© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Der Kampf geht weiter
Stuttgart 21: Die Bahnhofsgegner geben nicht auf
Kurt Zach

Wunder gibt es nicht, schon gar nicht in der Politik. Obwohl Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf ein solches hoffte, kassierte seine Partei bei der Volksabstimmung über den Ausstieg aus dem Bahnprojekt „Stuttgart 21“ eine krachende Niederlage: 41,2 Prozent der Bürger stimmten für den Ausstieg, 58,8 Prozent für den Weiterbau (Kommentar Seite 2). Auch das hohe Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten, das im Falle des Erfolgs der Abstimmung Voraussetzung für die Gültigkeit gewesen wäre, wurde deutlich verfehlt: Bei einer Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent unterstützten absolut nur 19,8 Prozent aller Stimmbürger das Ausstiegsgesetz. Während die Union feiert und der Koalitionspartner SPD sich gestärkt fühlt, haben aber auch die Grünen jetzt die Hände frei, um das Land ideologisch umzukrempeln.

Besonders bitter für die Projektgegner: Nicht einmal in der Landeshauptstadt Stuttgart konnten sie eine Mehrheit erringen. Entschieden wurde die Abstimmung im bevölkerungsstarken Stuttgarter Umland, das sich Vorteile von dem Bahnprojekt verspricht; den höchsten Befürworteranteil verzeichnete Ulm mit 77 Prozent. Unklar ist, wie viele Stimmen irrtümlich abgegeben wurden: Weil dem Volksentscheid ein im Landtag durchgefallenes „Ausstiegsgesetz“ zugrunde lag, mußten die Bahnhofsbefürworter mit „Nein“ und die Gegner mit „Ja“ abstimmen. Mehrheiten für den Ausstieg gab es nur in den Grünen-Hochburgen: der Stuttgarter Innenstadt, den grün regierten Universitätsstädten Tübingen und Freiburg, in Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim sowie in Südbaden, wo allerdings eher traditionell antizentralistische Affekte und die Sorge um eine Vernachlässigung des Ausbaus der Rheintalstrecke den Ausschlag gaben.

Während den Grünen die Grenzen ihres Potentials aufgezeigt wurden, war der Abstimmungsausgang vor allem ein Mobilisierungserfolg für die CDU, ohne die die Projektbefürworter flächendeckend kaum präsent gewesen wären. Entsprechend triumphal ist die Stimmung in der Partei, die nach wie vor die stärkste Landtagsfraktion stellt und sich der baldigen Rückkehr an die Macht wieder näher sieht. Von einer „Paradeschlacht“ schwärmte die unionsnahe Welt. Jetzt sollten die Grünen die radikalen Bahnhofsgegner „von den Bäumen holen“, trumpfte der Landesvorsitzende Thomas Strobl auf.

Dieser Teil ihrer Klientel wird den Grünen noch einiges Kopfzerbrechen bereiten, besonders wenn im Januar die Bagger rollen. Ministerpräsident Kretschmann hatte schon vor der Abstimmung vorausschauend angekündigt, er werde das Votum respektieren und das Baurecht der Bahn durchsetzen. Als an Recht und Gesetz gebundenes Verfassungsorgan bleibt der Landesregierung auch gar nichts anderes übrig.

Selbst der grüne Verkehrsminister Winfried Herrmann, dem das als langjährigem Projektgegner zweifellos schwerer fiel als seinem Regierungschef, gab ein entsprechendes Bekenntnis ab und trotzt vorerst allen Rücktrittsforderungen. Für das Gros der Demonstranten ist das Thema, dessen viele Bürger ohnehin schon überdrüssig waren, nach dem Volksentscheid zwar erledigt; der harte Kern ist aber unbeeindruckt von Kretschmanns Interpretation des Votums als befriedenden „Sieg der Demokratie“ und will weitermachen. Mancher klammert sich an die – angesichts der Entschlossenheit der Bahn und der Logik öffentlicher Bauprojekte mehr als vage – Hoffnung, eine Kostenexplosion könnte das Projekt doch noch scheitern lassen. Die zurückgetretene Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, verweist auf gestärkte – linke – „Netzwerke“, und auch die Ökokommunisten im Gemeinderat und die militanten sogenannten „Parkschützer“ wollen ihren „Widerstand“ auch mit als „ziviler Ungehorsam“ verharmlosten Rechtsbrüchen wie Baustellenblockaden und Parkbaum-Besetzungen fortführen.

Der Ausbruch des Tübinger Grünen-OBs Boris Palmer am Wahlabend, der angesichts des CDU-Jubels offen mit Ausschreitungen der Projektgegner drohte, war nicht geeignet, Zweifel an der Distanz der Grünen zu Krawall-Demonstranten zu zerstreuen. Palmers Karrierepläne sind an jenem Sonntag geplatzt: Er hatte mit einer relativen Mehrheit für den Ausstieg gerechnet und wollte in diesem Fall, anders als Kretschmann, die Proteste als einer ihrer Wortführer fortsetzen und so für die Grünen, die dank „Stuttgart 21“ bereits stärkste Fraktion im Gemeinderat sind, auch noch den Sessel des Oberbürgermeisters erobern. Die Niederlage bringt die Grünen, die eigentlich nach dem Volksentscheid ihren Kandidaten für die OB-Wahl 2012 präsentieren wollten, in Verlegenheit, auch der Freiburger Grünen-OB Dieter Salomon hat bereits abgewunken. Auf Seiten der Union fürchtet man dagegen, Wolfgang Schuster könne als „dienstältester Projektbefürworter“ nach seinem persönlichen Abstimmungserfolg trotz Unpopularität in den eigenen Reihen doch noch einmal antreten wollen.

Lachender Dritter ist die SPD, die als Juniorpartner in der Landesregierung von Anfang an für die Realisierung des Bahnprojekts stand. Erleichtert kann aber auch Ministerpräsident Kretschmann sein, dem der Souverän den Bruch seines angesichts der Rechtslage von Anfang an unehrlichen Wahlversprechens, „Stuttgart 21“ zu verhindern, abgenommen hat. „Wahllügen haben kurze Beine“, spottete der Stuttgarter Republikaner-Stadtrat Rolf Schlierer.

Wenn das lähmende Streitthema vom Tisch ist, kann sich die grün-rote Koalition mit vermehrter Energie ihren ideologischen Steckenpferden von Einheitsschule bis Einwandererprivilegierung widmen. Dann muß auch die Opposition zeigen, ob sie mehr kann, als Bahnhöfe für die schwäbische Eisenbahn durchzusetzen.

Foto: Demonstration von Stuttgart-21-Gegnern am Montag: Im Januar rollen die Bagger an

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