© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

„Wir sollten uns keine Illusionen machen“
Euro-Krise: Pleiteländer fordern Teilhabe an deutschen Niedrigzinsen / Zweifel an Frankreich wachsen
Bernd-Thomas Ramb

Wer kreditwürdig ist, den bestraft die Euro-Zone. Mit dieser knappen Formel läßt sich die Forderung mehrerer Finanzminister des Euro-Verbunds werten, Deutschland müsse eine Gegenleistung für seine aktuell niedrige Zinshöhe gewähren. Im Kern ist diese Forderung nicht neu. Nicht nur, weil schon immer in der EU die Ansicht bestand, Deutschland müsse „Gegenleistungen“ für fiktive Vorteile abliefern. Auch die Forderung nach einem Zinsausgleich zu Lasten Deutschlands ist nicht vollkommen neu. Seit dem Ausbruch der Euro-Krise basieren alle Rettungsversuche auf der Absicht, den Zinsvorteil Deutschlands auszunutzen.

Die Zinssätze, die für neue Schuldverschreibungen in den einzelnen Euro-Staaten angeboten werden müssen, entwickeln sich immer schneller auseinander. Die Unterschiede haben eine Größenordnung erreicht, die eine gemeinsame Währung der Lächerlichkeit preisgibt. Griechenland muß mit über 26 Prozent das Dreizehnfache des deutschen Zinssatzes von knapp zwei Prozent versprechen – unbezahlbar für den bankrotten Staat.

Die anderen Problemstaaten erreichen zwar nicht diese finanziell indiskutable Höhe, liegen aber deutlich über den nationalen Schmerzgrenzen. Portugal wird seine Staatsanleihen nur mit über elf Prozent Zinsen los, Irland mit über acht Prozent, Italien mit knapp sieben und Spanien mit über sechs Prozent. Gemessen an Deutschland sind das neidvoll hohe Dimensionen.

Die gegenwärtigen Zinsunterschiede bestanden nicht von Anfang an. Im Gegenteil, nach der Einführung des Euros konvergierten die bis dahin unterschiedlichen Zinshöhen für Staatsanleihen zu einem einheitlichen Satz von zunächst zirka fünf Prozent. Besonders stark profitierte dabei Griechenland, das Ende der 1990er Jahre noch über zehn Prozent Zinsen für seine Staatsanleihen gewähren mußte und konnte.

Aber auch für Irland, Italien und Spanien, die vor der Euro-Einführung ähnlich hohe Zinssätze wie heute aufwiesen, führte die Gemeinschaftswährung anfangs zu einer spürbaren Zinserleichterung. Der Euro-weit einheitliche Zinssatz sank in den ersten Jahren des Euro sogar bis auf 3,5 Prozent. Soweit lief alles wie geplant und erwartet: Einheitliche Währung, einheitlicher Finanzmarkt für Staatsanleihen, einheitlicher Zinssatz mit sinkender Höhe, weil die Größe des Marktes größere Sicherheit versprach.

Schon damals profitierten die vormaligen Hochzinsländer im Süden der EU von dem Niedrigzinsland Deutschland. Die höhere Kreditwürdigkeit, verbunden mit der einheitlichen Währung, erleichterte auch den Euro-Bürgern außerhalb Deutschlands den Kauf deutscher Staatsanleihen. Mittlerweile befinden sich über die Hälfte der deutschen Staatsanleihen in ausländischem Besitz.

Vor der Einführung des Euro waren dies nur ein Drittel. Die 1969 geschaffenen Bundesschatzbriefe waren jahrzehntelang eine beliebte Vermögensanlage. Die verstärkte ausländische Nachfrage senkte den deutschen Zins, an dem sich die anderen Staaten richten konnten – stets mit dem Hinweis, ihre Staatsanleihen wären genauso sicher wie die deutschen. Diese Illusion platze jedoch mit dem Beschluß der Euro-Länder, die Kriterien des Maastrichter Stabilitätspaktes nicht mehr ernst zu nehmen.

Schuld an der Aufweichung des Stabilitätspaktes hatten vornehmlich die beiden politisch und wirtschaftlich dominierenden Euro-Länder Deutschland und Frankreich, die in den Anfangsjahren des Euro permanent gegen die Verschuldungsregeln verstießen. Beide Länder lagen seit 2002 mit ihrer Neuverschuldung deutlich über der zulässigen Drei-Prozent-Marke und überstiegen 2003 die 60-Prozent-Staatsschuldenstandsgrenze.

