© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Wir selbst
Mehr als Kraut und Rüben: Über die Vorzüge eigener Herstellung gegenüber der Nahrung aus dem Discounter. Ein Erfahrungsbericht.
Ellen Kositza

Morgens um Viertel vor sechs klingelt kein Wecker. Unsere fünf Hähne sind unzuverlässige Gesellen, der eigene Rhythmus läßt mich aufstehen. Auch weil es rund fünfzehn Stunden dauern wird, bis es wieder annähernd ruhig ist im Haus, genieße ich die stille halbe Stunde.

Es ist kühl im Haus. Der neue Küchenofen, den wir letztes Jahr aus den Steinen des alten haben setzen lassen, strahlt zwar rasch nach dem Anfeuern Wärme ab, er hält die Glut aber nicht über Nacht. Bald wird es so kalt sein, daß das obere, ofenlose Kinderzimmer mit den uralten Fenstern Minusgrade hat. Dann müssen zwei Kinder bis April runterziehen, um sich zu viert ein Zimmer im Hauskern zu teilen. Dort sind die Fenster neu und die Lehmwände einen Meter dick. Unsere Kinder sind ziemlich unempfindlich gegen Kälte und sehr selten krank. Wir sind noch im November in die Unstrut gesprungen: Gezwungen wird keiner, aber es herrscht ein gewisser Gruppendruck.

Im Dunkeln und im Nachthemd (um so wärmer wirkt gleich die Küche!) hole ich Tee aus dem Garten. Die Rosenbüsche haben noch reichlich Hagebutten, auch die Pfefferminze und die Brennessel hat der Frost noch nicht restlos erledigt. Am besten, wie leicht geräuchert, schmecken die Himbeerblätter. Für den Jahresvorrat bis zum nächsten Frühsommer hat die älteste Tochter insgesamt zehn Teesorten getrocknet. Als wir vor zehn Jahren unser Rittergut bezogen, hing der Dachboden voller Bindfäden mit skelettierten Pflanzenteilen, das brachte uns rasch auf diese Idee, die weder Geld noch nennenswerte Zeit kostet.

Ist der Tee aufgegossen, schneide ich Brote. Seit fünfzehn Jahren gibt es nur Selbstgebackenes aus selbstgemahlenem Korn mit in Eigenregie geführtem Sauerteig. Zweimal pro Woche backe ich zwei große Laibe. Außer Weizen und Roggen, den wir günstig von einem Ökobauern aus einem nahen Dorf kaufen, kommen reichlich Kräuter hinein und eventuell Speisereste vom Vortag, wie Möhren, Sauerkraut, Kartoffeln oder zwei Teller Kürbissuppe, die übrig waren. Die erste Zeit war die Bäckerei für mich recht aufwendig (und das Resultat bescheiden), heute laufen Sauerteigführung und die kurze Kneterei wie nebenbei.

Während ich Marmeladenbrote (Quitte und Brombeere gab’s dieses Jahr reichlich) schmiere, kommt der Mann in die Küche und feuert den Ofen an. Danach geht er raus und versorgt die Tiere. Dieses Jahr hatten wir rund vierzig Enten, fünfzehn Hühner, drei Gänse, einen Hund und zwei Kätzchen, die sich vor allem in den Ställen aufhalten und nach Kräften versuchen, uns die Mäuse vom Leib zu halten. Gelegentlich müssen wir dem Geflügel Futtergetreide kaufen, im besten Fall läuft es so: Der Gastwirt am Ort stellt uns Essensreste der vergangenen Woche oder von der Feier am Wochenende in Eimern vor die Tür; Nudelsalat und Brötchen, die sonst in den Müll wandern würden, reichlich Eierschalen, Gurkenreste, Hack.

Im Sommer hat mein Mann meterweise gutes, altes Holz von einer Abrißscheune im Nachbarort abgetragen. Aus einem Teil hat er zwei neue Gehege für unsere Entenkükenflut errichtet. Die mächtigen Balken hat er einem Bauern vorbeigebracht – im Tausch gegen ein paar Zentner Erbsenschrot und Hafer. Mit dem Kleinholz werden derzeit die Öfen beheizt. Kohle kaufen wir hinzu. Gegen den Rat des Schornsteinfegers („keiner heizt heut’ mehr mit Einzelöfen!“) haben wir keinen der Zimmeröfen zumauern lassen, eine kombinierte Öl-/Feststoff-Zentralheizung haben wir trotzdem eingebaut; ein Fehler. 18 Räume, dachten wir damals, wie soll man die sonst bewohnbar halten, Kinder dort zur Welt bringen, arbeiten? Vor zehn Jahren tankten wir den Liter Heizöl für 33 Cent, heute sind es 82. Derzeit verweigern wir uns dem Nachtanken, zumal die Scheune voller Holz ist und die Sonnenkollektoren – fürs Auge unsichtbar in einem Dachwinkel – noch mithelfen. Auch die Badeöfen hatten wir leider abgeschafft, gerade bauen wir einen davon wieder ein.

