© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Der Euro als Spaltpilz Europas
Währungsunion: Das liberale „Forum Freiheit“ diskutiert unter dem Eindruck der Schuldenkrise über die politische Zukunft des Kontinents
Klaus Peter Krause

Welches Europa wollen wir? Diese Frage stand in der vergangenen Woche als Leitthema über dem diesjährigen „Forum Freiheit“ in Berlin. Alle jene, die hier vortrugen und diskutierten, einte wie selbstverständlich eine Haltung, die kurz so lautet: Wir wollen ein gemeinsames, einiges Eu-
ropa, aber nicht dieses – nicht dieses Europa der EU mit seiner fortschreitenden Zentralisierung und bürokratischen Machtkonzentration, nicht dieses Europa mit seiner Political Correctness, nicht dieses Europa mit der gefährlichen Überschuldung seiner Länder, nicht dieses Europa mit gegenseitiger Haftung für die Überschuldung, nicht dieses Europa mit dieser Euro-Währungsunion, in der zu viele Mitgliedstaaten nicht die politische und wirtschaftspolitische Disziplin aufbringen, die für eine solche Union nötig ist.

Diese so einhellige Ablehnung war und ist gewiß kein Wunder, denn das „Forum Freiheit“ zieht durchweg liberal Gesinnte an. Doch waren und sind sie keine Anti-Europäer, sondern für eine Europäische Union des freien Binnenmarkts, des freien Wettbewerbs und vor allem der Subsidiarität. Zwar sprach es keiner aus, aber was sie wollen, kommt dem nahe, was Charles de Gaulle einst ein „Europa der Vaterländer“ genannt hat. Der Sozialwissenschaftler Erich Weede sprach über die politische Korrektheit und versteht unter dieser Form, unerwünschte Tatsachen und Meinungen zu unterdrücken, „das Bedürfnis nach Übereinstimmung mit der Masse der Mitmenschen auch um den Preis der Ausschaltung der eigenen Vernunft.“ In der Europa-Politik äußere sich die politische Korrektheit in lautstarken Bekenntnissen zu Europas Einheit als Wert an sich, in der unreflektierten Behauptung, daß Europas Einheit den Frieden sichere. Ob es nicht vielmehr die Nato sei, die für den Frieden in Europa verantwortlich sei, fragte Weede rhetorisch, „oder, um es ganz klar zu sagen: die dort institutionalisierte amerikanische Hegemonie?“ Was Weede selbst von der gegenwärtigen EU hält, drückte er dezent, aber unmißverständlich so aus: „Ich bin seit langem Kriegsursachenforscher. Dieses Europa, das wir bauen, ist nicht der Königsweg zum Frieden.“

Weede erinnerte auch daran, daß sich sogar global agierende Finanzmarktprofis an dem einen oder anderen Hebelprodukt die Finger verbrannt hätten. Aber, so sagte Weede bissig: „Jetzt hebeln die Laien: die Kanzlerin, der Finanzminister und meinetwegen auch der Vizekanzler. Frei nach Warren Buffett könnte man sagen: Jetzt basteln wir die fiskalischen Massenvernichtungswaffen.“

Der einstige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel nannte die Politiker, die verbissen die gegenwärtige Euro-Währungsunion retten wollen, Euromantiker. Der Euro säe Zwietracht unter den Mitgliedstaaten, erreiche also das Gegenteil von dem, was er habe bewirken sollen. Der Euro verbreitere den Graben zwischen Euro-Staaten und Nicht-Euro-Staaten. Der Euro habe sich zum Spaltpilz Europas entwickelt. Henkel beklagte, daß die Führenden in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland diese Entwicklung tatenlos hinnehmen oder ihr sogar Vorschub leisten, und löste starken Beifall aus, als er dann sagte: „Die deutsche Elite versagt total, alle.“ Henkel wiederholte seinen Vorschlag, zwei Euro-Zonen zu bilden, die eine mit Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Finnland („Nord-Euro“), die andere mit den übrigen Euro-Staaten („Süd-Euro“).

Der Wirtschaftsprofessor Charles Blankart führte vor, daß man mit Staatschulden zwar leben kann, aber mit explodierenden Staatsschulden nicht. Sie brächten den Staat in den Zangengriff. Die Euro-Union befinde sich im Schuldenstrudel, und die Euro-Krise werde deswegen kein Ende nehmen, weil der Grund der Krise die Euro-Rettung sei. Für den Philosophieprofessor Hardy Bouillon sind Staatsschuldenkrise und Eurokrise beide das Resultat von staatlichen Markteingriffen und Preissignalverzerrungen. Beide verstärkten einander, weil sie gleichzeitig aufträten. Die Möglichkeiten, ihnen entgegenzuwirken, seien bekannt: durch das Wiederherstellen des freien Marktes, also durch Privatisieren, Senken von Steuern, Steuerwettbewerb, Deregulieren, Umbau der Sozialsysteme, Konsolidieren der Haushalte und Einbau einer Schuldenbremse. Der Eurokrise könne man durch eine stabile Geldpolitik begegnen. Noch besser sei es, zu nationalen Währungen zurückzukehren, noch besser eine Rückkehr zum Goldstandard, noch besser eine Entnationalisierung des Geldes.

Der Politikwissenschaftler Arnulf Baring sagte: „Die Euro-Länder ticken zu unterschiedlich.“ Daher sei die Währungsunion nicht erfolgreich. Deutschland müsse mit dem Austritt aus dem Euro drohen, denn: „Wir sind für unser Volk doch verantwortlich. Wir können unser Volk doch nicht in die Inflation schicken. Das ist doch eine völlig verantwortungslose Politik.“ Der Ökonomieprofessor Gerd Habermann hob hervor, das Europäische an Europa sei seine Nichtzentralisation, sein kultureller, politischer, wirtschaftlicher Pluralismus, die Vielfalt seiner Völker und Sprachen. „Das ist doch gerade unser Reichtum“, sagte er. Diese Vielfalt sei aus dem Untergang der überzentralisierten Bürokratie des Römischen Reiches hervorgegangen. Der Wettbewerb der Staaten und der Völker, die fehlende imperiale Verfaßtheit, sei es gewesen, was das „Wunder Europa“ ermöglicht habe. Europa könne nicht nach dem Vorbild eines Nationalstaates organisiert werden. Jeder weitere Versuch in diese Richtung werde scheitern. Die Politikerin und einstige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld wandte sich gegen das politisch angestrebte „neue Europa“, das hinter dem Rücken der europäischen Völker durchzusetzen versucht werde.

Jene freilich, an die sich das Forum Freiheit eigentlich richtet, waren nicht anwesend: führende Politiker nicht, auch Politiker der FDP nicht, obwohl das Forum mit rund 130 Teilnehmern im vollbesetzten Saal ihres Hauptstadtquartiers stattfand. Gerade die FDP-Politiker hätten nachdenklich werden und zur Besinnung kommen müssen, zumal vor allem Baring und Henkel immer wieder mit Beifall unterbrochen wurden. Man spürte: Die FDP hatte die Zuhörer noch tiefer enttäuscht und erbost als die erstaunlichen Positionswechsel der CDU mit Kanzlerin Merkel.

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