© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Miese in Nadelstreifen
Melkkuh Mittelstand: Wie die deutschen Großbanken ihr ureigenstes Geschäft vergessen und darüber weiter Milliarden-Werte vernichten
Markus Brandstetter

Einen Mittelständler, der in diesen Tagen zur Bank geht, erwartet wenig Gutes. Die Kredite werden deutlich teurer, obwohl der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) seit Anfang November bei lächerlichen 1,25 Prozent liegt. Immer mehr Grundschulden und Bürgschaften, die Abtretung von Lebensversicherungen, Wertpapierdepots und Forderungen verlangen die Geldinstitute als Sicherheiten. Aus den Blanko-Krediten von einst sind die Pfandleihen von heute geworden. Die üblichen Zinsen für einen Kontokorrent liegen bei neun Prozent, für Überziehungen werden 14 bis 19 Prozent verlangt. Kein Wunder, daß Finanzkonstrukte wie Leasing und Factoring für die Mittelständler längst zu Ersatzkrediten geworden sind, ohne die viele gar nicht mehr existieren könnten.

Richtig schlimm wird es, wenn ein Unternehmer während einer Durststrecke seine Linien überziehen muß. Wenn sich dann noch die Bilanz verschlechtert und er kein Kapital nachschießen kann, ist es mit den Weihnachtskarten vom Bankvorstand schnell vorbei. Dann fliegt er aus der dritten Etage mit den hochflorigen Teppichen und den dreiteiligen Anzügen raus und landet unten in der Intensivstation (bankenintern gerne „Consulting“ genannt), wo die Anzüge billiger und die Töne rauher sind: Entweder die Zahlen werden besser – oder die Kredite gekündigt und die Sicherheiten verwertet.

Für Banken sind die deutschen Mittelständler, die doch einmal ihr Brot- und Buttergeschäft waren, nur noch eine große Kuhherde, die sich mit schönen Margen praktisch risikolos melken läßt. Die Geldinstitute wissen ganz genau: Der notorisch eigenkapitalschwache Mittelstand hängt bei ihnen lebenslang am Tropf, weil er für die Börse zu klein ist und durch seine Standortbindung nicht einfach ins Ausland abwandern kann, wo es andere Finanzierer gäbe. Im Firmenkundengeschäft holen die Banken sich die Erträge, die sie im Investmentbanking verspielt, in Südeuropa verschleudert und mit EU-Schrottanleihen verpulvert haben.

Die Branche, deren ureigenste Aufgabe es wäre, die deutsche Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, hat in den letzten Jahren so viele Werte vernichtet wie keine andere. Wer vor zehn Jahren eine Aktie der Deutschen Bank für 50 Euro erworben hat, der bekommt jetzt die Hälfte dafür, während der Kurs der vermeintlich biederen Linde AG im selben Zeitraum von 50 auf 107 Euro anstieg. Die Aktie der Commerzbank hat in den letzten zwölf Monaten 70 Prozent ihres Wertes verloren, die der Deutschen Bank 35 Prozent. Trotz der Kapitalerhöhung im Jahr 2010 hat sich der Marktwert der Deutschen Bank von 2000 bis heute halbiert und liegt nun bei mageren 25 Milliarden Euro.

Wer vor vier Jahren 20.000 Euro in Commerzbank-Aktien investiert und diese gehalten hat, hat heute nur noch 1.450 Euro im Depot – trotz milliardenschwerer Staatshilfen. Wer zur selben Zeit Linde gekauft hat, kann sich heute über mehr als 25.000 Euro freuen. Und die Probleme der Finanzbranche sind noch lange nicht ausgestanden. Das fängt damit an, daß kein Mensch weiß, was in den Bankbilanzen eigentlich drinsteht und was nicht. Mit welchen Werten sind denn die EU-Anleihen Griechenlands, Portugals, Italiens, Spaniens und Irlands in den Bilanzen der Banken heute angesetzt und wieviel davon wird zukünftig noch abgeschrieben werden müssen? Genausowenig steht fest, welche Risiken im Rest der Bankbilanzen noch versteckt sind.

Da ist beispielsweise vor zwei Wochen herausgekommen, daß die Erste Group, eine der größten privatisierten österreichischen Sparkassen, sich ihre Bilanzen seit Jahren schöngerechnet hat. Nachdem noch im Juli ein Halbjahresgewinn von fast 500 Millionen Euro verkündet worden war, wurde aus dem ganze drei Monate später ein Verlust von 900 Millionen Euro, weil über Nacht die Firmenbeteiligungen in Rumänien und Ungarn nichts mehr wert waren und die Kreditausfallderivate (CDS) nun zu Anschaffungskosten anstatt zu Marktpreisen bilanziert wurden. Den entgegengesetzten Weg eingeschlagen haben die schweizerische UBS und die Deutsche Bank, die ihre Ergebnisse in diesem Quartal überraschend verbesserten, weil sie ihre eigenen Anleihen plötzlich höher bewerteten, was zwar auf dem Papier gut aussieht, mit echten Gewinnen aber nichts zu tun hat.

Schließlich ist völlig offen, wieviel Geld die unterkapitalisierten Finanzinstitute für die notwendige Erhöhung ihrer Kernkapitalquote (Stichwort: „Basel III“) in Zukunft brauchen werden und wo dies herkommen soll. Eine Kapitalerhöhung über die Börse wird schwierig werden, da die Aktienkurse der Finanztitel im Keller sind und – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – da noch lange bleiben werden. Die Landesbanken, die ihre einstigen Bestbonitäten eingebüßt haben, haben weder ein vernünftiges Geschäftsmodell anzubieten noch neue Geldquellen. Die Commerzbank ist im dritten Quartal 2011 wieder tief in die roten Zahlen gerutscht und wird nun noch länger brauchen, die staatlichen Hilfsmittel zurückzuzahlen.

Den Banken steht nun also der Weg bevor, den die Stahlindustrie zwischen 1980 und 1995 gegangen ist. Am Ende dieses Weges wird in der Finanzwelt nichts mehr so sein, wie es war. Natürlich wird es dann noch Banken geben, aber einige der bekanntesten Namen werden keine Rolle mehr spielen. Der Rest wird sich dann komplett neu erfunden und aufgestellt haben müssen.