Um sieben Uhr ist der größte Teil der Kinder aus dem Haus, es wird langsam warm, auch in den Büroräumen bollert der Ofen. Die Sekretärin schürt ein, sie hat das zu DDR-Zeiten als Kind gelernt und kann es wesentlich besser als ich.

Ich beschicke eine Waschmaschine mit gefiltertem Regenwasser und schaue, was zu Mittag gekocht werden soll. Muß Brot gebacken werden, wird es mit einem Ofengericht kombiniert (am liebsten: Ofenkartoffeln, Hirseauflauf oder Mangoldpizza), ansonsten wird ebenfalls die Speisekammer rekrutiert: Was Kürbis, Mohrrüben, Rote Beete, Schwarzwurzel und Bohnen angeht, sollte der Vorrat bis März vorhalten. Eine Gefriertruhe haben wir nicht, wir haben einen Teil der Ernte sauer eingelegt und vieles – etwa 60 Gläser Kirschen, Rote Grütze und Apfelmus – eingekocht. Etwa 250 Liter Apfelsaft (das Obst haben wir mit der ganzen Familie in der Umgebung gesammelt, genau wie Kirschen, liegengebliebenen Mais und Futterkartoffeln) haben wir selbst gekeltert und abgefüllt. Gurken, Zucchini und Tomaten sind schon zur Neige gegangen, ein Großteil des Salats ist leider in Geflügelmägen verschwunden. Wenn die Kinder Eier holen, werden die Gattertore manchmal nicht sorgfältig verschlossen …

Seit Oktober gibt es wieder Fleisch, das Sommerhalbjahr über haben wir es gern entbehrt. Da war es uns auch unvorstellbar, diese süßen kleinen Küken oder die treuherzigen halbwüchsigen Enten und Gänse je zu verspeisen! Es fügt sich, daß unsere Türkenenten zu plumpen, giftig fauchenden (Weibchen) oder potthäßlichen (Männchen) Exemplaren herangewachsen sind. Unsere Kinder rufen sie dann nicht mehr beim Namen, und selbst wenn, folgen die schwerfälligen Tiere nicht mehr. Wir haben uns vor Jahren zeigen lassen, wie man sie schlachtet und ohne Verluste (Vorsicht mit der Galle!) ausnimmt. Jeden Sonntag kommt nun ein Braten auf den Tisch. Das freut auch den Hund, der sich ansonsten eher von tierfreien Resten ernährt. Hühner schlachten wir selten; nur wenn sie uralt sind oder bei eklatantem Hahnüberschuß – also demnächst. Unter anderem halten wir eine alte, kaum noch gängige Rasse, das – kein Witz – „Deutsche Reichshuhn“ in den Farben Schwarz-Weiß-Rot. Es sind große, charakterlich eher spröde Tiere, die gleichzeitig gut legen und Fleisch ansetzen. Unser Lieblingshuhn allerdings ist eine schwarze Italienerin. Ihre treulose Mutter – ein Wunder, wenn ein modernes Huhn überhaupt einmal brütet – hatte die Brut nach dem Schlüpfen im Stich gelassen. Eines überlebte, ich habe es mit eigener Körperwärme (unter der Bluse) und mit Ei sowie geraspelten Karotten großgezogen. Die dunkle Lilly ist nun selbst ein Mutterhuhn, ihr Herz gehört meinem Mann. Sie sitzt gern auf seiner Schulter, wenn er umgräbt oder einen Baum beschneidet, und gibt abends ohne persönliche Verabschiedung keine Ruhe.

Nein, als Selbstversorger würden wir uns nicht bezeichnen. Sämtliche Milchprodukte kaufen wir. Ein Ziegenstall ist zwar längst samt Tränke und Trog errichtet, genau wie wir seit langem theoretische Imker sind. Immer wenn wir loslegen wollten mit der Milch- und der Honigwirtschaft, haben wir nochmals abgewogen und uns lieber nicht überlastet. Auch ansonsten machen wir aus unserer Leidenschaft für die Teil-Autarkie keine allzu strenge Wissenschaft. Unser Wein ist spanischen Ursprungs, der Kaffee gar außereuropäisch. Versuche mit eigenen Rebstöcken der Sorte „Hölder“ (nach Hölderlin), Eicheln und Gerstenmalz zwecks Kaffee-Ersatz haben wir genauso fallengelassen wie das Stricken von wollenen Überziehhosen für die Kleinsten, das Herstellen von Seife und Waschmittel und die Nudelproduktion. Wir würden dergleichen auch dann nicht wieder aufnehmen, wenn mehr Zeit wäre. Wir wollen nicht nur gesund leben, sondern vor allem gern. Es besteht schließlich ein gewichtiger Unterschied zwischen „Talent“ und „Neigung“. Der Gedanke, den grundsätzlichen und täglichen Bedarf mit eigener Hände Kraft herzustellen, ist uns sympathisch. Und er leuchtet aus ethischen Erwägungen ein; die Kategorie des „rechten Maßes“ rückt dadurch näher.

