© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Kommissarbefehl
EU-Pläne: Die deutsche Landwirtschaft soll zwangsökologisiert werden / Ein fragwürdiger Weg zu noch mehr Flora und Fauna
Harald Ströhlein

Daß in Deutschland trotz des täglichen Landraubbaus von hundert Hektar (Umwandlung in Siedlungs- und Verkehrsfläche) noch eine relativ ausgewogene Flora- und Fauna existieren kann, ist mehr als erstaunlich. Doch trotz Zersiedelung und Straßenbau, Industrialisierung und monotoner Ackerflächen steht es mit der Biodiversität in unserem Lande nicht zum schlechtesten.

Dennoch will EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş ab der nächsten Finanzperiode die Peitsche schwingen: Wandeln die Bauern sieben Prozent ihrer bisherigen Anbauflächen nicht in „ökologische Vorrangflächen“ um, droht eine Kürzung der Beihilfen um 30 Prozent.

Allerdings ist es zuvorderst ein Verdienst der ausgewiesenen Schutzgebiete, daß eine reiche Flora und Fauna ihr Dasein fristen kann. Neben jeweils mehr als ein Dutzend Nationalparken und Biosphärenreservaten sowie weit über 8.000 kleinflächigen Naturschutzgebieten sind es die fast hundert Naturparke und über 70.00 Landschaftsschutzgebiete, die auf über 20 Millionen Hektar (mehr als die Hälfte des Bundesgebietes) den Erhalt von Natur und Landschaft gewährleisten. Insbesondere steht die Land- und Forstwirtschaft, die auf fast 30 Millionen Hektar Acker, Wiesen und Wald betrieben wird, in einer immensen Verantwortung. Doch trotz punktuell großflächigem Monokulturanbau und intensivster Tierproduktion scheint sich das Gros der Landbewirtschafter ihrer Aufgabe (neben der Ernährungssicherung) sehr wohl bewußt zu sein.

Beispielsweise zählen die Graslandlebensräume zu den floristisch artenreichsten Flächen in Deutschland. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, weisen beispielsweise bezeichnete Fettwiesen und -weiden über 500, Trocken- und Halbtrockenrasen fast 840, Wiesen und Weiden über 850 sowie Magerrasen fast 1.000 grünlandtypische Arten auf. In diesem Zusammenhang bildet die unüberschaubare Vielfalt an Tieren, Pilzen und Bakterien „unter Tage“ eine unverzichtbare Säule im Werterhalt des Bodens für nachkommende Generationen.

Ferner bieten sogenannte Kleinstrukturen artifiziellen Ursprungs wie etwa Hecken, Feldgehölze, Feuchtbiotope, Säume an Waldrändern und Gewässern, Verkehrswegen sowie Siedlungen mit fast einem Fünftel Anteil an der Landwirtschaftsfläche essentielle Ökoinseln für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Nicht zuletzt gilt der Wald, der fast ein Drittel der Fläche Deutschlands bedeckt, als unser bedeutendstes Ökosystem, welches alleine schon aus knapp 190 verschiedenen Gehölzarten besteht.

Gleichwohl gibt es das biologische Idyll nicht zum Nulltarif. Gut fünf Millionen Hektar (ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche Deutschlands) werden gezielt mit Agrarumweltmaßnahmen gestützt – etwa den Programmen zum Erhalt von Grünland und der Fruchtfolgenvielfalt oder der Förderung des ökologischen Landbaus.

Rund 630 Millionen Euro sind es noch, die in der aktuellen EU-Agrarhaushaltsphase 2007 bis 2013 jährlich von EU, Bund und Ländern gestellt werden. Da allerdings die Mittel knapper werden, will Kommissar Cioloş den Bauern ans Geld. Dies wäre aber ein wagemutiges Unterfangen, denn ein unternehmerisch geprägter Landwirt realisiert bei halbwegs ordentlichen Verkaufspreisen seine Wertschöpfung eher über die intensive Erzeugung und Vermarktung relevanter Feldfrüchte wie etwa Getreide, Raps oder Rüben, als daß er sich dem Joch einer Zwangsökologisierung unterwirft und potentiell ertragreiche Ackerböden in Feuchtbiotope verwandelt. Dann ginge der Schuß nach hinten los, das ökologische Ideal den Bach hinunter, und es wäre erwiesen, daß der Zweck nicht immer die Mittel heiligt.

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