© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Ein immerwährender Ringkampf
Doppelausstellung: Die Krisen und Experimente des Heinrich von Kleist
Wolfgang Saur

Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein!“, ruft der Prinz von Homburg, bevor der Kurfürst ihn mit Siegeslorbeer krönt, dem Zuschauer die feierliche Szene aber wie ein Traum entschwindet. So die finale Vision im Drama des früh gebrochenen, preußischen Heldendichters. Er führt hier einen vertrackten Diskurs über Gesetz und Freiheit, Verstand und Emotion, von Realität und Wunder. Wie auch sonst bei Kleist sind Schauspieler und Zuschauer einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt; das irritiert bis heute.

Seiner patriotischen Tendenz seit 1806 zum Trotz blieb Kleists Wirkung im 19. Jahrhundert gering. Das große idealistische Geschichtsdrama brachten Schiller und seine Epigonen, für klassische Bildungsidee und universelle Persönlichkeit – als Gesamtkunstwerk – bot Goethe ein Modell. Dessen Kleist-Ablehnung – als krankhafter Charakter samt exzentrischer Poesie – reichte bis ins neue Jahrhundert.

Kleists 100. Todestag freilich 1911 führte zur Neubewertung, die bis heute anhält. Sie schuf den berühmten Förderpreis, den zwischen 1911 und 1932 Junggenies erhielten wie Hans Henny Jahnn, Brecht, Zuckmayer, Miegel oder Billinger. 1985 hat ihn die Kleist-Gesellschaft erneuert: Zunächst bekam ihn Alexander Kluge, zuletzt (2010) Ferdinand von Schirach.

Einst ersehnt, ist Kleists Ruhm heute ungebrochen. Kleist wurde gar zum Leit-bild moderner Autoren. Sie entdeckten im Plötzlichkeitsprinzip seiner Logik und Sprache und seinem stilistischen Extremismus Identifikationsmomente. Seine Präsenz wuchs, ließ ihn Teil des eisernen Kanons werden. Fast jeder Deutsche begegnet ihm heute: der gelangweilte Schüler ebenso wie der Germanist oder der Theaterbesucher. Kleist ist meist gelesen, untersucht, gespielt.

Im Verein mit der Kleistgesellschaft und dem Berliner Stadtmuseum hat man in diesem Jubiläumsjahr das Gemeinschaftsprojekt einer zweiteiligen Sonderschau gestemmt. 25 Themenkomplexe und Raumeinheiten entfalten eine so kulturgeschichtlich überlegte wie erlebnisintensive Szenographie seiner Persönlichkeit, seiner Zeit und seines Werks. Das Frankfurter Haus pointiert: Kleists „Bild“ und Bildnisse, seine Geschwister, Netzwerke, Geld und Schreiben.

Weitläufig dagegen im eleganten Berliner Ephraim-Palais: ein ganzes Panorama aus Historie, Ideen, existentiellen Mustern, Lebensformen. Glücklich das Konzept der Kuratoren, Stefan Iglhaut und Günter Blamberger, Kleists biographische Brüche und Poetik mit der historischen Schwellenzeit um 1800, einer klassischen Krisenperiode, zu verknüpfen. Hier sprudelt wirklich ein Quell konzeptioneller Phantasie.

Paradigmatisch etwa die Novellentheorie der Aussteller. Über die Katastrophen, in deren Zeichen Kleists Zeit wie Erzählungen stehen, heißt es: „ Kleist wird zum Krisenspezialisten, weil Napoleon, einer Naturkatastrophe gleich, die europäischen Länder erschüttert und alle Lebensläufe ohne Rücksicht auf ständische Gewißheiten entsichert. Kleist spielt im Novellenmodell nur nach, was in der Wirklichkeit der Fall war.“

Die Ausstellung erweist sich als interaktives Kunstwerk. Sie widerstreitet allen minimalistischen Trends. Der wuchtige Entschluß zur Erlebnisdidaktik und sze-nographischen Inszenierung des Themenspektrums hat eine gestalterisch sensati-onelle Schau hervorgebracht. 20 Installationen loten biographische Stationen und existentielle Prägungen, kognitive und ästhetische Modelle aus: Kleists Kadettenzeit, seine Wissensskepsis, die Schweiz, der Kampf mit Goethe, sein Nomadentum oder die politische Dialektik von Rebell und Terrorismus bei „Michael Kohlhaas“. Den gescheiterten Beamten symbolisieren monströse Aktenschränke, modisch verfremdete Puppen indes seine hybriden Frauenfiguren.

Jeder Raum ist mehrschichtig angelegt und erzählerisch strukturiert: Ein programmatischer Text führt perspektivisch in die Symbolik ein; Kleistsche Dokumente und historische Trouvaillen bilden die authentische Grundlage; dreidimensionale Bilder und Medienexperimente öffnen einen Assoziationsraum und stellen Gegenwartsbezüge her; eine Kleistiana-Mappe bietet je faksimilierte Schriftstücke und das Kleist-Phone ergänzt die Sicht akustisch. Tatsächlich ermöglicht dies dem Besucher ein neues, tieferes Eindringen.

Kleists kurze Zeit an der provinziellen, 1810 geschlossenen Viadrina führte ihn nicht zum deutschen Idealismus. Dafür assimilierte er sich das ihm Entsprechende, so Wünschs Gesetz der polaren Kontaktelektrizität. Das begriff er als „allgemeines Weltgesetz, das gleichermaßen physikalische wie moralische Erscheinungen regiert. Menschen verhielten sich in ihren Anziehungs- und Abstoßungskräften wie elektrische Körper.“ Dies Polaritätsgesetz macht aus der Welt einen immerwährenden „Ringkampf“. Kleist statuiert also einen Dualismus ohne ideelle Vermittlung. Er kennt kein höheres, kein drittes Prinzip. Dagegen hat er seine durch Zufall, Schock, Alterität der Extreme und schroffe Gesinnungsethik geprägte Weltsicht ausgebildet.

Sie bezeugt ein problematisches, doch ursprüngliches Ingenium. Als „preußi-schen Melancholiker“ hatte ihn Wieland empfunden und seinen vom „Schicksal gewaltsam niedergedrückten Stolz, die Exzentrizität der ganzen Laufbahn, worin er sich (…) hin und her bewegt hat, seine fürchterliche Überspannung, sein fruchtloses Streben nach einem unerreichbaren Zauberbild von Vollkommenheit (…)“ bitter registriert.

Sie führten Kleist, wir wissen es, zum Wannsee in seinen Freitod. Seine Poesie aber setzte sich durch. Und die Vision seiner Dichterkrönung hat die Nachwelt eingelöst.

Die Kleist-Ausstellung im Ephraim-Palais – Stadtmuseum Berlin ist bis zum 29. Januar täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. von 12 bis 20 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro. Telefon: 030 / 24 00 21 62, www.stadtmuseum.de

Die Schau im Kleist-Museum in Frankfurt/Oder wird bis zum 19. Januar täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr gezeigt. Der Eintritt kostet 3 Euro.

 www.heinrich-von-kleist.org

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