© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Kompetent und kokett
Schweiz: Natalie Rickli – das neue, erfolgreiche Gesicht der rechtsbürgerlichen SVP
Frank Liebermann

Die Nationalratswahlen Ende Oktober waren kein guter Tag für die Schweizerische Volkspartei (SVP). Das erste Mal seit 1987 mußte die rechtsbürgerliche Partei einen Stimmenrückgang hinnehmen. Gnadenlos traten die Schwächen der erfolgsverwöhnten Partei ans Licht der Öffentlichkeit. Die über 20jährige Erfolgsgeschichte der Partei, die stark mit dem Modernisierungskurs durch den ehemaligen Parteichef Christoph Blocher zusammenhängt, nahm ein abruptes Ende. Und während Verluste von rund zwei Prozent in Deutschland keine Welt sind, bedeuten diese in der Schweiz einen Erdrutsch, da das parlamentarische System hier meist nur geringen Schwankungen unterliegt.

Selbst das SVP-freundliche Magazin Weltwoche titelte „Die Selbstdemontage“ und bezeichnete die Partei als „denkfaul, dünkelhaft“ und mit „taktischem Unvermögen“. Zumal die Wahlniederlage in einem politischen Klima stattfand, welches für die SVP eher freundlich war. Die EU und der Euro sind in einer gigantischen Krise, der Ausländerzuzug in die Schweiz verursacht dort Probleme mit Kriminalität, aber auch der Verknappung von Wohnraum, und die restlichen Parteien zeichnen sich durch eine große Substanzlosigkeit und Beliebigkeit aus.

In dieser Situation tritt immer klarer eine neue Hoffnungsträgerin in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Natalie Rickli vertritt eine neue Generation von SVP-Politikern. Bei den Wahlen konnte sie triumphal an der alten Riege vorbeiziehen, die sich auf die vorderen Listenplätze gesetzt hatten.

Obwohl Rickli vom siebten Listenplatz aus startete, erreichte sie das beste Ergebnis aller SVPler in Zürich. Sie zog mit über 6.500 Stimmen an Christoph Blocher vorbei – was eine Riesenblamage und Demütigung für den Chefstrategen der Partei darstellt. Bereits vor der Wahl galt die Nachwuchspolitikerin als Talent, heute ist sie die neue Lichtgestalt. Das Scheitern der SVP ist vor allem ein Versagen der alten Eliten. Schon lange ist die SVP keine Volkspartei mehr. Die Richtung gibt ein kleiner Kreis um den 71jährigen Christoph Blocher, Vordenker Christoph Mörgeli und den bubihaft wirkenden Parteichef Toni Brunner vor.

Das Wahlergebnis wird den personellen Wandel beschleunigen. Rickli weiß, wie sie sich in Szene setzen muß. Beruflich arbeitet sie im Medienbereich, wo sie Werbung für Privatsender vermarktet. Aber auch die Eigenwerbung beherrscht sie perfekt Als sie für eine medienpolitische Initiative zur Senkung der Rundfunkgebühren keine Mehrheit fand, startete sie einen Aufruf via Twitter und Facebook. Innerhalb kürzester Zeit sammelte sie so über 140.000 Unterzeichner. Parlamentarisch hatte dies zwar keinen Einfluß, aber die Marke „Rickli“ wurde populärer, vor allem bei jungen und internetaffinen Menschen – die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag kürt sie entsprechend zur „gefährlichsten Frau der SVP“.

Die 35jährige wuchs zusammen mit einer Schwester in einer Arbeiterfamilie in der Nähe von Winterthur auf. Nach Trennung ihrer Eltern und einer kurzen Teenager-Rebellion, in der sie sich auch ein „Arschgeweih“ tätowieren ließ, trat die damals 19jährige im Jahr 1996 in die Junge SVP ein.

Warum? Ausschlaggebend, so Rickli, sei ein Ereignis vier Jahre zuvor gewesen. Es war ein „linker Lehrer“ während ihrer Ausbildung, der ihr und den Mitschülern den EWR-Beitritt der Schweiz „schmackhaft machen wollte“. Da dessen Argumente sie „ganz und gar nicht“ überzeugten, habe sie sich selber informiert und sei dann „zum Schluß gekommen, daß ein EWR-Beitritt unweigerlich zu einem EU-Beitritt führen, unserer direkten Demokratie schaden und die Schweizer Unabhängigkeit gefährden würde.“ Vor diesem Hintergrund habe sie die Politik „regelmäßig weiterverfolgt und gemerkt“, daß sich ihre und die Anliegen der SVP „weitgehend decken“.

Mit Verve folgt Rickli ihrem politischen Credo: Für eine unabhängige, sichere und selbstbewußte Schweiz –  gegen zunehmende Bürokratie, Gesetzesflut und die Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Parallel dazu kämpft sie, ganz der SVP-Linie entsprechend, für eine Kehrtwende in der Ausländerpolitik („‘Anreize’ für die Integration sind unnötig – Integration muß eine Selbstverständlichkeit sein. Und wer sich nicht integrieren will, soll auch nicht hier leben“) und macht keinen Hehl aus ihrer Antipathie gegenüber Quoten („Viele Frauen wollen einfach nicht in die Politik. Das muß man akzeptieren und nicht auf Quoten drängen“) und dem „Geschrei nach Gleichstellung“.

Ricklis Karriere verlief steil: Im Alter von 25 Jahren zog sie in den Stadtrat ein, mit 30 wurde sie Kantonsrätin und kurz später Nationalrätin. Ricklis Erfolg basiert auf einem Mix. Jung, hübsch und Frau ist nur eine Komponente, vermutlich die am wenigsten wichtige. Ähnlich wie Edmund Stoiber gilt sie als Aktenfresserin. Sie setzt sich intensiv mit ihren Dossiers auseinander, hat stets Fakten parat und ist fachlich absolut kompetent. Selbst erfahrene Politiker müssen sich in Diskussionen warm anziehen. Hinzu kommt die Verdrossenheit über das alte SVP-Personal. Viele Wähler sind mit der generellen Parteilinie einverstanden, halten aber nichts vom alten Personal. Auch das kommt Rickli entgegen. Sie profiliert sich nicht gegen, sondern mit der Partei. Dazu paßt auch der Ausspruch, daß sie „eher sterben“ als der BDP beitreten würde, einer Abspaltung der SVP.

Ob die SVP wieder in erfolgreichere Gewässer zurückkehren kann, wird sich in den nächsten Monaten entscheiden, wenn die personellen Weichen gestellt werden. An Natalie Rickli wird die SVP diesmal nicht mehr vorbeikommen.

http://www.natalie-rickli.ch

Foto: Nationalrätin Natalie Rickli am Wahlabend (23. Oktober): Christoph Blocher in die Schranken gewiesen

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