Die für diese Fälle ursprünglich im Stabilitätspakt vorgesehenen Strafmaßnahmen verhinderte am 13. Juli 2004 der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seiner Entscheidung, der EU-Ministerrat sei prinzipiell berechtigt, ein Defizitverfahren zunächst auszusetzen. Damit war die Schleuse für die unkontrollierte Verschuldung der Euro-Staaten geöffnet und die Schuldenkrise vorprogrammiert.

Seit 2005 steigt nicht nur der gemeinsame Zinssatz für Schuldanleihen an, der gemeinsame Finanzmarkt bricht auch auseinander. Seit 2007 ist die Divergenz der Zinssätze für jedermann unübersehbar. Wirtschaftlich schwache Euro-Länder erfahren zunehmend das Mißtrauen der Anleger. Staatsbankrotte mit Schuldenkappungen sind nicht mehr auszuschließen – und die Anleger lassen sich dieses Risiko nur durch immer höhere Zinsversprechen absichern. Gleichzeitig erfahren die stärkeren Staaten einen steigenden Zufluß von Gläubigern ihrer Staatsanleihen – trotz sinkender Zinsangebote. Allerdings beginnt die Schuldenkrise auch diese Länder zunehmend zu infizieren.

Die augenblickliche Situation ist insbesondere durch einen Anstieg der Zinssätze in den bislang noch als kreditwürdig angesehenen „Mittelklassestaaten“ der Euro-Zone gekennzeichnet. Mittlerweile müssen selbst solide haushaltende Euro-Mitglieder wie Finnland und die exportstarken Niederlande Zinsaufschläge von mehr als einem halben Prozent gegenüber dem deutschen Zinssatz hinnehmen. Vor allem aber geraten Österreich und Frankreich (wegen ihrer in Problemländern engagierten Banken) in den Abwärtsstrudel der Risikoaufschläge.

„Die Krise trifft den Kern der Euro-Zone, wir sollten uns darüber keine Illusionen machen“, erklärte freimütig EU-Währungskommissar Olli Rehn (ein finnischer Liberaler) jetzt bei einer Konferenz in Brüssel. Über 1,5 Prozentpunkte mehr als die deutsche Schuldenverwaltung müssen die Regierungen dieser Länder den Gläubigern ihrer Staatsanleihen einräumen. Das zehrt nicht nur am Geldbeutel der dortigen Steuerzahler, sondern auch am nationalen Selbstbewußtsein.

Deutschlands Zinsvorteil auszunutzen wird jedoch immer schwieriger. Der Umweg über Euro-Bonds – selbst unter dem Deckmantel der „Hebelung“ des Rettungsfonds EFSF – funktioniert einfach nicht. Die EU-Kommission arbeitet dennoch weiter intensiv an einer wie auch immer gearteten Euro-Bonds-Einführung – unter dem neuen Euphemismus „Stabilitätsbonds“. Bislang sperrte sich die Bundesregierung – im Gegensatz zur rot-grünen Opposition – gegen gemeinsame europäische Staatsanleihen.

Nach dem neuesten Vorstoß von EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso (bis 2004 Regierungschef in Portugal) zur Euro-Bonds-Schaffung heißt es nun aus Berlin, man wolle dies „prüfen“. Die Euro-Bonds sollen auch Thema sein beim Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Ex-EU-Kommissar Mario Monti, dem Chef der neuen italienischen Notregierung.

Doch die privaten Gläubiger riechen den verkohlten Euro-Braten, sie kaufen nur bei entsprechend angehobenen Zins­aufschlägen – oder überhaupt nicht. Die Investoren ahnen immer mehr, daß schließlich nur noch Deutschland als Rückzahlungsgarantie übrigbleibt. Oder die Europäische Zentralbank (EZB). Beides führt aber unweigerlich zum sofortigen Ende des Euro. So bliebe allenfalls die indirekte Lösung der Zinsteilhabe: Ausgleichszahlungen Deutschlands an die Hochzinsländer. EU-typisch wäre das allemal, wie die Subventionierungsmuster Agrarfonds und Strukturfonds vormachen. Deutschland würde wieder einmal zahlen – als „Entschädigung“ für den wirtschaftlichen Vorsprung vor den anderen Euro-Staaten.

Foto: Unendlicher Finanzbedarf: Nur Deutschland bleibt als Rückzahlungsgarant übrig