© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Die Stadt, der Müll und der Kot
Reportage aus Duisburg: Der Stadtteil Hochfeld leidet unter dem Zuzug von Zigeunern, die in verwahrlosten Schrott-Immobilien hausen
Hinrich Rohbohm

Nachdenklich blickt Carola S. auf den Asphalt der Wanheimer Straße. „Bald knallt’s hier, das dauert nicht mehr lange“, meint die 25jährige. Ihr Mann Bastian nickt zustimmend. „Sechs Tage noch, dann sind wir Gott sei Dank weg hier“, verrät er. Weg aus Duisburg-Hochfeld. Einem Stadtteil, der zu kippen droht. Rund 16.000 Einwohner leben hier. 43,7 Prozent von ihnen sind Ausländer, die meisten davon Türken. In der Wanheimer Straße, der Hauptgeschäftsstraße des Stadtteils ist das Bild geprägt von Spielcasinos, Dönerläden sowie türkischen Mode- und Friseurgeschäften. Seit gut zwei Jahren hat dieses Bild eine neue Facette erhalten. Zigeuner aus Rumänien und Bulgarien sind nach Hochfeld gekommen.

Die meisten von ihnen stammen aus der ostbulgarischen Industriestadt Schumen. „Seitdem sind Ladendiebstähle hier an der Tagesordnung“, schildert Carola S. die aktuelle Situation. „Gehen Sie mal eine Parallelstraße weiter und schauen sich die Wohnungen an. Dann verstehen Sie, warum wir hier wegwollen“, erklärt ihr Mann. In der besagten Parallelstraße sind viele Handwerker anzutreffen. Hammer und Bohrer durchziehen die Nachbarschaft mit Lärm, Fenster ohne Scheiben sind mit Planen abgedichtet.

Ein Blick nach innen zeigt abgerissene Tapeten, Löcher in den Wänden. Es sind die sogenannten Schrott-Immobilien. Wohnungen, in denen eigentlich keiner mehr wohnen möchte. Und die nun mit Großfamilien bulgarischer Zigeuner belegt wurden. „Total abgewohnt. Wenn Sie wüßten, was wir hier schon alles zu Gesicht bekommen haben, das würden Sie mir nicht glauben“, plaudert einer der Handwerker über seine Erfahrungen mit muffigen, verschimmelten Zimmern, in denen noch vor kurzem Zigeuner lebten. Vermüllter Hausflur, Ratten im Wohnzimmer, Kakerlaken in der Küche und Kot in den Waschbecken seien einige der „Unappetitlichkeiten“, die sie immer wieder antreffen. „Zigeunerjunge, wo warst du, ich kann es euch sagen“, ändert einer seiner Kollegen teils schmunzelnd, teils sarkastisch einen einst berühmten Songtext um. Krankheiten breiten sich aus, einige der Südosteuropäer seien sogar schon an Tuberkulose gestorben.

Derzeit leben etwa 100.000 Zigeuner in Deutschland. Rund 5.000 davon haben sich in Duisburg niedergelassen. Hochfeld ist zu ihrer Hochburg geworden, ihr Einwohneranteil beträgt hier mittlerweile 15 Prozent. „Die Türken sind darüber gar nicht begeistert. Bis jetzt ist es noch nicht zu großen Gewalttaten gekommen, aber wenn das so weitergeht, ist die erste große Messerstecherei nur noch eine Frage der Zeit“, schildert Bastian die Lage im Stadtteil. Gleichzeitig scheinen aber nicht wenige Türken gut an den Zigeuner-Familien zu verdienen. „Die Wohnungen hier gehören überwiegend Türken. Bei der Vermietung wollen sie möglichst viel Profit herausschlagen“, erklärt Carola. Und das offenbar mit Erfolg. Von 200 Euro Miete pro Matratze ist die Rede.