Nachdem wir 2002 unser Rittergut mit damals 2.500 Quadratmetern Land (mittlerweile haben wir aufgestockt) erworben hatten, waren wir bemüht, möglichst viel selbst zu bewerkstelligen. Weniger finanzielle Erwägungen (die Mühe rechnet sich tatsächlich nicht) als ein gewisser Ehrgeiz und diffuse romantische Vorstellungen beflügelten uns.

Talentiert waren wir nicht; woher auch, als ausgebildete Kopfarbeiter und bis dato ohne handwerkliche Leidenschaften? Dennoch – wir rodeten, mauerten, schliffen zwanzig Türen ab, ein paar Fenster, die uns gefielen (den Nachwende-Unrat rissen wir heraus), knieten quadratmeterweise über einem Dutzend Zimmerböden, die in Schichten von PVC, Dachpappe und Lack zu befreien waren, wir mischten Lehm zum Verputzen der Wände an, kalkten Decken, rührten aus Quark und Öl Firnis. An einigen Stellen sieht man noch heute, daß hier Laien (fast immer mit einem Säugling auf dem Rücken) am Werk waren, positiv gewendet: man spürt die Mühe und Kraft dahinter. Mittlerweile singen wir häufiger ein Loblied auf die arbeitsteilige Gesellschaft und bezahlen dann Fachkräfte, wenn wir sicher sind, daß sie die Arbeit schneller und besser erledigen können. Schön ist, daß einige unserer Kinder mittlerweile groß sind, gern mithelfen und sogar ihre eigenen kleinen „Manufakturen“ betreiben.

 

Ellen Kositza, geboren 1973, zog vor neun Jahren aus der Metropolregion Frankfurt am Main in die sachsen-anhaltinische Provinz. Sie ist Mutter von sieben Kindern und seit 2008 Redakteurin der Zeitschrift Sezession.

 

Lesefutter für künftige Selbstversorger

Wer Interesse am weitgehend autarken Leben auf der eigenen Scholle hat, der findet jenseits des Atlantiks jede Menge Anregungen und Erfahrungen, denn in Amerika ist die Szene der Selbstversorger traditionell und zahlenmäßig stärker verankert als in Europa.

Für alle, die es nicht bei romantischer Schwärmerei belassen, sondern in die Praxis einsteigen wollen, bietet das Buch „Die tätige Landlust“ detaillierte handwerkliche Anleitungen für Haus und Garten. 150 Autoren haben am amerikanischen Original mitgerarbeitet, das in der übersetzten Fassung an die deutschen Verhältnisse angepaßt wurde.

Als Einleitung in das Thema bietet sich „Das Handbuch der Selbstversorgung“ für diejenigen Leser an, die zunächst an einem ersten Überblick interessiert sind.

„Selbstversorgung ist nicht die Rückkehr zu einer idealisierten Vergangenheit, sie ist ein Vorstoß zu einer neuen und besseren Lebensweise“, lautete das Motto von John Seymour. Der 2004 verstorbene Landwirt und Autor gilt als einer der Pioniere der Szene, dessen „Buch vom Leben auf dem Lande“ in zahlreichen Auflagen ein echter Verkaufsschlager wurde. Seymour schildert darin, wie eine Familie auf einem Anwesen ab einer Größe von 2.500 Quadratmetern (ein Morgen) alles zum Leben Notwendige produzieren kann.

Steht heute bei einigen Autoren die Idee im Vordergrund, sich mit der Selbstversorgung wirtschaftlich unabhängiger zu machen (siehe das Interview auf Seite 3) und somit „krisenfest“ leben zu können, war es in den siebziger Jahren vor allem der ökologische Aspekt – also der Gedanke, durch die biologisch-dynamische Methode zum Beispiel gesündere Lebensmittel zu produzieren.

Stellvertretend für diese Richtung steht „Gärtnern, Ackern – ohne Gift“, ein Klassiker des nachhaltigen Wirtschaftens im eigenen Garten.

John und Martha Storey: Die tätige Landlust. Ein Praxisbuch des einfachen Lebens. Manuscriptum Verlag 2011, gebunden, 553 Seiten, 39,80 Euro

John Seymour: Das neue Buch vom Leben auf dem Lande. Dorling Kindersley Verlag 2010, gebunden, 411 Seiten, 24,95 Euro

Alwin Seifert: Gärtnern, Ackern – ohne Gift. C. H. Beck Verlag 2008, broschiert, 217 Seiten, 12,95 Euro

Marion und Michael Grandt: Das Handbuch der Selbstversorgung. Überleben in der Krise. Kopp Verlag 2010, gebunden, 307 Seiten, 19,95 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen