© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Gesetzliche Krankenkassen auf der Flucht in Fusion oder Pleite
Politische Fehlanreize
Jens Jessen

Die Zahl der Krankenkassen nimmt ab. Gab es 1970 noch 1.815 Gesetzliche Kassen, so sind es in diesem Jahr nur noch 153. Es fing im Mai mit einem Paukenschlag an: Das Bundesversicherungsamt (BVA) veranlaßte, die City BKK zum 1. Juli zu schließen. Die ab 2004 aus Betriebskrankenkassen entstandene Kasse häufte in den Jahren 2009 und 2010 etwa 50 Millionen Euro Schulden auf. Zudem befanden sich unter den 130.000 Versicherten überdurchschnittlich viele Rentner und Kranke. Auch die BKK für Heilberufe wird Ende Dezember geschlossen.

Angesichts dieser Versichertenstruktur war keine Kasse zu einer rettenden Fusion bereit. Die Kosten für einen derartigen Schritt wären zu hoch gewesen und hätten die übernehmende Kasse konkurrenzunfähig gemacht. Tumultartige Zustände brachen aus, als kolportiert wurde, daß den City-BBK-Mitgliedern keine ärztlichen Behandlungen mehr gewährt würden. Das ist natürlich Unsinn. Die Ärzte erhalten ihre Honorare nicht direkt von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), sondern von der Kassenärztlichen Vereinigung. Auch die DAK und die BKK Gesundheit sind angeschlagen. Trotzdem fusionieren sie 2012 zur DAK-Gesundheit.

Ein gutes Ende wird bezweifelt, da beide Kassen zu alte und zu teure Versicherte versorgen müssen. Dabei sollten die Finanzierungsgrundlagen der GKV diese Schwierigkeiten eigentlich nicht zulassen. Die GKV finanziert sich vor allem aus Beiträgen (derzeit 15,5 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen). Der Bund gewährt Zuschüsse aus Steuern. So wird etwa die kostenlose Familienversicherung von Kindern und Ehegatten mit 13,3 Milliarden Euro gestützt.

Seit 2009 saugt der Gesundheitsfonds die GKV-Einnahmen auf und verteilt das eingesammelte Geld nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand der Versicherten als pauschale Zuweisung an die Kassen. Solche mit vielen Versicherten, die alt sind und an teuren Krankheiten leiden, erhalten mehr Geld aus dem Fonds als Kassen mit gesunden Versicherten. Krankenkassen, die Überschüsse erzielen, können Prämien auszahlen. Reichen die Einnahmen nicht aus und sind keine Effizienzreserven vorhanden, müssen die Kassen einkommensunabhängige Zusatzbeiträge erheben. Das wurde DAK und BKK Gesundheit zum Verhängnis, sie hatten deshalb einen Mitgliederschwund zu beklagen. Durch die Fusion sollen Synergieeffekte erzielt werden, die Zusatzbeiträge obsolet machen, das BVA ist jedoch skeptisch. Die Flucht in Fusionen wird weitergehen, solange das System nicht verändert wird.

Denkbar sind Genossenschaften, die sich durch Zusammenschlüsse von Leistungsanbietern und Kassen im Rahmen der integrierten Versorgung einer Gesamtregion bilden. Finanzierungs- und Leistungsverantwortung lägen in einer Hand. Fehlanreize würden damit vermieden.

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