© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Lockerungsübungen
Politik in Volkes Auftrag
Karl Heinzen

Als Bundestagspräsident verantwortet Norbert Lammert die betrieblichen Abläufe des Parlaments. Zugleich darf er als Verkörperung des Prinzips der repräsentativen Demokratie angesehen werden. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau hat er nun unter Beweis gestellt, daß er diese Rolle glänzend beherrscht. Den angesichts der Euro-Krise zu vernehmenden Vorschlägen, über politische Kernfragen sollte unmittelbar das Volk entscheiden, tritt er beherzt entgegen. Unsere Verfassung, so sein berechtigter Hinweis, sieht Referenden auf Bundesebene gar nicht vor. Wo sie in den Ländern und Kommunen als Möglichkeit eingeräumt wurden, sind Haushalts- und Steuerfragen aus gutem Grund ausgeklammert. Die Versuchung, das Wünschenswerte mit dem Machbaren zu verwechseln, ist für den Bürger einfach zu groß, als daß man ihn ihr aussetzen dürfte. Auch für den keineswegs unwahrscheinlichen Fall, daß die fortschreitende europäische Integration den vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Rahmen überschreite, sieht Lammert keinen Bedarf, die Wähler zu einer Volksabstimmung zu bitten. Eine dann erforderliche Grundgesetzänderung könnten Bundestag und Bundesrat in eigener Regie vornehmen.

Im Kern geht es ihm aber nicht um Prinzipien, sondern um die Handlungsfähigkeit unseres Staates. Als säkularer Ersatz für die Vorstellung einer Herrschaft von Gottes Gnaden vermittelt die Ideologie der repräsentativen Demokratie den Untertanen nicht bloß das Gefühl, Politik würde in ihrem Auftrag betrieben und es ginge in ihr daher mit rechten Dingen zu. Sie entlastet den Bürger auch von der Zumutung, sich eine Meinung zu politischen Fragen zu bilden, von denen er nichts versteht. Aus gutem Grund hat sich die repräsentative Demokratie in den vergangenen 150 Jahren als der Regelfall politischer Herrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft etabliert.

Das Plebiszit hingegen ist ein Instrument, das Ausnahmesituationen vorbehalten bleiben muß. Es setzt ein autoritäres Regime voraus, das sich ein Parlament allenfalls noch zur Zierde hält und der Legitimation durch Referenden insbesondere dann bedarf, wenn es die Rechte und Lebensbedingungen der Bevölkerung weiter einschränken möchte. Von einer Diktatur im Namen der Werte des Grundgesetzes sind wir aber noch ein Stück entfernt.

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