Die Großfamilien belegen teilweise mit bis zu 25 Personen eine Wohnung, nehmen Gelegenheitsarbeiten für drei Euro die Stunde an, um über die Runden zu kommen. Gleichzeitig gehen sie vielen Türken auf die Nerven, zahlreichen Ladenbesitzern plazt der Kragen angessichts der sich mehrenden Diebstähle. Und noch einer Gruppe seien die Zigeuner ein Dorn im Auge: den Motorradbanden Hells Angels und Bandidos. „Die mischen hier in der Gegend nämlich auch noch kräftig mit“, meint Carola.

In der Wanheimer Straße sind selbst tagsüber die Jalousien zahlreicher Läden geschlossen. Andere Geschäfte stehen bereits leer. In den Supermärkten wurden Wachleute eingestellt, um der stark angestiegenen Ladendiebstähle Herr werden zu können. Einige Zigeuner stehen vor einem Discounter, scheinen auf etwas zu warten. Weitere von ihnen befinden sich innerhalb des Geschäfts, sechs oder sieben Leute. Zwei sind erwachsene Frauen, der Rest Jugendliche. Sie nehmen keinen Einkaufswagen, klemmen sich eilig Waren unter die Arme. „Meistens versuchen sie sich dann einfach vorbeizudrängeln, man muß schon sehr aufpassen“, erklärt eine Kassiererin. „Ganz besonders schlimm ist es samstags auf dem Hochfelder Markt“, meint eine etwa 50 Jahre alte Deutsche, die gerade ihren Einkauf erledigt hat. Sie trägt einen dunkelgrünen, verschmutzten Mantel, dessen Löcher im Stoff darauf schließen lassen, daß das Kleidungsstück seine besten Tage lange hinter sich hat. Viele würden einfach nur wegschauen. „Jeder sieht doch, was los ist, aber kaum einer unternimmt was. Ich verstehe die Leute nicht“, sagt sie kopfschüttelnd.

Im Sommer dieses Jahres hatten dann doch einige Bürger reagiert und einen öffentlichen Hilferuf an die Stadt gesendet. Ihre Botschaft: „Das Maß ist voll.“ Doch während man in Dortmund durchaus erfolgreich mit Sondereinsatzgruppen von Polizei und Ordnungsamt der Lage Herr zu werden versucht, meinen die Verantwortlichen in Duisburg, die Zigeuner integrieren zu können. Hierfür fordern sie Geld vom Bund, von der EU und ihren Nachbarstädten. Metropolen wie Dortmund würden mit ihren Einsätzen nur eine Verdrängung des Problems in andere Gegenden erreichen, sind Duisburgs Stadtobere überzeugt. Vor drei Wochen hatte es eine Bürgerversammlung in der Hochfelder Pauluskirche gegeben, in der der Dortmunder Ordnungsdezernent über die Konzepte seiner Stadt sprach.

Der für Duisburg zuständige und ebenfalls als Redner vorgesehene Kultur- und Bildungsdezernent sagte seine Teilnahme ab. Begründung: Er habe eine andere Verpflichtung und würde das Dortmunder Modell der Verdrängung ohnehin ablehnen, weshalb der Kollege aus der Nachbarstadt gar nicht hätte kommen brauchen.

Die örtliche Bundestagsabgeordnete Bärbel Bas (SPD) stellte zur Duisburger Zigeuner-Problematik eine Anfrage an die Bundesregierung. Und erhielt die schlichte Antwort, daß Sinti und Roma in Deutschland gut integriert und ansonsten die Länder zuständig seien, sollte es dennoch einmal ein Problem geben.

Unterdessen bröckelt von den verschmutzen Hausfassaden Hochfelds der Putz. Müll weht durch die Straßen. Sperrmüll stapelt sich auf den Gehwegen. Zahlreiche Grünflächen sind mit Papptellern, Plastikbechern und vergammelten Essensresten garniert. Auf einem Parkplatz an der Wanheimer Straße haben sich drei kräftig gebaute südländisch aussehende Männer versammelt. Einer von ihnen steigt stolz in einen dunkelblauen 5er BMW mit Hannoveraner Kennzeichen ein. Die anderen beiden johlen, heben den Daumen, nicken ihm anerkennend zu. Der Parkplatz ist Anlaufpunkt, um Zigeuner als billige Hilfsarbeiter anzuheuern. Kleinbusse bringen sie aus Südosteuropa hierher. Kleine Gruppen sammeln sich zeitweilig, die dann abgeholt werden, um später auf irgendeiner Baustelle für wenige Euro illegal zu arbeiten.

