© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Erwachen im Luftschloß
Euro-Krise: Die Vergemeinschaftung der Schulden kommt – unter welchem Namen auch immer
Wilhelm Hankel

Was hat der Euro nur an sich, daß er Deutschlands Politiker permanent dazu bringt, ihr Gesicht zu verlieren? Erst wird trotzig dementiert, dann kleinlaut eingelenkt. So war es schon 1992 bei der Unterschrift unter die Maastricht-Verträge. Bundeskanzler Helmut Kohl wollte sie nicht unterschreiben, bevor nicht Europas politische Union beschlossene Sache sei. Er beträte kein „Luftschloß“. Zwei Wochen später zog er dort ein. Sein Nachfolger Gerhard Schröder verspottete die Gemeinschaftswährung als „kränkliche Frühgeburt“. Nach seinem Amtsantritt verhalf er dem Frühchen zum Leben.

Und Angela Merkel? So viele Gesichter kann keine Frau haben – und ständig verlieren. Die Griechenland-Hilfe lehnte sie zunächst ab, wenige Wochen später verabschiedete sie sie per Gesetz. Seitdem rettet sie den Euro, „weil es ohne ihn kein Europa gibt“. Euro-Bonds (neuerdings „Stabilitätsbonds“ genannt) zur Rettung Europas und des Euro lehnt sie vorläufig noch tapfer ab – Europas kranken Staaten würde mit dieser Medizin nicht geholfen, die (derzeit noch) gesunden würden sich am Virus der Konkursgefahr infizieren. Wie wahr! Inzwischen schließen Bundesverfassungsgericht und Bundesbank die Kollektivhaftung für Europas Währungssünder über Euro-Bonds kategorisch aus. Das Bundesverfassungsgericht erklärt sie für verfassungswidrig, denn sie höhlen die Budgetverantwortung des deutschen Parlaments unbegrenzt und weiter aus. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann (Merkels einstiges „ökonomisches Gewissen“) befindet kühl und lapidar: Jede Finanzierung von Staatsschulden über die Notenpresse zerstört die Währung sowie Europas Kredit an den Finanzmärkten. Und die für die Staatsfinanzen Verantwortlichen, die Bundesfinanzminister? Unberechenbarere Staatskassenwarte hat das Land noch nie gehabt. Als Theo Waigel den Euro einführte, erklärte er ihn zur „zweiten D-Mark“, schielte aber auf den Nibelungenhort der Nation, den Goldschatz der Bundesbank, als seine Kasse Fehlbeträge auswies; 1998 erfolgte dann eine „Neubewertung“ der Reserven.

Schon der CSU-Chef machte sein eigenes Werk, den Euro-Stabilitätspakt, zur Makulatur. Seine sozialdemokratischen Nachfolger, Oskar Lafontaine, Hans Eichel und Peer Steinbrück, überboten ihn noch. Das Trio hob nicht nur die im EU-Vertrag beschworene Staatschuldengrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf; inzwischen nähert sie sich 90 Prozent. Der in Nordrhein-Westfalen abgewählte Steinbrück – inzwischen selbsternannter Kanzlerkandidat – holte die globale Finanzkrise nach Deutschland herein. Er rief in Vorbereitung auf den rot-grünen Koalitionsvertrag das deutsche Kreditwesen dazu auf, so krisenfördernde Novitäten wie anonyme „Zweckgesellschaften“, „Verbriefungskredite“ und andere „Derivate“ der internationalen Finanzmärkte ja nicht zu verschlafen. Vielleicht verschafft ihm bald eine neue schwarz-rote Koalition die Chance, Großbank-Pleiten (HRE, IKB) wieder zu bereinigen – natürlich auf Steuerzahlers Kosten. Angela Merkels (noch) amtierender Finanzminister Wolfgang Schäuble beweist derweil unverdrossen seine Lernfähigkeit in Sachen Euro-Rettung. Bis zu den Hilfsgesetzen für Griechenland erklärte er jede Hilfe „für nicht notwendig“; danach sah er Griechenland „auf dem richtigen Weg“; die Umschuldung war für ihn „kein Thema“, 110 Milliarden Euro – inzwischen sind es 750 Milliarden Euro geworden – „die Obergrenze“. Als der EU-Präsident zu Beginn des Jahres vorschlug, dem ersten Rettungsschirm den zweiten, unbegrenzten und ewigen folgen zu lassen, war das für ihn „das falsche Signal“. Inzwischen rechtfertigt er diesen Fonds wie auch das zweite Griechenland-Hilfspaket (mit weiteren 100 Milliarden Euro) als Staatsmann: Wir stünden ja sonst vor „einer ungeordneten Staatsinsolvenz innerhalb der Euro-Zone“.

Schäubles Ministerium bereitet längst (und hoffentlich nicht wieder über eine amerikanische Anwaltskanzlei) die Einführung der Euro-Bonds vor. Die EU-Verträge müssen der Realität angepaßt werden, möglichst im Schnellverfahren mit den Stimmen der wie immer willfährigen Opposition und ohne das Volk zu befragen. Doch die Fonds mögen ihre neuen Papiere auflegen, verkaufen werden sie sie kaum. Oder wenn, nur zu höchsten Risiko-Zinsen. Der erste Rettungsfonds EFSF verfügt über ein Haftkapital von lächerlichen 0,007 Prozent seiner Ausleihungen (28 Millionen von 400 Milliarden Euro), der geplante zweite Rettungsfonds ESM wiederum überfordert mit der Aufbringung seiner Garantie- und Kreditsumme (von 1,2 Billionen Euro) sich und den Kapitalmarkt. Soviel Pfusch am Kapitalmarkt gab es noch nie! Die aus dem Euro-Rausch erwachten Finanzmärkte registrieren inzwischen nüchtern und genau die zu finanzierenden Risiken und Kosten der Staaten- und Bankenverschuldung.

Sie (und die Ratingagenturen) lassen sich nicht mehr täuschen, sondern nur noch verbieten. Nur: Geschieht dies, wird „Europäisieren“ endgültig zum Synonym für „Sozialisieren“. Ist es das, was Europas Eliten anstreben? Und das soll Deutschland nützen? Die EU verkäme zu einer zweiten Sowjetunion, der Euro zum europäischen Transfer-Rubel. Deutschlands Exportstärke und -leistung wären gebrochen. Ist es Inkompetenz oder Realitätsverweigerung, daß das weder Deutschlands Politiker noch Wirtschaftsführer sehen oder nicht sehen wollen? Einst befreite ein deutscher Kaiser das Land durch seinen Gang nach Canossa von der Überregierung einer landesfremden Kirche. Jetzt versucht eine EU-Überregierung Deutschland in den Zustand von vor Canossa zurückzuversetzen. Wie lange noch?

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht.

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