© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Pankraz,
N. Sarkozy und die Lügen in der Politik

Fast rührend klang, was kürzlich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy – inoffiziell zwar, aber doch so, daß einige raffiniert in Stellung gebrachte Reporter-Mikrophone mithören konnten – über den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu verlautbarte. „Ich kann den nicht ausstehen“, sagte er zu US-Präsident Obama, „er ist ein Lügner.“

Weiß der Präsident Sarkozy wirklich nicht, daß faktisch alle Politiker (eingeschlossen er selbst) Lügner sind, vielleicht keine geborenen, aber auf jeden Fall gelernte, daß die Lüge zu ihrem Job dazugehört wie die Mutter zum Kind? Politiker lügen gewissermaßen von Natur aus. Die Sprache der Politik ist in jedem Fall und von Anfang bis Ende „peremptorisch“, das heißt: „die Wahrheit vernichtend“. Es geht ihr nicht um Wahrheit, sondern um Wirkung.

Der Politiker will „als Politiker“ mit allen seinen Reden etwas erreichen, ganz gleich, ob er nun im Privatleben ein blanker Zyniker oder ein hochmoralischer Ehrenmann ist. Da geht also einer fleißig in die Kirche, ist gut zu seinen Kindern, hält sich tatsächlich für einen vorbildlichen, tugendhaften Bürger – und findet überhaupt nichts dabei, sich im politischen Geschäft mit Hilfe von allen möglichen Lügen, Tricks und Halbwahrheiten nach oben zu strampeln, einen Konkurrenten nach dem anderen beiseite zu schieben und am Ende immer als Sieger und Champion dazustehen.

Gerade in Demokratien, wo nackte Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele verboten oder zumindest gesetzlich eingegrenzt ist (Gewaltenteilung), regiert die Politik der Lüge. Politik ist Kampf um die Macht, Macht ist, wie uns Max Weber belehrt, die Chance, den eigenen Willen auch gegen den Widerstand anderer durchzusetzen. Um das ohne Gewaltanwendung zu erreichen, sind eben alle möglichen Formen der Lüge notwendig, rhetorische Zweideutigkeiten, bewußt unklares, in viele Richtungen ausdeutbares Sprechen, gar nicht selten auch freches Verdrehen der Tatsachen mit Hilfe willfähriger Medien.

Jedermann weiß das, es gehört längst – zumindest hierzulande – zum Arsenal des gesunden Menschenverstands. Ernsthafte Politologen, die ihren Hörern nicht nur Ammenmärchen erzählen wollen, haben – in der Spur von Zelebritäten wie Konfuzius in China, Frontinus im alten Rom, Machiavelli in der Renaissance, bei uns zuletzt Gustav Rudolf Purroy in seinem Buch „Das Prinzip Intrige“ von 1987 – die Modelle der politischen Lügenproduktion exakt aufgeschlüsselt und beschrieben. Es sind vor allem drei: erstens die Methode „Billardstoß“, zweitens die Methode „Achillesferse“, drittens die Methode „Bypaß“.

Alle drei Methoden werden von den Politikern jeglicher Couleur und Altersklasse angewendet, manchmal einzeln, manchmal im Doppelpack, meistens im soliden Dreierpack.„Billardstoß“ meint dabei den rhetorischen Angriff um einige Ecken herum; der Gegner wird mit einem Netz aus „Desinformatia“ geradezu umstrickt, und es setzt gezielte Informationsverstärkung bzw. -abschwächung. Beispielsweise greift man kleine rhetorische Ausrutscher oder etwas peinliche Eigenheiten des Intrigenopfers auf und sorgt dafür, daß sie auch noch im letzten Winkel bekannt und von der Bild-Zeitung breitgetreten werden.

„Achillesferse“ lebt davon, daß man das Opfer auf seine eigenen Schwächen auflaufen läßt. Man zieht heimlich Stolperdrähte, stellt Fallen auf, erhebt im Brustton der Biederkeit Forderungen, von denen man genau weiß, daß sie das Opfer nicht oder nur unter größtem Gesichtsverlust erfüllen kann. Manchmal liegt die Achillesferse nicht beim Opfer selbst, sondern bei dem, der gegen das Opfer in Stellung gebracht werden soll.

Selbstverständlich kommt dergleichen nicht nur in der Politik vor. Um ein Beispiel aus der Literatur zu bringen: In Daphne du Mauriers Roman „Rebecca“ ermuntert die intrigierende Haushälterin die neue und von ihr gehaßte Ehefrau des Schloßherrn, zum Hausball ausgerechnet das Kleid von dessen tragisch ums Leben gekommener erster Frau anzuziehen, damit er sich entsetze und gegen seine neue Frau eingenommen werde. Hitchcock hat das Buch seinerzeit glorios verfilmt, auch viele Politiker werden den Film gesehen haben.

Bypaß“ schließlich, heute allgemein „Mobbing“ genannt, steigert die Intrige in Richtung Komplott und Verschwörung. Das Opfer soll die Übersicht über seine Anhängerschaft und ihre aktuelle Stimmungslage verlieren und so peu à peu vollständig isoliert werden. Nimmt man die eingangs erwähnte, angeblich so harmlose Äußerung des erfahrenen Politikers Sarkozy gegenüber Obama zum politischen Nennwert, so paßt sie am besten in das Schema Bypaß: Netanjahu soll von seinen nächsten Unterstützern isoliert werden, um ihm die Fortsetzung seiner ewigen Drohungen mit dem „Atomschlag“ zu erschweren.

Wie gesagt, so und nicht anders funktioniert Politik. Es kommt gewiß nicht von ungefähr, daß sie von den Weisen aller Breitengrade und Zeiten stets mit Skepsis betrachtet wurde, auch und besonders die genuin demokratische Politik mit ihren unabweisbaren Einladungen zu semantischer Täuschung und rhetorischem Über-den-Löffel-Balbieren. „Information pur“ gibt es in der Politik nicht (wie übrigens auch in der modernen Quantenphysik nicht). Jede Einzelinformation, und sei sie noch so „privat“, wird modelliert und spezifiziert durch die jeweilige Raum/Zeit-Lage des Redenden wie des Angesprochenen.

Informationen, auch die al-lereinfachsten, sind keine bloßen digitalen Bits, sondern es sind Wolken von Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, die unter Umständen verhängnisvoll in das Leben des einzelnen und der Völker  eingreifen. Andererseits: Politik muß natürlich sein, darüber besteht kaum ein Zweifel. Wer allerdings als prominenter Politikteilnehmer über Lügen und Intrigenwirtschaft wettert, setzt sich Verdächten aus. Er ist entweder ein Kindskopf, der von nichts eine Ahnung hat, oder aber ein besonders raffinierter Intrigant, der ein Übersoll erfüllt. Beides ist von Übel.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen