© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Fortschritt für den Acker
Landwirtschaftsmesse: Die „Agritechnica“ präsentiert eine erfolgreiche Branche / Mehr Effzienz durch Technik
Christian Vollradt

Bevor ein Landwirt sein Geld zum Finanzamt bringt, kauft er sich lieber einen neuen Trecker.“ Verschmitzt lächelnd begründet Bernd Scherer, Geschäftsführer im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), mit diesem Bonmot, warum es seiner Branche zur Zeit so gut geht. Voller Optimismus präsentiert sich die Landtechnik momentan auf ihrer weltweit größten Messe, der Agritechnica in Hannover. Allein in Europa wurden von Januar bis September über 120.000 Traktoren verkauft. In Deutschland erreichten die Verkaufszahlen den Stand von 1985, nur daß es damals noch doppelt so viele Betriebe gab.

Angesichts der steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln (Stichwort: Bevölkerungswachstum, JF 43/11) schauten Landwirte positiv in die Zukunft und investierten damit in neue Technik. Hinzu kommt der staatlich initiierte Absatz von Energiepflanzen (Stichwort: Biodiesel und E10-Superbenzin, JF 29/11). Auch Reinhard Grandke, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), sieht die Bauern im Aufwind: „Landwirtschaft ist ‘in’“, nicht nur für Deutschland , sondern weltweit. Eine in diesem Herbst veröffentlichte Umfrage der DLG ergab, daß 73 Prozent der deutschen Bauern davon ausgehen, daß ihr Betrieb auch in zehn Jahren noch ein Vollerwerbsbetrieb ist.

Damit das so bleibt, setzt man auf der Agritechnica auf „Smart farming“, die „Landwirtschaft mit K(n)öpfchen“, wie es im Messeprogramm heißt. Längst gilt nicht mehr die Parole „schneller, größer, breiter“, sondern „effizienter und intelligenter“. Mittels Sensoren und mit Datenbanken vernetzten Rechnern soll der Bauer seine Maschinen sowie Dünger und Pflanzenschutzmittel gezielter einsetzen können. So „merkt“ sich etwa ein Mähdrescher, wo auf dem Acker der Ertrag geringer ausfällt, so daß der Düngerstreuer an genau dieser Stelle mehr ausbringt. Und mittels Computer kann die Spurfolge des Traktors optimiert werden, wodurch sich der „unproduktive Weg“ des Fahrzeugs auf dem Feld um bis zu 42 Prozent reduziert. Sogar „Feldmanagement“ per Mobiltelefon soll möglich sein: Ein kleines Programm („Herakles-App) prüft, ob auf der jeweiligen Ackerfläche angesichts von Witterung und gesetzlichen Auflagen gesprizt oder gedüngt werden darf.

Die Hersteller setzen bei der Präsentation allerdings nicht nur auf Vernunft, sondern auch auf Show-Effekte. Richtig krachen läßt es etwa John Deere in Halle 13: Unter hämmernden Hardrock-Klängen stellen die Amerikaner, die in den fünfziger Jahren die Mannheimer Firma Lanz (Lanz Bulldog) übernahmen, einen neuen 350-PS-Schlepper vor, eine aufgekratzte Moderatorin läßt sich via Liveschaltung die Vorzüge der in der Halle verteilten Topmodelle erklären. Klappern gehört eben zum Geschäft.

Der 1913 gegründete ostwestfälische Landmaschinenhersteller Claas verweist nebenan auf den jüngsten Weltrekord, den eines seiner Mähdreschermodelle mit seinem zwölf Meter breiten Schneidwerk gerade erzielte. Überall packen eifrige Messehostessen tütenweise Werbematerial ein und verteilen es an die Besucher. Doch nicht nur die Branchenriesen können beeindrucken: Auf dem von der DLG herausgegebenen Imagebarometer der zehn „besonders guten“ Landtechnikunternehmen rangiert etwa das Oberpfälzer Familienunternehmen Horsch Maschinen in diesem Jahr auf Platz fünf. Firmengründer Michael Horsch, ein bekennend christlicher Unternehmer, tüftelte 1979 an Direktsaatmaschinen herum und legte damit den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte. Begünstigt durch den Trend der pfluglosen Bodenbearbeitung hat sich Horsch auf dem Markt für Sämaschinen und Grubber etabliert.

