© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Der Flaneur
Dienst ist Dienst
Felix Springer

Nur der zufällig gemeinsame Heimweg hat mich an diesem Abend mit dem gut gekleideten Herrn zusammengeführt, der jetzt am Steuer neben mir sitzt und von sich und seiner Welt erzählt. Gemeinsam schießen wir über die nächtliche Autobahn und lassen die kleinen Lichter vieler Landstriche an uns vorbeirauschen.

Ich erfahre, daß er als Kaufmann bei einem großen deutschen Industrieunternehmen in leitender Position angestellt ist. Der Mittfünfziger wähnt sich „im besten Mannesalter“, er ist geschieden, hat zwei Töchter und pendelt im zweiwöchigen Turnus 700 Kilometer durch Deutschland, hin und wieder zurück, so auch heute. Seine Arbeit bezeichnet er als „Dienst“: Er telefoniert „dienstlich“ über „Dienstangelegenheiten“ („Was muß, das muß!“), und das elegante Auto ist für ihn ein „Dienstwagen“, den die Firma zur freien Verfügung bereitstellt – „da lassen die sich nicht lumpen.“

Vor einigen Monaten, so berichtet er mir, sei der Konzern von einer „feindlichen Übernahme“ bedroht worden. Man habe diese Bedrohung aber abwenden können. „Wir haben gekämpft wie die Löwen“, meint der graue Krieger, der fast einen Kopf größer als ich ist, stolz zu mir und streicht sich über die fliederfarbene Krawatte.

Er hat für sein weltweit handelndes und produzierendes Unternehmen schon in vielen Ländern und Städten gearbeitet, und wenn er mir die Vorzüge und Nachteile eines Standortes schildert, geht es zuerst um „Partykultur“, anschließend um Verkehrsleitsysteme und effiziente Flughafenlogistik. Bedauerlicherweise gäbe es oft nur entweder wildes Nachtleben oder einen gut organisierten öffentlichen Raum, selten beides zusammen. „Das ist natürlich mies.“

Kurz vor dem Ziel trennen sich unsere Wege. Und während der geschäftstüchtige Hüne in seinem Gefährt weiterbraust, trage ich mein Gepäck auf dem Rücken durch die Nacht nach Hause.

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