© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

„Aufgeben werden wir nicht“
Ehrenmale: Wie ein fehlender Kopf einen Ort dazu brachte, über im Krieg gefallene Soldaten nachzudenken
Hinrich Rohbohm

Der Mann ohne Kopf ist Kult. „Wir kennen ihn gar nicht anders. Ehrlich gesagt war ich ganz verdutzt, als das Ding plötzlich wieder ein Haupt hatte“, sagt eine ortsansässige junge Architektin. Sie meint das Kriegerdenkmal von Langendreer, einem Stadtteil im Osten Bochums. Eine 8,50 Meter hohe quadratische und spitz zulaufende Säule aus Kalksandstein mit dreistufigem Unterbau. An der Vorderseite steht ein 2,85 Meter großer Soldat, den Helm unter dem rechten Arm tragend, das Gewehr bei Fuß. Doch dort, wo der Kopf sitzen soll, ragt lediglich eine Metallstange aus dem Rumpf der Figur. Radikale Gruppen hatten das 1929 zum Gedenken an die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges errichtete Denkmal geschändet, das Haupt des Soldaten am 31. Oktober 1987 mit einer Säge entfernt. Kranzniederlegungen zum Volkstrauertag finden hier inzwischen nicht mehr statt. Ein Vorgang, der in Deutschland kein Einzelfall ist.

Kriegerdenkmale fristen heute ein äußerst stiefmütterliches Dasein. Städte und Gemeinden verbannen sie von ihren einst zentralen Plätzen im Ort auf abgelegene Parks oder Friedhöfe. Sie werden mit Farbe beschmiert und von linken Gruppen geschändet. Manche Überreste landen auf Bauhöfen oder in verstaubten Ecken von Rathauskellern.  „Die Pflege läuft mehr schlecht als recht“, sagt eine Sprecherin des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK). Vor dem Volkstrauertag würden die Denkmäler auf Vordermann gebracht. Aber den Rest des Jahres würden viele Kommunen sie stark vernachlässigen. „Wir kümmern uns um die Kriegsgräber. Für die Pflege der Kriegerdenkmale ist aber in der Regel die Kommune zuständig“, heißt es etwa vom VDK Sachsen.  In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus, wenngleich es auch Fälle gibt, in denen sich Vereine eines Ehrenmals annehmen. Kyffhäuserbund, Kriegervereine und Reservistenverbände haben in der Vergangenheit diese Aufgabe übernommen. Viele von ihnen klagen heute jedoch über Nachwuchs-probleme, Überalterung und immer weniger Kameraden, die  sich für ein ehrenhaftes Andenken gefallener Soldaten einsetzen.

Eine dieser selbstlosen Organisationen ist die Ehrenmalvereinigung Langendreer. Es sind nicht viele, die hier mitwirken. Knapp zehn Personen. Als der Kopf des Soldaten abgesägt worden war, sind sie aktiv geworden. Ihr Ziel: Mit Köpfchen einen neuen Kopf für den Soldaten erhalten. Reflexartige Reaktionen wurden daher vermieden. „Wir wollten, daß sich die Gemüter auf allen Seiten erst einmal wieder beruhigen“, erzählt Dieter Maiweg, Vorsitzender der Ehrenmalvereinigung. Zumal es damals auf einer späteren Stadtratssitzung hoch hergegangen war. Eine Grünen-Vertreterin äußerte, sie wolle das Denkmal am liebsten abreißen. Ehemalige Kriegsteilnehmer entrüsteten sich. „Ich bin als Soldat in Gefangenschaft gekommen, sie dumme Pute wissen gar nicht, was das bedeutet“, empörte sich ein Zuhörer über die Abrißgedanken. Die Ehrenmalvereinigung setzte auf Ruhe, Geduld und Ausdauer, warb im Laufe der Jahre beim örtlichen Geschichts- und Verkehrsverein die Summe von 10.000 Euro ein. Genug, um die Gestaltung eines neuen Kopfes in Auftrag geben zu können. So erhielt der Soldat im Jahr 2004 sein neues Haupt. Und erfreute sich plötzlich einer größeren Beachtung als zuvor.

„Ich komme hier nahezu täglich vorbei. Das Denkmal hat mich nie sonderlich interessiert. Aber als auf einmal dieser Kopf drauf war, hat man ganz automatisch näher hingesehen“, erinnert sich ein Ortsansässiger. „Auf einmal fingen wir bei uns an, über das Denkmal zu reden“, erinnert sich ein weiterer Anwohner. Und sein Nachbar gibt zu, daß er sich „da überhaupt das erste Mal Gedanken über den tieferen Sinn des Ehrenmals gemacht“ habe. Im vorigen Jahr, wenige Tage vor dem Volkstrauertag wurde der Kopf erneut gestohlen. Erst vor wenigen Tagen gab es eine linke Demonstration gegen Neonazis im Ort. Als der Demonstrationszug am Ehrenmal vorbeikam, skandierten ihre Teilnehmer: „Der Kopf ist ab.“ Das Denkmal wurde erneut Gesprächsthema. Doch was als Hohn und Spott gegen das Andenken verstorbener Kriegsteilnehmer beabsichtigt war, brachte dem Ehrenmal erneut mehr Aufmerksamkeit, als es ihm mit Kopf je zugekommen wäre. „Früher dachte ich, das Denkmal steht für Ansichten von vorgestern und verherrlicht Krieg und Gewalt“, erinnert sich die Architektin an ihre Wahrnehmung als Schülerin. „Heute denke ich anders darüber.“ Auch über die Zerstörungswut linker Gruppierungen mache sie sich jetzt Gedanken. Während der Diebstahl auf der linksradikalen Internetplattform Indymedia bejubelt wurde, brachte das Denkmal hingegen auch einige andere Bürger Langendreers zum Nachdenken. „Man muß sich schon fragen, ob es in unserem Land schon wieder so weit gekommen ist, daß radikale Chaoten mit Gewalt und Zerstörung antworten, statt mit Argumenten“, meint ein Verwaltungsbeamter.

