© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Die Spreu vom Weizen trennen
Warum Politiker werden? Der spanische Schriftsteller Javier Marías unterscheidet fünf Gruppen
Michael Ludwig

In seiner Kolumne in der Tageszeitung El Pais hat der spanische Schriftsteller Javier Marías, der sich mit seinen Romanen „Mein Herz so weiß“ und „Morgen in der Schlacht denk an mich“ auch in Deutschland einen guten Ruf erworben hat, kürzlich eine längst fällige Frage gestellt: „Warum wollen Menschen Politiker werden? Niemand findet sie sympathisch oder bewundert sie – außer die mit Blindheit geschlagenen Mitglieder der eigenen Partei; man beschuldigt sie aller schlechten Dinge; man beleidigt sie, klagt sie des Diebstahls und der exzessiven und fortgesetzten Korruption an; man beschimpft sie als faul und inkompetent; sie erscheinen den Bürgern als Marionetten ökonomischer Macht. Der ganze Ärger lohnt sich nicht, so daß man eigentlich nur den Kopf darüber schütteln kann, daß es so viele Anwärter gibt, die den Hampelmann zum Abwatschen spielen wollen.“

Der große Soziologe Max Weber hat in seinen Vorträgen über „Politik als Beruf“ Verantwortungsgefühl, Augenmaß und Leidenschaft als Voraussetzungen für diese Tätigkeit genannt. Marías würde über diese Euphemismen vermutlich nur lachen, aber man darf nicht vergessen, daß seit Webers Forderung zwischenzeitlich über 90 Jahre vergangen sind und Spanien ein ganz anderes Feld ist, auf dem Politik gedeiht. Jenseits der Pyrenäen vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht einen neuen Korruptionsskandal an das Licht der Öffentlichkeit zerren, in dem Politiker in der Regel eine unrühmliche Rolle spielen. Deutschland ist im Vergleich zu Spanien diesbezüglich eine sittsame Dame, die sich nur ab und zu einen Fehltritt gönnt, währenddessen ihre südländische Freundin den Sündenfall nahezu als Normalität praktiziert.

Marías beantwortet die Frage, warum trotz des schlechten Leumunds noch immer viele junge Menschen den Weg zum Berufspolitiker einschlagen wollen, damit, daß die Mehrzahl von ihnen auf den eigenen Vorteil aus ist und dabei das Geschimpfe der Bürger gern in Kauf nimmt, Hauptsache die Kasse und die Streicheleinheiten für das Ego stimmen. Nach Ansicht des Schriftstellers können Politiker, die von Marías wenig schmeichelhaft als „Subjekte“ bezeichnet werden, in fünf Gruppen eingeteilt werden:

Erstens: mittelmäßige Subjekte, die nirgendwo anders die Chance bekämen, Karriere zu machen, außer im öffentlichen Raum der Politik. Sie würden normalerweise ein höchst kärgliches Dasein fristen. (Das gilt auch für Deutschland – oder kann man sich beispielsweise Pofalla im Aufsichtsrat eines großen Unternehmens vorstellen? Schwerlich. Da fällt einem schon eher ein kleiner mittelständischer Betrieb ein, in dem er die Materialeingänge abhakt).

Zweitens: Subjekte, die eine Möglichkeit sehen, sich zu bereichern.

Drittens: Subjekte, die sich danach sehnen, Macht auszuüben; denen es gefällt, wenn man sie um etwas bittet, und die gleichzeitig über die Möglichkeit verfügen, diese Bitte abzulehnen; Subjekte, die immer wieder im Fernsehen auftreten; kurzum: die danach gieren, „jemand zu sein“.

Viertens: Fanatiker mit ihren Ideen und Zielen, die darauf bedacht sind, sie anderen aufzuzwingen. (In Deutschland sind solche Subjekte vor allem in der Linkspartei in großer Zahl vertreten.)

Fünftens, nicht zuletzt: Menschen mit der wahren Berufung zur Politik. Marías definiert sie als Männer und Frauen, die vom Geist des Dienens erfüllt sind, die daran glauben, nützlich zu sein, und die alles daransetzen, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern.

Für Marías stellt sich nun die Frage, warum die Wähler nicht in der Lage sind, die guten Politiker der fünften Gruppe von den verwerflichen der vier anderen zu trennen. Er hat nur eine Erklärung dafür – Politiker, die ihre Ämter vor allem als Futtertröge und emotionale Jungbrunnen sehen, sind wahre Weltmeister im Heucheln, Lügen und Kopieren. „Sie reißen sich die Diskurse, die von der fünften Gruppe angestoßen werden, unter den Nagel und präsentieren sich dabei als uneigennützige und selbstlose Menschen“, schreibt der in Madrid lebende 60jährige Schriftsteller.

Die Spreu vom Weizen zu trennen ist die vornehme Aufgabe des Wählers. Es gibt Zeiten, die sich vortrefflich dazu eignen, dies zu tun. Die Gegenwart mit ihrem Euro-Wahnsinn, den verlogenen frommen Sprüchen und dem Verlust jedweder Realität, wenn es um die finanziellen Dimensionen geht, ist so eine.

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