© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Ein Standhafter
Laudatio II: Der Germanist und Literaturwissenschaftler Günter Scholdt würdigt das Lebenswerk Ernst Noltes
Günter Scholdt

Wir ehren einen bedeutenden Historiker, dessen tatkräftiger Einsatz für ein diskussionsoffenes, rational zu kreierendes Geschichtsbild ihm trotz seiner Ächtung durch den aktuellen Zeitgeist einen Ehrenplatz in der Wissenschaftsgeschichte sichert.

Mit der Entscheidung für Ernst Nolte als Träger des Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreises für Publizistik würdigt die Jury ein spektakuläres wissenschaftliches Lebenswerk, dessen Umfang und Qualität bestechen. Zu rühmen sind sein geschichtsphilosophischer Perspektivenreichtum und die Bereitschaft, in epochenüberspringenden größeren Zusammenhängen zu denken, ebenso sein Mut zu Pointierungen, die erst Licht ins Dunkel amorpher Stoffmassen und bloßer Faktengräber bringen, aber zugleich Übelwollende zu meist aufgebauschten Detailkorrekturen wie moralistischen Attacken förmlich einladen. Das gilt verschärft für die soeben erschienenen „Späten Reflexionen“, die nun wirklich einen hierzulande gewiß unterrepräsentierten Lesertypus verlangen: einen, der nicht mit schnüffelnder Spürnase nach fraglos auffindbarem Verfänglichem fahndet, sondern einen, der bereit ist, im Sinne kühner geschichtsphilosophischer Beleuchtungen auch einmal unvertraute Sehweisen zu prüfen oder sich von ihnen zu Repliken anregen zu lassen.

Noltes Wissenschaftsprämissen mündeten in einen Konflikt, der Prof. Nolte nicht nur als markanten Vertreter der Zeitgeschichtsforschung bestätigte, sondern selbst zur kulturgeschichtlichen Person werden ließ, teils als Blitzableiter überbordender polemischer Energien, teils als Barometer zur Bestimmung des Grades an Meinungsfreiheit vor allem in deutschen Landen. Wir sind beim sogenannten „Historikerstreit“, dessen Bezeichnung eigentlich einen ganzen Berufsstand diffamiert. Dies weniger, weil viele Nolte-Verächter gar keine Historiker waren. Eher schon, weil die zu diesem Anlaß aufschäumende Papierflut, der weltweit ganze Wälder zum Opfer fielen, in schreiendem Mißverhältnis zu ihrem wissenschaftlichen Ertrag steht. Vor allem aber, weil die Debatte zum überdimensionalen Negativmodell geriet, wie ein fachwissenschaftlicher Streit eben gerade nicht geführt werden soll: mit Schaum vorm Mund, mit Habermasschen Zitatklitterungen, persönlichen Verdächtigungen, Drohungen und Einschüchterungen, die als Folge dem Gelehrten die weitgehende Ächtung des Feuilletons und zahlreicher Fachkollegen einbrachte. Denn hier tobte kein Wissenschaftsdiskurs, sondern ein tagespolitischer Machtkampf mit deutlichen Disziplinierungsabsichten für künftige Abweichler, getragen von einem Geschichtsverständnis, das sich im wesentlichen auf Geschichtspolitik reduziert.

