© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

„Eine wunderbare Mission“
Endlich ist die Bibliothek des Konservatismus eingeweiht. Erstmals seit 1945 hat damit der konservative Bildungs- und Geistesschatz in Deutschland wieder eine Heimat. Bibliotheksleiter Wolfgang Fenske über seine Vision und die Zukunft des Projektes.
Moritz Schwarz

„Wir haben unser Leben den Büchern geweiht – eine wunderbare Mission in dieser von Unordnung und Verfall beherrschten Welt!“ heißt es in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“, in dem es um die Geheimnisse einer Klosterbibliothek geht. Trifft das auch auf Sie zu, Herr Dr. Fenske?

Fenske: Ja und nein. Natürlich ist es eine wunderbare Mission, eine Bibliothek mit dezidiert konservativer Literatur aufzubauen. Und natürlich ist diese Mission um so wichtiger, als unsere Welt tatsächlich von Unordnung und Verfall beherrscht ist …

Aber?

Fenske: Aber es wäre ein gründliches Mißverständnis, wenn Sie dies als Rückzug in den akademischen Elfenbeinturm deuten würden. Das Gegenteil ist der Fall.

Woran läßt sich das festmachen?

Fenske: Einmal an unserer exponierten Lage. Wir sind hier in der Berliner Fasanenstraße etwa fünf Fußminuten vom Bahnhof Zoo entfernt – der übrigens, dank rot-schwarzem Koalitionsvertrag, bald wieder ICE-Bahnhof werden dürfte.

Und was ist das Besondere an der Fasanenstraße?

Fenske: Neben der überaus günstigen Verkehrsanbindung vor allem die Nähe zu anderen wichtigen Institutionen der Stadt. Vis-à-vis die Berliner Börse und das Ludwig-Erhard-Haus. Einen Steinwurf von hier entfernt finden Sie die Bibliothek der Technischen Universität Berlin. Schräg gegenüber die Universität der Künste. Dann das Theater des Westens, das Literaturhaus Berlin und so weiter. Ein Eckhaus weiter hat Robert Musil den „Mann ohne Eigenschaften“ verfaßt.

Apropos „Eigenschaften“. Was ist an Ihrer Bibliothek überhaupt „konservativ“? Für manchen mag es hier eher etwas zu zeitgeistig, zu geschäftsmäßig aussehen.

Fenske: Auch das gehört zum Auszug aus dem Elfenbeinturm, nach dem Sie fragten. Knarrende Holzdielen und den Modergeruch verstaubter Folianten werden Sie bei uns nicht finden. Statt dessen arbeiten unsere Nutzer in einem Gebäude, das sich durch eine großzügige Fensterfront nach draußen öffnet. Wir haben, anders als die Bibliothek in Ecos Roman, keine Geheimnisse. Jeder ist eingeladen, unsere Bibliothek zu besuchen und in ihr zu arbeiten.

Wirklich jeder?

Fenske: Na ja, jeder, der sich an die Benutzungsordnung hält.

Andere Bedingungen gibt es nicht? Etwa eine Gesinnungskontrolle – „Einlaß nur für Konservative“?

Fenske: Nein, ganz sicher nicht. Das wäre mit unserem Selbstverständnis einer öffentlichen, wissenschaftlichen Spezialbibliothek auch gar nicht vereinbar.

Aber hatte der Stifter Ihrer Bibliothek, Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing, nicht ein politisches Anliegen, als er Ihnen seine Bibliothek zur weiteren Nutzung vermachte?

Fenske: Allerdings! Und dem tragen wir durch unsere Doppelstrategie in besonderer Weise Rechnung: Nach innen verdichten, nach außen öffnen!

Das müssen Sie erklären.

Fenske: Wir müssen den Spagat hinbekommen, daß wir einerseits politisch interessierten Nutzern Bücher und Archivalien zur Verfügung stellen, die ihnen Anstoß und Hilfestellung für heutige Probleme und Fragestellungen bieten. Wenn Sie so wollen: als Wissensspeicher und Argumentationshilfe in konservativer Perspektive. Gleichzeitig bietet unsere Bibliothek aber auch die einmalige Chance, dem Konservatismus auf authentische Weise im kulturellen und akademischen Raum Geltung zu verschaffen, indem sie der Forschung die Quellen konservativen Denkens zur Verfügung stellt. Wir sind eben keine „konservative Bibliothek“ – was sollte das auch sein? –, sondern eine „Bibliothek des Konservatismus“!

