© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Latzhose mit Davidstern
Narren unter sich: Charlotte Knobloch stört sich an der Kleidung eines Berliner Abgeordneten der Piratenpartei
Doris Neujahr

Gerwald Claus-Brunner ist Pirat und somit einer derer, welche die Medien uns so eindringlich als neue Hoffnungsträger ans Herz legen. Er sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus. Mit seinen 39 Jahren ist er zwar aus den Flegeljahren raus, doch das ist kein Grund, sich nicht noch immer sehr jung zu fühlen. „Es kommt nicht darauf an, wie die Verpackung ausschaut, sondern was drinsteckt“, lautet sein Motto. „Wer lieber oberflächliche, glatte Menschen in dieses Gremium wählen möchte und keine bodenständigen, authentischen Menschen, der wird von mir wohl eher nicht bedient werden können.“ Seine Authentizität und Bodenständigkeit demonstriert er mit orangefarbener Latzhose, die an die Berufskleidung der Müllmänner erinnert, und mit einem Palästinensertuch, das er auch bei Totenehrungen im Plenum nicht abnimmt. So vorhersehbar, infantil und unerzogen.

Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, nahm das zum Anlaß, sich auf ihre alten Tage gleichfalls zur Närrin zu machen und sandte Claus-Brunner einen offenen Brief: „Bei aller Sympathie für Ihren politischen Protest, der sich durchaus auch in der Kleidung artikulieren kann, scheint es, als sei Ihnen die besondere Bedeutung dieses Tuches nicht in letzter Konsequenz bewußt“, schrieb sie. „Bewußt oder unbewußt“ signalisiere der Träger eine „nationale, antijüdische Gesinnung und Sympathie für Gewalttätigkeit im Kampf gegen die westliche Modernität“.

Claus-Brunner verzichtete darauf, die Gleichsetzung von „national und antijüdisch“ zurück- und auf den gefährlichen Präzedenzfall hinzuweisen (Moslemvereine könnten demnächst vorbringen, daß die Kippa sie nicht nur an eine uralte Religion, sondern auch an Landraub und Besatzung erinnere) und legte sein Tuch auch nicht etwa ab, sondern zusätzlich einen Davidstern an. Ein schönes Zeugnis, auf was für einem versöhnlichen Niveau das Problem der „nationalen, antijüdischen Gesinnung“ und der „westlichen Modernität“ in der deutschen Politik mittlerweile verhandelt wird. Frau Knobloch und den Piraten sei Dank.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen