© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Kohle am Stengel
Die Förderung von Biogasanlagen führt zum verstärkten Anbau von Mais – und zu Schäden für die Umwelt
Jochen Arp

Im Sommer 1958 reiste der sowjetische KP-Chef Nikita Chruschtschow anläßlich des fünften Parteitages der SED in die DDR und verkündete den Genossen die neuesten Direktiven aus Moskau. Eine der einschneidendsten war der Aufruf zum forcierten Anbau der „Rakete des Friedens“ – des Maises. Agrarfachleute schluckten, doch niemand wagte zu widersprechen. „Der Mais, der Mais, wie jeder weiß, das ist die Wurst am Stengel“, lautete daraufhin die Zeile eines Propagandaliedes. Doch die erhofften Erträge blieben aus, Chruschtschow wurde 1964 gestürzt – und der Maisanbau wurde in der Sowjetunion wie der DDR wieder auf ein erträgliches Maß zurückgestutzt.

Doch fünf Jahrzehnte später erlebt der politisch verordnete Maisanbau in Deutschland eine Renaissance – als Kohle am Stengel, im doppelten Wortsinn. Denn aus Mais läßt sich Energie und Geld machen. Vor zehn Jahren wurde in Deutschland auf 1,5 Millionen Hektar Mais angebaut, inzwischen sind es 2,3 Millionen – eine Steigerung um mehr als 50 Prozent. Spitzenreiter sind Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen, wo mehr als die Hälfte des deutschen Maises herkommt. 2008 wurde zudem die Stillegungsverpflichtung für Ackerflächen von der EU ausgesetzt, was den Maisanbau zusätzlich beflügelt hat.

Die ideologische Grundlage ist die Allzweckwaffe Klimaschutz und die Energiewende: weg von fossilen Energieträgern, hin zu den erneuerbaren Energien. Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sind nicht nur Windräder und Solarzellen für Investoren ein lukratives Geschäft, sondern auch der Energiepflanzenanbau und der Betrieb von subventionierten Biogasanlagen.

Da die Solarenergie mangels Sonne in Mitteleuropa nur eine geringe Ausbeute liefert und die Windenergie schon jetzt vielerorts an ihre Grenzen stößt, gilt die Bioenergie derzeit als wichtigster unter den erneuerbaren Energieträgern. Sie soll in den kommenden Jahrzehnten den Löwenanteil der Primärenergie liefern. Doch nicht nur das ungeliebte E10-Superbenzin (dessen Äthanolanteil wird unter anderem aus Mais hergestellt) läßt verstärkt Zweifel aufkommen.

Zunächst schien beim Biogas alles problemfrei zu laufen. Massenweise wurden Biogasanlagen gebaut, ihre Anzahl (2011 über 6.000) und die durchschnittlich installierte Leistung (350 Kilowatt) vervierfachte sich innerhalb von zehn Jahren. Dort werden vor allem Gras, Mais und andere Getreidesorten (die ganze Pflanze), aber auch Hühner- und Gänsekot, Pferdemist und Jauche vergoren. Dadurch entsteht Gas, mit dem man Strom erzeugt. Der wird dank EEG zu einem enormen Vergütungssatz von über 20 Cent pro Kilowattstunde (das doppelte des Windstrompreises) ins Netz eingespeist und bringt dem Besitzer der Biogasanlage einen einen erfreulichen Zusatzgewinn. Bezahlt wird dieser durch die EEG-Zwangsumlage – von den privaten und mittelständischen Stromkunden.

Die Vergärungsreste finden dann als Dünger Verwendung. Doch das vermehrte Ausbringen von Gülle und Gärresten birgt Gefahren für das Grundwasser. Wasserverbände klagen über erhöhte Nitratwerte in Trinkwasser, das aus dem Umfeld von Biogasanlagen stammt. Ähnlich problematisch werden von Wissenschaftlern die dem Biomix noch vorhandenen Herbizide oder Insektizide gesehen. Biogasbetreiber erlösen beim Anbau von Mais schätzungsweise 200 Euro pro Hektar mehr als für Weizen oder Roggen. Das ergibt sich aus der Regelung, daß für Mais nicht nur die üblichen 250 Euro Subvention ausgeschüttet werden, sondern durch das EEG und andere Fördertöpfe zusätzlich Geld fließt.