Wo liegt da der Unterschied?

Fenske: Wir halten Bücher, Zeitschriften, Archivalien und elektronische Inhalte vor, die für eine Beschäftigung mit dem geistesgeschichtlichen Phänomen des Konservatismus seit der Französischen Revolution von Bedeutung sind. Diese Inhalte bieten wir aber bewußt in einer professionellen, zeitgemäßen bibliothekarischen Umgebung an. Dabei müssen wir uns an den Standards anderer wissenschaftlicher Fachbibliotheken orientieren. Einmal, um unseren Nutzern das gewohnte professionelle Umfeld bieten zu können. Zum anderen, um deutlich zu machen, daß wir eben nicht im konservativen Elfenbeinturm sitzen, sondern auf Augenhöhe mit vergleichbaren Institutionen unsere Inhalte anbieten.

Was sind das für Inhalte? Wenn man sich umschaut, findet man viel zum Zweiten Weltkrieg – im Vergleich dazu weisen die Reihen der konservativen Klassiker aber noch Lücken auf.

Fenske: Bislang konnten wir erst ein Viertel des Bestandes, nämlich rund 15.000 von insgesamt 60.000 Titeln, katalogisieren. Vieles lagert noch in unserem früheren Domizil am Hohenzollerndamm und in einem klimatisierten Container. Weitere umfangreiche Bestände wurden uns für die kommenden Wochen und Monate avisiert. Darum ist das, was Sie momentan hier vorfinden, eher zufälliger Natur und läßt keine Rückschlüsse auf unseren Gesamtbestand zu. Ich darf Ihnen aber versichern, daß alle namhaften konservativen Autoren aus Vergangenheit und Gegenwart bei uns angemessen repräsentiert sind.

Und warum haben Sie erst ein Viertel katalogisiert? Geht das nicht schneller?

Fenske: So erfreulich der Erfolg unserer Arbeit ist – der ohne die kontinuierliche Unterstützung durch unsere Förderer übrigens undenkbar gewesen wäre –, arbeiten doch nach wie vor alle drei Mitarbeiter der Bibliothek auf Teilzeitbasis – Dreiviertelstellen um genau zu sein. Das setzt unseren Möglichkeiten natürlich Grenzen.

Was wäre denn jetzt besonders dringlich, damit es weiter zügig vorangeht?

Fenske: Den nächsten Schritt haben wir mit Hilfe unserer Förderer bereits vorbereitet: Um die 60.000 Titel, von denen ich sprach, überhaupt aufstellen zu können, mußten wir eine weitere Etage anmieten, die uns künftig als Magazin dienen wird. Daneben wird es einen Packraum geben, in dem die mitunter sehr umfangreichen Bücherspenden vorsortiert werden können. Und schließlich bekomme nun auch ich ein Büro …

Sie sind der Leiter der Bibliothek – wo arbeiten Sie denn jetzt?

Fenske: Am Empfangstresen wurde ein behelfsmäßiger Arbeitsplatz eingerichtet, als ich Anfang September hauptamtlich in die Bibliotheksarbeit eingestiegen bin. Aber spätestens mit der Eröffnung im Frühjahr nächsten Jahres, wenn wir zu festen Zeiten für unsere Nutzer die Tore öffnen, ist das keine sinnvolle Lösung mehr.

Wie muß man sich die nähere Zukunft der Bibliothek vorstellen? Sie öffnen im Frühjahr für das breite Publikum – und was weiter?

Fenske: Ob wir tatsächlich mit einem „breiten Publikum“ rechnen können, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wird es sich zunächst doch eher um thematisch besonders interessierte Nutzer handeln, die uns besuchen, oder eben um Fachpublikum. Aber dabei soll es natürlich nicht bleiben. Die Öffnung für immer weitere Nutzerkreise, vor allem junge Leute, liegt uns natürlich am Herzen. Geplant ist daher, daß wir neben den klassischen Bibliotheksangeboten ab der zweiten Jahreshälfte 2012 auch zu Vorträgen und Buchvorstellungen einladen, Seminare und Fortbildungen veranstalten, Ausstellungen beherbergen und vieles andere mehr.

Sie glauben also selbst nicht daran, daß Ihre Bücher etwas bewirken – es sei denn, Sie greifen zu flankierenden Maßnahmen?