Eine Rentnerin kann dem kopflosen Soldaten sogar etwas Positives abgewinnen. „Eine bessere Mahnung vor Krieg und Gewalt kann es doch gar nicht geben, das fällt doch auf die Täter zurück“, meint sie. Und steht mit dieser Auffassung offenbar nicht allein da. „Auch innerhalb der Ehrenmalvereinigung gibt es Stimmen, die den Soldaten als mahnendes Symbol noch eine gewisse Zeit ohne Kopf belassen wollen“, verrät Dieter Maiweg, der betont, daß sich die Ehrenmalvereinigung deutlich von links- und rechtsradikalen Positionen distanziere. Schließlich hätten auch die Kriegerehrenmalvereine unter totalitären Zeiten gelitten. Während der NS-Diktatur waren sie aufgelöst und dem NSDAP-Machtapparat einverleibt worden, eine Metallplatte des Ehrenmals von Langendreer wurde für Kriegszwecke eingeschmolzen. Maiweg möchte erreichen, daß bald auch wieder Kränze zum Volkstrauertag am Denkmal niedergelegt werden. Und daß der Soldat nach einiger Zeit auch wieder einen Kopf bekommt. Die Kosten hierfür beziffert er auf mindestens 15.000 Euro. Eine Summe, die der Verein derzeit noch nicht aufbringen kann. „Aufgeben werden wir nicht“, sagt Maiweg, der sich bewußt ist, daß sich heutzutage nur wenige Leute für sein Vorhaben mobilisieren lassen. Für die Herstellung eines neuen Kopfes wurde schon einmal Kontakt zu einem Steinmetz aufgenommen.

„Ich fühle mich meinen Vorfahren und dem Ort verpflichtet“, nennt Maiweg den Grund für sein Engagement. Der gelernte Landwirt zählt zu den Urgesteinen von Langendreer, sein Bauernhof befindet sich seit 750 Jahren in Familienbesitz. Sein Urgroßvater war Baumeister, der einst selbständige Ort Langendreer wurde von ihm maßgeblich mitgestaltet. „Sogar eine Maiwegstraße gibt es hier“, sagt der 67jährige, der versichert: „Solange ich Vorsitzender bin, wird das Denkmal bleiben.“

Ehrenmalvereinigung Langendreer  Spendenkonto: Volksbank Bochum Witten e.G., BLZ: 43060129, Kto-Nr.: 570362950 

 

Volkstrauertag

„Um die Toten zu ehren, die der Weltkrieg uns in unabsehbarer Zahl entriß, um das Fleckchen Erde zu bewahren und zu schützen, das ihnen die ewige Ruhestätte bietet, um den Hügel zu pflegen, den der Witwe Hand nicht mehr erreicht, weil er im fernen Lande sich erhebt, um auch derer zu gedenken, die an unbekanntem Orte fielen und deren letzte Seufzer niemand vernahm – hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge alle Glieder des Volkes in gemeinsamem Gedenken gesammelt, haben wir uns heute im Hause der deutschen Volksvertretung zu einer Weihestunde zusammengefunden.“ Mit diesen Worten leitete 1922 Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) die erste Rede zur Feier des Volkstrauertages ein.

Der wird ab 1926 in Deutschland regelmäßig am fünften Sonntag vor Ostern („Reminiscere“, zu deutsch: Gedenke) begangen, als Zeichen der Solidarität derjenigen, die keinen Verlust zu beklagen hatten, mit den Hinterbliebenen der Toten.  Die zentrale Feier wurde damals bereits im Rundfunk übertragen. Gesetzlichen Schutz erhielt der Volkstrauertag allerdings erst in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Feiertagsgesetz vom 27. Februar 1934. Dabei benannte man den Volkstrauertag in „Heldengedenktag“ um und entzog dem Volksbund die Trägerschaft. Außerdem wurde der Gedenktag ab 1939 aus dem Kirchenjahr gelöst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Volkstrauertag nur in der Bundesrepublik wiederbelebt, in der DDR beging man statt dessen eine Feier für die „Opfer des Faschismus“.  Im Jahr 1952 empfahl das Bundesinnnenministerium die Verlegung auf den vorletzten Sonntag im Kirchenjahr. Damit war der Volkstrauertag erneut ein gesetzlich geschützter Feiertag, an dem „öffentliche Lustbarkeiten“ untersagt sind. Die Ausgestaltung der Veranstaltungen ist seitdem wieder in Händen des Volksbundes. Außerdem wurde die Gruppe erweitert, derer gedacht wird: Dazu zählen nun neben den gefallenen Soldaten der Weltkriege auch die zivilen Opfer des Bombenkrieges, von Flucht und Vertreibung, zudem die Verfolgten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Foto: Soldat ohne Kopf:  Durch das entwendete Haupt erfreute sich das Ehrenmal in Bochum-Langendreer erhöhter Aufmerksamkeit

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