© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Der Kampf um die Schöne
Ein deutsch-französischer „wissenschaftlicher Stellungskrieg“ um Nofretete zieht bis in die Gegenwart seine Kreise
Daniel Napiorkowski

Seit Jahren fordern ägyptische Politiker und Archäologen die Bundesrepublik Deutschland dazu auf, die etwa 3.300 Jahre alte farbige Büste der Nofretete, ein Gipsporträt der Ehefrau des Pharaos Echnaton, das als Hauptattraktion im Neuen Museumsin Berlin ausgestellt ist, zurückzugeben. Den Vorwurf, die Büste sei nach den Ausgrabungen 1912 durch Täuschung und Verschleierung nach Berlin gebracht worden, begegnete das Kulturstaatsministerium stets mit der Feststellung, der Erwerb sei „seinerzeit rechtmäßig“ gewesen und schloß daher Verhandlungen über das Restitutionsersuchen aus.

Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin, trägt mit ihrer Publikation „Nofretete: Eine deutsch-französische Affäre 1912–1931“ zur Versachlichung der Debatte bei, indem sie auf den Ursprung des Streits zurückblickt und dabei Bezug auf ein kürzlich in Paris entdecktes Aktenkonvolut nimmt, das die Angelegenheit als ein Relikt des früheren deutsch-französischen Antagonismus enthüllt.

Bei Ausgrabungsarbeiten in Tell el-Amarna in Mittelägypten entdeckte der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt im Dezember 1912 neben zahlreichen anderen Büsten und Gegenständen auch jenen markanten bunten Kopf einer altägyptischen Schönheit. Nach dem damals geltenden Recht wurde mit dem Fundgut dergestalt verfahren, daß eine Hälfte in Ägypten verblieb, während die andere demjenigen zustand, der den Fund gemacht hatte. Bei der im Jahr drauf erfolgten Teilung fiel der damals noch nicht als „Nofretete“ bezeichnete Kopf an Berlin, wobei hiergegen kein Widerspruch geäußert wurde – auch nicht seitens der französischen Altertümerverwaltung in Kairo.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs verschärfte sich auch im wissenschaftlichen Betrieb das deutsch-französische Verhältnis und mündete schließlich in einen Kampf um die intellektuelle Vormachtstellung, wobei der Bereich der Ägyptologie hiervon nicht ausgespart blieb. Zusätzlich angeheizt wurde dieser nun beginnende Konflikt um die Nofretete-Büste durch den Wechsel an der Spitze der Altertümerverwaltung in Kairo. Auf den frühen, eher liberal gesinnten Leiter Gaston Maspero folgte der bekennende Deutschlandhasser und Frontkämpfer Pierre Lacau, der bereits 1915 den Wunsch äußerte, „die Boches in Ägypten loszuwerden“. Zumindest sinnbildlich wurde seinem Wunsch entsprochen, als noch im selben Jahr das prächtige „Deutsche Haus“ in Oberägypten ohne ersichtlichen Grund gesprengt wurde. Diese Linie wurde nach dem Krieg fortgesetzt, der deutsche Einfluß in Ägypten sollte bekämpft werden.

Als 1925 Borchardt, der Entdecker der Nofretete, zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges eine neue Grabungskonzession bei der Altertümerverwaltung beantragte, war die Antwort recht überraschend: Als Voraussetzung hierfür nannte Lacau als Leiter der Behörde die Rückgabe der Nofretete-Büste, die inzwischen – nicht zuletzt durch eine gut besuchte Ausstellung im Ägyptischen Museum zu Berlin und die massenhafte Verbreitung von Fotografien der Büste – weltweite Beachtung fand. Neben die traditionelle deutsch-französische Animosität traten nun auch „archäologische Gelüste“. Fortan erhielt Berlin immer wieder Rückgabeforderungen: Sei es in jener erpresserischen Art, Grabungskonzessionen hiervon abhängig zu machen, sei es durch die Ausübung „moralischen“ Drucks oder sei es in Form von Tauschangeboten gegen andere Funde.

Savoys kenntnisreiche und durchgehend nüchterne Einführung in die Thematik sowie die in der Publikation enthaltene kommentierte Akte „Tête de Nefertiti“, die im Nachlaß von Pierre Lacau gefunden wurde, verdeutlichen anschaulich, daß es sich bei dem „Fall Nofretete“ um eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln handelte oder, wie die Herausgeberin trefflich bemerkt, um einen „wissenschaftlichen Stellungskrieg“. Die Auseinandersetzung um die Büste der ägyptischen Königin war nämlich auch nach dem Weltkrieg mitnichten von wissenschaftlicher Nüchternheit getragen, sondern von unmittelbaren Nachkriegswehen geprägt: Das bekannte Kampfvokabular – etwa die Bezeichnung der Deutschen als „Boches“ – wurde weiter gebraucht, und deutsche Wissenschaftler wurden weiterhin boykottiert und von der Forschung ausgeschlossen. Offensichtlich wollte Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg auch die Schlacht um die Nofretete gewinnen.

Sicherlich trat Ägypten daher kein leichtes Erbe an, als es 1953 die Leitung der Altertümerverwaltung in Kairo übernahm. Und auch wenn der Groll darüber nachvollziehbar ist, daß es in der Nofretete-Affäre als mitbetroffener Dritter völlig außer acht gelassen worden ist, sollte auch bei der gegenwärtigen Debatte nicht ausgeblendet werden, was die neuerlichen Restitutionsforderungen der jüngsten Zeit letztlich sind: ein übernommener Reflex einer längst überwundenen Feindschaft.

Bénédicte Savoy (Hrsg.): Nofretete: Eine deutsch-französische Affäre 1912–1931. Böhlau Verlag, Köln 2011, broschiert, 229 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

Foto: Nofretete-Büste im Neuen Museum in Berlin: Sabotage des deutschen Einflusses in Ägypten

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