Fenske: Umgekehrt wird ein Schuh draus! Wenn es uns gelingt, solche zusätzlichen Programme rund um die Bibliothek erfolgreich umzusetzen, dann hat sie ja bereits Menschen in Bewegung gebracht. Und daß Bücher Menschen in Bewegung bringen, wissen wir im Lande Luthers doch am besten, oder?

Mag sein. Wie wollen Sie das alles mit drei Teilzeitkräften schaffen?

Fenske: Sicher werden wir gerade am Anfang erstmal kleine Brötchen backen, und sicher ist auch, daß wir auch weiterhin auf die Unterstützung unserer Förderer angewiesen sein werden. Aber wir haben von verschiedener Seite bereits interessante Kooperationsangebote erhalten, auf die wir dann gern zurückkommen werden und die uns helfen werden, die Lasten auf mehrere Schultern zu verteilen.

Allerdings gibt es doch schon genügend konservative Zirkel, die zu Veranstaltungen einladen. Warum wollen Sie Ihre Arbeit überhaupt ausdehnen?

Fenske: Die Bibliothek ist kein Selbstzweck, es geht um die Sache! Die Frage, ob wir expandieren wollen, stellt sich in dieser Form nicht mehr. Wir haben durch unsere geographische Lage, unsere technische Ausstattung und das Profil unserer Bibliothek – die übrigens auch in der hiesigen Bibliothekslandschaft durchweg Anerkennung findet – bereits ein Niveau erreicht, von dem wir nun nicht mehr lassen können, geschweige denn wollen. Die künftigen Arbeitsfelder, von denen ich sprach, ergeben sich gleichsam organisch aus der Arbeit der Bibliothek. Daran, bestehenden Zirkeln bloß einen weiteren hinzuzufügen, haben wir kein Interesse. Es geht uns ums große Ganze. Und ich kann nur für die kleine Mannschaft hier vor Ort sprechen: Sie ist hochmotiviert, die vor ihr liegenden Aufgaben anzupacken!

Wie sehen Sie Ihre Bibliothek, wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken?

Fenske: Ich sehe eine deutlich gewachsene Einrichtung mit einem lebendigen Bibliotheksverkehr. Organisatorisch dann vielleicht schon durch verschiedene Bereiche erweitert, die sich mit den Stichworten Akademie, Verlag und Tagungsbetrieb skizzieren lassen.

Ist das nicht ein bißchen kühn gedacht?

Fenske: Keineswegs. Wenn Sie vor zwei Jahren davon gesprochen hätten, daß wir heute in nunmehr zwei professionell ausgestatteten Etagen in der Berliner Fasanenstraße sitzen würden, hätte Sie jeder – meine Person eingeschlossen – belächelt. Aber wir haben erlebt, was möglich ist, wenn viele Unterstützer darauf brennen, eine Vi-sion zu verwirklichen. Darauf baue ich, und ich bin überzeugt, daß diese Vi-sion uns zu nie geahnten Möglichkeiten führen wird.

 

Dr. Wolfgang Fenske ist Leiter der „Bibliothek des Konservatismus“ der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung in Berlin (Logo rechts). Der ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Augustana-Hochschule Neuendettelsau der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern studierte Evangelische Theologie in Berlin, Oberursel und Jena und wurde mit einer Arbeit über den jungkonservativen Theologen Karl Bernhard Ritter (1890–1968) promoviert. Fenske, geboren 1969 in West-Berlin, war zudem von 1994 bis 1996 sowie 2006 bis 2007 Redakteur dieser Zeitung und arbeitete zuletzt als Pfarrer in der Nähe von Bremen. 2008 übernahm er die Leitung des Aufbaus der Bibliothek des Konservatismus, die er seit September 2011 hauptamtlich führt. Durch Schulungen des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV) der nord- und mitteldeutschen Bundesländer wurden er und seine beiden Mitarbeiter für ihre künftigen Aufgaben im Rahmen der wissenschaftlichen Bibliotheksarbeit spezialisiert.

Foto: Bücherfürst Fenske: „Wenn Sie vor zwei Jahren davon gesprochen hätten, daß wir heute in nunmehr zwei professionell ausgestatteten Etagen in der Berliner Fasanenstraße sitzen würden, hätte Sie jeder – meine Person eingeschlossen – belächelt. Aber wir haben erlebt, was möglich ist, wenn viele Unterstützer darauf brennen, eine Vision zu verwirklichen.“

 

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