© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Der Reserve-Charismatiker
Thorsten Hinz

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat im amerikanischen Exil eine Grundsatzentscheidung getroffen: Zumindest äußerlich will er nicht mehr als der kleine Bruder von Bild-Chef Kai Diekmann gelten. Darum keine nach hinten gegelten Haar mehr, die die Stirn freilegen und das Gesicht zur Kampfansage an das Gegenüber stilisieren: „Guckst Du, was?“ Die Haare fallen ihm jetzt weich in die Stirn, und mit der Brille hat er auch den falschen intellektuellen Anspruch abgelegt, dem Ratschlag von Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner folgend: „Scheiß auf den Doktor!“

Im Herzen aber ist er der selbstverliebte und arrogante Jüngling geblieben, als den wir ihn kannten. Im großen Zeit-Interview weist er den Betrugsvorwurf mit einer bestechenden Logik zurück: So blöd kann doch niemand sein, zu glauben, daß ein kluges Bürschchen wie ich einen vorsätzlichen Betrug so dilettantisch begehen würde! Womit der Schwarze Peter beim kleinlichen Kritiker landet.

In Wahrheit war Karl Theodor niemals ganz entschwunden. Die Springer-Presse hat uns zuverlässig auf dem Laufenden gehalten, wie er in Übersee angeblich als bedeutender Staatsmann hofiert wurde. Die transatlantischen Seilschaften haben zuviel in ihren Zögling investiert, um ihn wegen eines läppischen Plagiats einfach fallenzulassen. Und tatsächlich hat der Guttenberg-Coup bis zur Plagiatsaffäre ja auch fabelhaft geklappt. Zur umsichtig inszenierten Rückkehr in die Politik gehört nun, daß Guttenberg sie nicht unmittelbar via Bild und Welt, sondern gemeinsam mit dem Chefredakteur der Zeit betreibt, die innerhalb der Pluralismus-Simulation das liberale Gegenstück zur Springer-Presse gibt, aber genauso transatlantisch gesinnt und vernetzt ist. So wird ein gleichsam überparteiliches Angebot ausgesandt: Dieser Gutti ist für alle! Passend dazu wurde das Ermittlungsverfahren wegen Betrugs eingestellt.

Die Herablassung gegenüber den CSU-Freunden, die Betonung seiner materiellen Unabhängigkeit und die kryptischen Äußerungen über die Gründung einer neuen Partei schließt an die ätzende Kritik am Parteienstaat an, die Altbundespräsident Richard von Weizsäcker – auch er ein aristokratischer Liebling des Volkes – vor 20 Jahren gleichfalls in der Zeit geäußert hatte. Guttenberg und seine Hintermänner aber geht es um mehr. Der schuldenfinanzierte Sozialstaat kollabiert europaweit, und wenn der Volkssturm auf die Bankenschalter einsetzt, wird die alte Parteienoligarchie sowieso hinweggespült. Dann wird der Ruf nach charismatischer Herrschaft ertönen, und was heute als Ausweis von Guttenbergs Arroganz erscheint, wird ihm dann als Zeichen persönlicher Souveränität gutgeschrieben. Wir erleben gerade als Echtzeit-Kino, wie ein Reserve-Charismatiker in Stellung gebracht wird. Als erstes Merkmal einer möglichen neuen Partei hebt er – ganz transatlantisch – das „klare Bekenntnis zu Israel“ hervor. Also: Selbst wenn neue Kulissen auf die Bühne geschoben werden sollten – Gutti garantiert, daß dahinter alles beim alten bleibt.

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