© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Linke Lust und Lampenfieber
Castor 2011: Seit Monaten planen Anti-Atom- Aktivisten ihre Aktionen / Abenteuerwochenende – Alles inklusive
Sven Foligowski

Etliche bunte Gestalten bewegen sich vorsichtig im Gänsemarsch durch das Waldstück. Es ist neblig und kalt, vereinzelt sind Schlachtrufe „Castor, Castor? Schottern!“ zu hören. Die Luft, mit Tränengas durchzogen, wirkt reizend in den Augen der vermummten Gestalten. Plötzlich werden durch den Nebel die Umrisse weiterer Personen sichtbar, die sich den Maskierten in Form einer Kette in den Weg stellen. Sie sind in dunkelblaue Schutzkleidung gehüllt, einzig ihr weißer Helm hebt sich ab. Es ist ein Trupp der Bundespolizei. Die Beamten sichern einen Steilhang, der zu einem Gleisbett führt. Aus dem Gänsemarsch der Vermummten entwickelt sich ebenfalls eine Kettenformation, die unmittelbar vor den Polizisten zum Stehen kommt.

Die Stimmung wirkt angespannt, als könne sie jeden Moment kippen. Völlig unerwartet rennen auf einmal einige der Vermummten auf die Uniformierten zu und versuchen, an ihnen vorbei auf das Gleisbett zu gelangen. Ihre Versuche scheitern. Die Beamten können die Einzelgänger abfangen und schubsen sie mit voller Kraft zurück in die Masse. Die Menschenmenge wirkt zunehmend aufgebrachter. Gegenseitig stacheln sie sich an. „Ich drohe Ihnen hiermit bei einem weiteren Versuch, auf die Schienen zu kommen, den Einsatz von Pfefferspray, Schlagstock und körperlicher Gewalt an“, schallt es aus dem Megaphon des Verantwortlichen der Polizei. Die Maskierten, von der Warnung gänzlich unbeeindruckt, lassen sich nicht aufhalten. Wieder gehen sie auf die zahlenmäßig unterlegenen Beamten los – während an anderer Stelle ein Schotter-Team die Schienen unterminiert.

Es ist nur eine Momentaufnahme aus einem seit 34 Jahren anhaltenden Dauerkonflikt um die Endlagerung des radioaktiven Abfalls im November 2010. Vom 24. bis zum 27. November 2011 soll sich alles wiederholen. „Der Widerstand gegen die Atompolitik ist längst nicht tot – weder im Wendland, noch im Rest der Republik. Er ist sogar überraschend lebendig ...“ untertitelt die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg eines ihrer Mo­bi­li­sie­rungsvi­de­os auf  ihrem „YouTube-​Chan­nel“.

Besser denn je sind die Anti-Atomaktivisten vorbereitet, wenn dieses Jahr  die wiederaufbereiteten Brennstäbe von Frankreich in das Zwischenlager nach Gorleben gebracht werden.

Gefeiert wird der kommende 13. Castor-Transport unter Atomkraftgegnern allerdings wie ein nationales Großereignis. Das Lampenfieber ist groß. Seit Mai organisiert das „Bündnis gegen den Castor 2011“ den Protest für das heißersehnte Spektakel im November. Unter anderem werden auch deutschlandweite Informationsveranstaltungen und Aktionstrainings abgehalten. Geschult werden hier unter anderem die verschiedenen Aktionstaktiken zum „Schottern“ – unter dem Begriff „Schottern“ verstehen Castor-Gegner das Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett, so daß die Strecke unbefahrbar wird – Blockieren und „Durchfließen“ von Polizeiketten.

Alles ist generalstabsmäßig geplant. Es gibt vielfältige Tips zur An- und Abreise und zum Widersetzen. Camps zum Aufwärmen, Verpflegen, Übernachten, mit Pressestelle und Demo-Sanis. Dazu eine Bettenbörse, ein „Musenpalast“ mit Non-Stop-Programm („jederzeit ohne Repressalien zu erreichen“), ein Fotowettbewerb („Das schönste X“), eine Extra-Ausgabe der Gorleben Rundschau sowie ein Spendenportal.  

Passend dazu sollen ab dem 24. November auf der Netzseite des Bündnisses ein Castorticker, aktuelle Fotos von der Onlinegruppe PubliXviewings, Live-Streams von Castor.TV und Radio freies Wendland sowie Nachrichten rund um den Protest von contrAtom-News bereitgestellt werden.