Nolte mochte etwas vom Risiko geahnt haben, dem er sich aussetzte. Hat er sich doch, wie im Redetext steht, „lange Zeit gescheut“, dieses politisch kontaminierte Problemfeld zu betreten. „Aber“, wie es weiter heißt, „Wahrheiten willentlich auszusparen, mag moralische Gründe haben, aber es verstößt gegen das Ethos der Wissenschaft.“ Da haben wir jenes „et pereat mundus“ der Römer („und wenn die Welt zugrunde geht …“) als Wahlspruch des genuinen Historikers. Und es spricht als vielleicht wichtigste Charakterqualität fraglos für Nolte, daß er sein Handeln an Kants berühmter Forderung ausrichtete: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Und Mut brauchte gewiß, wer die Folgen solchen Outings auf sich zu nehmen gezwungen war. Denn da rückten nun plötzlich Kollegen von ihm ab, Kübel von Spott und Entrüstung wurden von dogmengläubigen Musterschülern oder geistigen Hinterbänklern ausgegossen, Vortragseinladungen storniert, Editionsvorhaben gestrichen, während man seine Gegner mit Preisen überhäufte. Selbst ein Brandanschlag auf Noltes Auto gehörte offenbar zum Sanktionskanon, bei dem unser sonst so empörungsfreudiges Feuilleton fast durchweg zur Tagungsordnung überging. Vergleichbares haben inzwischen zahlreiche andere erfahren in einem Land, auf dem der Mehltau des Tugendterrors liegt. Ich empfinde diese Stickluft als ungeheuerlich für ein Land, das sich – gerade in Abgrenzung zum Dritten Reich – so sehr über Freiheit definiert. Einschüchterung und Anpassung dürften es ja wohl als letztes sein, was wir aus einer überwundenen Diktatur an Lehren ziehen.

Joachim Fest hat seinerzeit prophezeit, die „Fragenverbieter und Mythologen von heute“ könnten den Prozeß der Historisierung auch des Dritten Reichs nicht aufhalten. Denn der habe „die mächtigste denkbare Kraft auf seiner Seite. Die Zeit.“ Daß „Habermas und die Parteigänger des herrschaftsgeleiteten Diskurses“ mit ihrem „statischen Geschichtsbild“ auch gegen sie anlaufen, mache „sie zu Anwälten einer aussichtslosen Sache.“ „Held“ klingt im Kontext etwas unscharf, wo es in dieser absurden Politgroteske eher darum ging, eine der wenigen Rollen zu besetzen, die den aufrechten Gang erlaubt. Aber Protagonist ist Nolte allemal, Vorkämpfer, der stellvertretend für andere die Causa der unabhängigen Forschung und Meinungsfreiheit ausficht. Dafür, daß er über Jahrzehnte diesen Vorposten hielt, dem Druck nicht erlag und wie andere vor seinen Gegnern zu Kreuze kroch oder faule Kompromisse schloß, schulden wir ihm Dank.

Er stritt für das Recht auf authentisches Verstehen in seiner Wissenschaft, gegen Geschichtsbilder aus einer vorgeprägten Erwartungshaltung. Und er bekämpfte die graue Uniformität der Dogmen einer Zivilgesellschaft, von der nicht nur Klonovsky vermutet, daß sie zuweilen das Gegenteil einer zivilisierten Gesellschaft ist.

Nolte bezahlte für diese Art Vorkämpfertum mit dem aktuellen Verlust an bürgerlicher Reputation und einer tüchtigen Portion Lebensglück. Daß er dies auf sich genommen hat und daran nicht zerbrochen ist, verleiht ihm eine Größe, die weiterstrahlen wird. Wenn die Namen vieler seiner zelotischen Gegner, die in der geistigen Magerweide ihrer Netzwerke grasen: jene Staats- und Hofhistoriker neuen Typs, die jedem volksdidaktischen Auftrag genügen in der einzigen Sorge, keinen Anstoß zu erregen, gepaart mit der jämmerlichen Bereitschaft, Außenseiter zu verfolgen oder – nach Ernst Jüngers Worten – einen Koloß zu bekämpfen, der bereits am Boden liegt, – wenn all diese beflissen Konformen längst und zu Recht vergessen sind, wird man immer noch von Ernst Nolte sprechen. Und das ist sicherlich gut so.

 

Prof. Dr. Günter Scholdt lehrt am Landesinstitut für Pädagogik und Medien und am Germanistischen Institut der Universität des Saarlandes in Saarbrücken