Daß dies erst der Anfang ist, läßt sich aus EU-Verlautbarungen schließen, wonach bald bis zu 70 Prozent der Anbaufläche aus Mais bestehen könnte. Es locken schließlich erhebliche finanzielle Anreize durch Gewährung von EU-Anbauprämien und EEG-Einspeisevergütungen. So werden viele Bauern ihre Chance nutzen – es sei denn, die Bundesländer greifen regulierend ein. Das aber ist bislang, so klagen Natur- und Umweltschutzverbände, nicht geschehen.

Umweltverbände warnen schon vor einer „Vermaisung“ ganzer Regionen. Diese Verödung des Landschaftsbildes ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern Chruschtschows Wurst gefährdet auch die deutschen Erfolge beim Erhalt der Artenvielfalt. Mais-Monokulturen lassen die Anfälligkeit der Pflanzen für Krankheiten und Schädlingsbefall wachsen, was den erhöhten Einsatz von Pestiziden zur Folge hat.

Die Düngung muß intensiviert werden, weil forcierter Maisanbau in unseren Breitengraden den Ackerboden auslaugt, was die Gefahr in sich birgt, daß das Grundwasser zusätzlich geschädigt wird. Wird Grünland umgebrochen (was in einigen Bundesländern schon verboten ist), um Mais anzupflanzen, werden Lebensräume für Vogel- und Kleintierarten vernichtet, die nur dort leben können. Auf einer Fläche, auf der Mais wächst, kann kein Greifvögel mehr Beute finden. Ebenso ist für Fasane, Rebhühner und Hasen sowie andere Niederwildarten der Maisanbau geradezu katastrophal, wie die Jagdverbände klagen. Ein Segen ist die Mais-Invasion hingegen für Wildschweine, die vielerorts zur Plage geworden sind. Auch Füchse und Ratten vermehren sich prächtig in den neuen Maisgebieten. Wenig beachtet wird auch die Gefährdung, die von den Biogasanlagen selbst ausgeht. „Biogas ist trotz positiv belegter Bezeichnung ein Gas mit gefährlichen Eigenschaften“, warnt die Kommission für Anlagensicherheit (KAS) beim Bundesumweltministerium. So könne das giftige Methan etwa bei Korrosionsschäden an den Anlagen in die Umwelt gelangen, was auch zu Explosionen führen kann.

Durch das Betreiben von Biogasanlagen und den Maisanbau nimmt zudem der Lkw-Anlieferungsverkehr deutlich zu – was die angestrebte CO2-Einsparung durch Biosprit konterkariert. Naturschützer fordern, daß der Staat es nicht dabei beläßt, Biogasanlagen zu fördern, sondern daß er zugleich den damit verbundenen Anbau von Mais und anderen Energiepflanzen schärfer reguliert. Die bislang von den Landwirtschaftskammern, Bauernverbänden oder Agrarministerien aufgelisteten Schutzmaßnahmen beruhen auf Freiwilligkeit. Sollen sie wirken, müßten sie ihren Niederschlag in strafbewehrten gesetzlichen Verordnungen finden. Geschieht das nicht, wird man die heimatlichen Landschaften bald nicht mehr wiedererkennen – und Genosse Chruschtschow hätte am Ende doch noch recht behalten.

Zahlen und Fakten zum Maisanbau und der Biogasproduktion in Deutschland finden sich beim Deutschen Maiskomitee (DMK):

www.maiskomitee.de

Foto: Biogasanlage hinter Maisfeld: Die Betreiber erlösen schätzungsweise 200 Euro pro Hektar mehr als beim Anbau von Weizen oder Roggen

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