© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Die Leere des „Cicero“
Seit einem Jahr führt Michael Naumann das Magazin – seitdem ist vieles anders, aber nichts besser geworden
Manfred Günther

Eigentlich hat Michael Naumann auch einmal Lob verdient:  Schließlich bemüht er sich, wenigstens ein bißchen wie ein Konservativer zu denken. Anderen Hamburger Sozialdemokraten – ob Schmidt oder von Dohnanyi – ist das bei Bedarf ja auch gelungen. Naumann hatte jedenfalls bei einer Podiumsdiskussion in Berlin so einen Moment, da ging ein katholischer Geistlicher auf einen Atheisten los, weil dieser die christlich-jüdische Lehre als „kindischen Aberglauben eines Hirtenvolkes“ verunglimpft hatte und wurde dafür im Anschluß von Naumann für seine übertriebene „Political Correctness“ getadelt. Immerhin ein Anfang.

Doch leider gibt es auch noch Cicero – jenes einst liberalkonservative Magazin, das Naumann seit anderthalb Jahren als Chefredakteur führt, und in dem Monat um Monat zu lesen ist, daß es um die politische Läuterung des „Elbblicksozialisten“ und „roten Schönlings“, wie Naumann genannt wird, nicht weit her ist.

Die eigene Farbe, die das Magazin unter der Führung von Wolfram Weimer, der inzwischen als Focus-Chefredakteur gescheitert ist, stets ausgemacht hat, ist jedenfalls verblichen und vermag im allgemeinen Meinungsgrau der deutschen Medienlandschaft kaum mehr herauszustechen.

Als Naumann antrat, gab es einen großen personellen Austausch wohl auch in der Leserschaft, die nur noch dezent wächst – am Kiosk ist sogar eine Trendwende eingetreten. Kommentare von ehemaligen Cicero-Mitarbeitern verfolgte Naumann damals mit Rage und widersprach, wo es nur ging, dem Vorwurf, das Heft auf einen politisch linken Kurs bringen zu wollen.

Dem Vorwurf des Ex-Online-Redaktionsleiters Alexander Görlach, einen Linksruck vollzogen zu haben, begegnete er mit einer Unterlassungserklärung und protestierte in diversen Interviews: „Es gibt hier keinen politischen Richtungswechsel, der in diese Links-Rechts-Schablone passen würde. Die Verhältnisse sind komplizierter geworden, die alten ideologischen Schubläden, in die man Journalisten und sogar ganze Magazine steckte, gibt es nicht mehr.“

Eine heutige Begutachtung des Blattes zeugt nicht gerade von der Richtigkeit dieser Ankündigung. Konservativ ist Cicero höchstens in seiner Titelbildgestaltung – wenn an dem Klischee etwas dran ist, daß Konservative naturalistische Darstellungen bevorzugen.

Dort, wo das alte Cicero Mut bewies und Künstler bat, das aktuelle Thema zu gestalten, finden sich heute biedere Illustrationen, die manchmal den Eindruck erwecken, man habe am Bahnhof von einem der Zeugen-Jehova-Rentner einen Wachtturm erstanden. Die von Alt-Artdirektor Wolfgang Behnken, der schon unter Henri Nannen den Stern gestaltete, geleitete Relaunch zeitigte erwartungsgemäß wenig Impulse.

Wer sich inhaltlich in die Welt des Cicero begibt, erfährt nicht viel Neues oder anderes, als überall sonst. Ein Allgemeinplatz folgt dem anderen. Die Zeiten, in denen eine Eva Herman für ihre Thesen Platz fand, Peter Sloterdijk ein Plädoyer für mehr Freiheit verfasste und auch einmal provokativ „Vergeßt Habermas“ ausgerufen wurde, sind deutlich vorbei.

Ein Blick in die letzten Ausgaben zeigt allzu Bekanntes, das überall sonst auch stehen könnte und auch steht. Seine Sonderstellung als Forum für überraschende Meinungen hat Cicero lange eingebüßt.  Auf dem September-Titel propagiert Cicero die  „Zähmung des Raubtiers Kapitalismus“ und läßt dies von einer Liste von Prominenten wie Gregor Gysi, Oskar Lafontaine oder Ursula Engelen-Kefer einfordern – allesamt Linke, verbrämt durch den Beitrag von CSU-Chef Horst Seehofer, der selbstverständlich auch nicht widerspricht. Danach fordert immerhin Carl Christian von Weizsäcker unter der Überschrift „Verschuldet euch! – Nur Sparen ist Unsinn“ höhere Defizite, was dessen im Staatsdienst gewesene Vorfahren glücklicherweise nicht mehr lesen müssen. Der scheidende EZB-Chef Trichet findet in einem großen Abschiedsinterview, daß „die Aufsicht der Märkte zu locker“ gewesen sei.

Und zum Schluß zeigt auch noch Annie Leibovitz, die große amerikanische Fotografin, ihre besten Bilder. Sinnvollerweise wird die Dame nicht interviewt, sonst hätte der Leser vielleicht erfahren, daß von Weizsäckers Aufruf zur fröhlichen Verschuldung nicht nur den Lehren des historischen Cicero („Sparsamkeit ist eine gute Einnahme“) widersprochen hätte, sondern auch ganz real in den Bankrott führt. Die Frau ist nämlich hochverschuldet und pleite.

Oft hat Michael Naumann, der im Dezember siebzig Jahre alt wird, wiederholt, daß er seinen Dreijahresvertrag nicht zu verlängern gedenkt. Wie aus dem Verlagshaus Ringier zu hören ist, werden bereits dezent Gespräche mit potentiellen Nachfolgern geführt. Ob es seinem Nachfolger gelingen wird, das Magazin nach diesem jüngsten Linksschwenk doch noch zu einem konservativen Leib- und Magenblatt auszubauen, darf bezweifelt werden.

Foto: Magere Bilanz: Die Zeiten der großen Auflagensteigerungen des „Cicero“ sind unter dem neuen Chefredakteur Michael Naumann eindeutig vorbei

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