Das Signal zum Auftakt gab der „Wendländische Unruhetag“ am 12. November, bei dem es unter anderem gelang ein Polizeiquartier zu blockieren. Am 18. November folgt dann der „Klassiker der Mobilisierungsveranstaltungen!“ im Schützenhaus Dannenberg, auf dem die „Widerstandsgruppen“ ihre Mahnwachen-, Kundgebungs-, Sitz- und Treckerblockaden sowie Schotterpläne für die „heißen Tage“ vorstellen wollen.

Und der Widerstandsgruppen gibt es viele. Zu dem Bündnis gegen den Castor 2011 gehören unter anderem alteingesessene Organisationen wie die Bäuerliche Notgemeinschaft, die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg oder die Umweltschutzorganisation BUND, die linken Netzwerker von Campact (JF 45/10) jedoch auch weniger arrivierte Gruppen wie die „Kampagne Castor Schottern“.

Letztere macht keinen Hehl daraus, daß ihr Hauptziel darin besteht, die Schiene zwischen Lüneburg und dem Verladebahnhof Danneberg „unbefahrbar“ zu machen. Dabei wischen die Schotter-Aktivisten die Frage der Legalität locker beiseite: „Was wir tun, ist legitim. Das Atommüllager in Gorleben ist bereits jetzt eine Gefahr für die dort lebenden Menschen, und jeder CastorTransport erhöht das Risiko. Protest und Widerstand gegen die Atompolitik der Energiekonzerne und ihrer Regierungen ist nicht nur legitim, sondern moralisch geboten.“

Parallel dazu lassen die Schotterer auch keinen Zweifel an ihrem Feindbild Polizei aufkommen: „Nicht wir müssen uns fragen lassen, warum wir den Castor stoppen, sondern zum Beispiel die Polizist_innen, die den Castor durchprügeln wollen, warum sie derartig menschenverachtend und unmoralisch agieren.“

Die Unterstützerliste des Bündnisses ist lang und bildet eine Nomenklatur linker und linksextremer Organisationen. Neben Dutzenden Antifa-Gruppen, Antifaschistischen Aktionisten und Autonomen  Gruppen, befinden sich die Sozialistische Alternative, die Linkspartei, DGB- und DKP-Verbände, die Bündnisgrünen sowie die Piratenpartei.

Vor allem Antifa-Gruppen, verlinkt mit der militanten autonomen Gruppe „Atomststaat stillegen! Castor 2011 – weiträumig – unkontrollierbar – renitent“, machen mobil. Auch sie nimmt in ihrem Kampf für die „sofortige Stillegung aller Atomkraftwerke“ und  gegen das „ausbeuterische, kapitalistische System“ die Polizei ins Visier. Es gehe eben darum, genau die Kräfte ins „Visier zu nehmen, die alltäglich zum Bestehen“ der „Herrschaftsverhältnisse beitragen“. Entsprechend klar ist der Auftrag: „Die Fahrzeugkonvois der Polizei gehören blockiert, ihr Kriegsgerät sabotiert, ihre Suppe versalzen und ihre Toiletten, die sollen sie ewig suchen. Die Ruhe in den Kasernen soll nicht lange währen – Pause muß ein Fremdwort für die Handlanger_Innen der Atomindustrie werden. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten den Ordnungshüter_Innen ins Handwerk zu pfuschen.“

Bereits Anfang November hatte das Nachrichtenmagazin Focus über Interna des BKA berichtet, in dem vor linksextremen Castor-Krawallen gewarnt wurde. Diese könnten demnach sogar noch heftigere Ausmaße annehmen als die Eskalation 2010. „Die Abspaltung der autonomen Gruppen aus der breiten Kampagne ‘Castor schottern’ läßt auf ein militanteres Vorgehen während des Castor-Transports schließen“, heißt  es in der Analyse. Es sei gar mit gezielten Angriffen auf Polizeibeamte zu rechnen.

Auch der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kündigte im voraus ein hartes Durchgreifen der Polizei an. „Da gibt es für uns null Toleranz. Insbesondere wenn es sich um Angriffe gegen Logistik und Versorgungswege der Polizei handelt.“ Teilnehmer von Protestaktionen forderte er auf, sich klar von den linksradikalen Randalierern zu distanzieren.

