genutzt werden. Statt in den griechischen Konsum fließen die Ersparnisse in profitable Investitionen in Deutschland und erhöhen hier die Beschäftigung (JF 38/11).

Aufwertungen des Nordo würden die in Euro nominierten Auslandsschulden entwerten und den überschuldeten Staaten die Tilgung erleichtern. Diese Lastenverteilung würde zugleich die Notwendigkeit staatlicher oder privater Zwangsrekapitalisierungen des Bankensektors mindern. Bei einem Nettoauslandsvermögen Deutschlands von 950 Milliarden Euro käme es per Saldo zu einem Vermögensverlust von 140 bis 240 Milliarden Euro, der insbesondere institutionelle Anleger treffen würde. Eine schrittweise Aufwertung würde diese Effekte abmildern. In einem Euro-Beendigungsgesetz könnte der Finanzminister zudem eine Klausel unterbringen, die die Staatsschulden weiterhin in Euro beläßt. Ob dieser enteignungsgleiche Schuldenschnitt jedoch politisch durchsetzbar ist, bleibt fraglich. Allerdings könnte eine eskalierende EU-Schuldenkrise neben Vermögensabgaben hierzu zwingen, um den deutschen Staat zukünftig handlungsfähig zu belassen.

Die Lasten eines Austritts durch Umstellungskosten, EZB-Abschreibungen, eingegangene Rettungsverpflichtungen sowie Vermögensverluste auf Auslandsanlagen summieren sich auf 250 bis 350 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa 10 bis 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Sie sind das Lehrgeld für die Anmaßung einer Klasse von „Euro-philen“ Politikern, die glauben, ökonomische Wahrheiten mißachten zu können. Diese Ausstiegskosten fallen nur einmalig an. Die Alternativkosten einer dauerhaften Transferunion würden sich hingegen auf jährlich etwa 60 bis 80 Milliarden Euro summieren. Nicht die Gesinnungsethik „Rettung des Euro um jeden Preis“, sondern die Verantwortungsethik „Schadensbegrenzung und Wiederaufbau des Europäischen Hauses“ sollte Leitlinie sein.

 

Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Volkswirtschaft an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

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