Für eine besondere Innovation hat die DLG den Traktorenproduzenten Fendt prämiert: Die mittlerweile zum US-Konzern AGCO gehörende Traditionsmarke aus dem Allgäu entwickelte eine GPS-gesteuerte Verbindung zweier Schlepper zu einer Einheit, so daß ein führerloses Fahrzeug einem anderen folgt und von dessen Fahrer mitgelenkt wird. Manches jedoch, was als Messeneuheit präsentiert wird, ist technischer Schnickschnack, der die Ingenieure begeistert, den Praktiker aber kaltläßt. Und was nutzt, so gibt ein Landwirt beim Messebesuch zu bedenken, all das Gerede vom „Smart Farming“, wenn im Jahr 2013 die nächste Agrarreform ins Haus steht: „Dann kommen aus Brüssel und Berlin wieder neue gesetzliche Vorgaben, die auf eine künstlich erzeugte, aber politisch gewollte Ertragsminderung hinauslaufen.“

Der sechsjährige Franz verschwendet daran noch keine Gedanken, er begeistert sich auf der Messe vor allem für die riesigen Traktoren, Mähdrescher und Feldhäcksler. Jedes Gerät muß bestiegen, jeder Knopf gedrückt werden. Daß ein finnischer Valtra sogar ganz ohne die sonst üblichen „Joysticks“ auskommt, stört nicht, im Gegenteil: „Guck mal, der hat noch richtige Hebel“, ruft der Vorschüler anerkennend. Am besten findet er natürlich den großen Raum unter dem Pressezentrum: Hier können kleine (und große) Jungs mit ferngesteuerten Modelltreckern und -maschinen im Maßstab 1:32 pflügen, walzen, drillen.

Mit leuchtenden Augen berichtet Franz noch, er habe bei einem Wettbewerb mit so einem Modell als schnellster 44 Gramm Linsen abgeladen. Wenn die Landwirtschafts- und Agrartechnikbranche optimistisch in die Zukunft schaut, dann liegt das vielleicht auch an solch einer kindlichen Begeisterung.

 

Messe Agritechnica 2011

Die „Agritechnica“ ist die weltweit größte Landtechnik-Ausstellung. Sie fand erstmals 1985 in Frankfurt am Main statt, seit 1995 alle zwei Jahre im Wechsel mit der Fachmesse „EuroTier“ in Hannover. Nach eigenen Angaben präsentieren sich in diesem Jahr über 2.700 Aussteller aus 48 Ländern. 2009 kamen etwa 350.000 Besucher, darunter 80.000 aus dem Ausland. Veranstalter der Messe ist die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), ein gemeinnütziger Verein der heimischen Agrar-und Ernährungswirtschaft mit etwa 20.000 Mitgliedern. Gegründet wurde die DLG 1885 – nach dem Vorbild der britischen Agricultural Society – „zur Förderung der deutschen Landwirtschaft in freier Selbstverantwortung“. Maßgeblich angeregt wurde die Gründung von dem schwäbischen Ingenieur und Schriftsteller Max
Eyth (1836–1906), der den mit eigenen Patenten verbesserten Dampfpflug international populär gemacht hatte. Die „Agritechnica“ läuft noch bis zum 19. November.

„Agritechnica“ auf der Hannover-Messe:  www.agritechnica.com

Foto: Mähdrescher mit Körnermais-Vorsatz: Trotz modernster Technik bleibt die Pflanzenproduktion weiter von Klima und Witterung abhängig

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