© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Keine kritiklose Traditionspflege
Der Historiker Hans-Christof Kraus hielt die Festrede zur Einweihung der Bibliothek
(JF)

In seiner Festrede zur Einweihung der Bibliothek des Konservatismus umriß Hans- Christof Kraus (53), Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau, den wissenschaftlichen Auftrag der Bibliothek. Friedrich Nietzsche, so Kraus, weise in seiner berühmten Reflexion „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ drei Wege zur Erschließung der Geschichte des Konservatismus: die monumentale, die antiquarische – und die kritische Historiographie. Mit Blick auf die beeindruckende Ansammlung von inzwischen bald 60.000 Bänden der Bibliothek und der Aussicht auf den Erwerb von Archivalien in großer Zahl warnte Kraus vor der „keineswegs unbeträchtlichen Gefahr“ der rein antiquarischen oder monumentalen Beschäftigung mit der eigenen Geschichte:

„So wichtig, ja zentral das fleißige Sammeln der überlieferten Quellen und Zeugnisse der Vergangenheit auch ist, so unbestreitbar sinnvoll und wesentlich die Aufgabe der Bewahrung einer vergangenen geistigen und politischen Tradition stets sein mag – die Gefahr, die in der selbstgenügsamen Versenkung liegt, in der gegenwartsfernen Traditionspflege, auch in der letztlich unpolitischen Tendenz, alle Zeugnisse der Vergangenheit als in gleicher Weise bewahrenswert anzusehen“, dürfe nicht verkannt werden. Neben den Klassikern konservativen Denkens müsse man sich den Opfern, den „durch die Guillotine im revolutionären Paris und die Erschießungskommandos der Bolschewisten ebenso wie die Konzentrationslager und Gulags der Diktatoren des 20. Jahrhunderts, auch durch die Galgen in Berlin-Plötzensee“ Umgekommenen widmen.

Nach Kraus dürfe man als Reaktion auf Diffamierung nicht darauf verfallen, „in durchaus nachvollziehbarem Widerspruch (…) bestimmte Aspekte der Geschichte eher verharmlosend-unkritisch aufzufassen und die zweifellos vorhandenen Defizite und Bedenklichkeiten, die den Konservatismus im Verlauf seiner langen Geschichte eben auch geprägt haben, zu ignorieren“.

Eine „ausschließlich antiquarisch vorgehende Historie“ entarte in letzter Konsequenz zu einer „von Beliebigkeit bestimmten Sammelwut und zur kritiklosen Traditionspflege“, so Kraus, die zum Selbstzweck werde und die am Ende „in geradezu tragikomischer Weise das Überlebte, Morsche und Abgestorbene in den Mittelpunkt einer Aufmerksamkeit setzt, die all diesem nicht mehr gebührt“.

Die nur monumentalische Historie wiederum erliege rasch der Versuchung der „oberflächlichen, zuweilen auch engstirnigen Einseitigkeit und der ebenfalls unkritischen Heroisierung“, dazu eines selektiven und willkürlichen Umgangs mit der Vergangenheit.

Die von Kraus eingeforderte „kritisch verstehende Historie“ könne am Ende jedoch aber auch zu einer Art von Hyperkritik ausarten, deren „ätzende Säure“ (Friedrich Meinecke) in letzter Konsequenz nicht nur notwendigerweise die „Kruste der Konverntion durchstoße, sondern „auch lebendes Gewebe“ zerstöre. Das bewahrende, das verehrende und das kritische Element gehöre zu gleichen Teilen gleichermaßen dazu, schrieb Kraus ins Stammbuch der FKBF-Bibliothek, wolle man die Geschichte des Konservatismus wirksam erschließen.