In linken Internetforen wird indes dazu aufgerufen, diesmal den Protest bis nach Frankreich auszuweiten: „Wir rufen zu einer größtmöglichen Versammlung auf, um den Castor-Zug schon bei seinem Start zu blockieren. Die heimische Protestbewegung aus dem Wendland, die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg kritisiert unterdessen den Zeitplan. Demnach soll der Castor am 26. November im Verladebahnhof Dannenberg ankommen. Am gleichen Tag sei jedoch ebenfalls eine Großkundgebung der Atomgegner in Dannenberg geplant. Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative, gibt zu bedenken, daß die Atomgegner das Aufeinandertreffen der Kundgebung und des Transportes als Provokation sehen könnten. Angesichts dessen müsse man mit unkalkulierbaren Reaktionen rechnen.

Die Bürgerinitiative selbst will jedoch betont friedliche Protestaktionen durchführen. Sie zeigen sogar Verständnis für die Beamten im Dienst. Auf einer Expertentagung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Vorfeld des geplanten Castor-Transportes beteuerte Ehmke: „Ich möchte nicht in der Haut eines Polizisten stecken“ und betonte zugleich, daß kein politischer Konflikt so hart geführt werden dürfe, daß die Gesundheit von Menschen in Gefahr geriete.

Hehre Worte, wenn man die Zahlen des vergangenen Jahres zurückruft. Für den mit 92 Stunden bisher längsten Castor-Transport von der Wiederaufbereitungsanlage im französischen La Hague in das deutsche Zwischenlager Gorleben wurden 2010 nach Polizeiangaben knapp 20.000 Beamte eingesetzt. 131 von ihnen wurden während des Einsatzes verletzt, 78 von ihnen durch Angriffe mit Steinen und Flaschen.

Auch 2010 hatten die „Widerstandsgruppen“ zum aktiven Protest aufgerufen. Es gelang ihnen zwar nicht, den Transport zur Umkehr zu bewegen, zum Stehen aber schon. Erfolgreicher waren sie dagegen bei der Behinderung der Einsatz-, Versorgungs- und Nachschubwege der Polizei. Beamte waren so teilweise bis zu 30 Stunden im Einsatz. Bei vielen von ihnen stockte die Essensversorgung. Ihre Notdurft – vor allen Dingen die Polizistinnen sind in der Bredouille – mußten sie teilweise vor den Augen von Demonstranten verrichten, da es selbst an mobilen Toiletten fehlte.

Dennoch malte die Gewerkschaft der Polizei (GDP) ein positives Bild. Die Bürgerinitiativen hätten ihre „Linie ‘keine Gewalt – und die Polizei ist nicht unser Gegner, sondern die Politik’ weitgehend durch- und eingehalten“, lobte der niedersächsische GDP-Landesvorsitzende Dietmar Schilff. „Leider“ hätten „einige Straf- und Gewalttäter“ versucht die „positiv-friedliche Stimmungslage durch Angriffe auf Einsatzkräfte zum Kippen zu bringen.“ Doch „zum Glück“, so Schilff weiter, sei „Ihnen dieses nicht gelungen.“

„Dieser Einsatz hat wirklich alle Dimensionen gesprengt“, erklärte dagegen der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Vor allem stellte er mit Blickrichtung auf Berlin die Frage, ob der „massenhaft zelebrierte Rechtsbruch tatsächlich Ausdruck demokratischen Protestes sein“ könne.

gorleben-castor.de

castor-schottern.net

castor2011.org

 

Protestrucksack

Anti-Castor-Gruppen geben auf ihren Internetseiten nicht nur Tips für Aktionen, sondern weisen zudem auf die wichtigen Dinge hin, die ein Aktivist bei sich tragen sollte. Neben passender Kleidung und Proviant: feste Arbeitshandschuhe, Stilles Wasser – zum Ausspülen der Augen, Schutzbrillen gegen Pfefferspray, Trillerpfeifen und Ohrstöpsel, wasserdichte Jacke und Hose ( Wasserwerfer), feste Schuhe für lange Waldläufe, Erste-Hilfe-Set, Rettungsdecke und für das Gedächtnisprotokoll etwas zu schreiben. Bei Fotoapparaten gehen die Meinungen auseinander. Während die einen sie zur Dokumentation begrüßen, lehnen die anderen sie ab. Denn die „Gefahr – aus Versehen – Beweismittel für die Gegenseite zu fabrizieren“, sei groß. Entsprechend seien Fotografen vor Ort, die „verantwortungsvoll“ mit den Bildern umgehen.

Fotos: Anti-Castor- und Anti-Polizei-Protest (November 2010): Zwischen Lüneburg und Dannenberg versuchen Polizisten, die Aktivisten vom Bahndamm fernzuhalten; Plakate:  Castor „renitent“ stoppen und Gorleben „cool“ abwenden 

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