Auf der anderen Straßenseite stehen ebenfalls Zigeuner. Wartend, das Straßengeschehen beobachtend. Ein etwa 20 Jahre alter Zigeuner bleibt besonders interessiert vor einem Kiosk stehen. Auch er wartet. Gelegentlich rempelt er wie zufällig sachte einige Passanten an, macht anschließend entschuldigende Gesten. Plötzlich geht alles ganz schnell. Mit einem faustgroßen, nicht näher auszumachenden schwarzen Gegenstand in der Hand spurtet der Mann auf eine Ampel zu. Blitzschnell übergibt er ihn im Vorbeilaufen einem Gleichaltrigen, der sich, nun ebenfalls zum Spurt ansetzend in die gerade ankommende Straßenbahn hechtet. „Das kommt öfter vor, als man denkt“, meint der Kioskbesitzer. Viele der jungen Zigeuner seien bei Taschendiebstählen äußerst geschickt. „Aber sagen Sie doch mal, daß die klauen, dann sind sie ja schon gleich ausländerfeindlich.“

Mit Leuten ins Gespräch zu kommen ist hier nicht immer einfach. Die Zigeuner sprechen oftmals kaum ein Wort Deutsch, auch mit dem Lesen und Schreiben hapert es. Die Deutschkenntnisse zahlreicher bereits länger in Hochfeld ansässiger Türken sind kaum besser. Die wenigen im Stadtteil verbliebenen Deutschen sind verarmt, leben von Hartz IV. Auf die Probleme in dieser Gegend angesprochen reagieren sie desinteressiert, gleichgültig, manchmal geistesabwesend. Von anderen schlägt einem neben wirren Wortfetzen gleich zu Beginn des Gesprächs eine Alkoholfahne entgegen. Es ist die Unterschicht der Deutschen, die hier lebt. Jene, die es sich schlicht nicht leisten können, wegzuziehen. „Wir sind ja auch nicht gerade gut bei Kasse, aber es reicht für uns, um hier rauszukommen“, erzählt Carola.

Und wer nicht in Hochfeld wohnt, reagiert oft mit dem gleichen Desinteresse. Man habe davon gehört, daß es da immer wieder zu Diebstählen komme. Ja, in und vor den Supermärkten, das habe man auch erfahren. Von den Diebstählen auf dem Hochfelder Markt ebenso. Aber Genaueres wisse man nicht, selbst sei man nicht betroffen, heißt es dann. Manche Anwohner scheinen inzwischen vor den offensichtlichen Problemen die Augen zu verschließen. „Wirklich, hier gibt es Zigeuner?“ sagt eine ältere Frau. Nein, sie meint das nicht ironisch, sagt sie. Sie will davon nichts mitbekommen haben. Auch nichts von Diebstählen. Dabei wohnen in ihrer Nachbarschaft zahlreiche Zigeuner-Großfamilien, spielen deren Kinder direkt neben ihrer Wohnung, ertönt laut exotische Musik aus den Nachbarwohnungen, in denen teilweise Handtücher als Vorhänge dienen. Nur 50 Meter entfernt ist in einem Fenster in der ersten Etage ein kleines, in knallbunten Lichtern leuchtendes Schild angebracht. „Open“ steht darauf.

Nachts floriere in der Wanheimer Straße die Prostitution, erzählen Anwohner. Zigeunerfrauen sollen sich in Hinterhöfen für fünf Euro Männern anbieten. Und neben den Frauen stehen auch die Männer an der Straße, um sich für Gelegenheitsjobs aller Art anheuern zu lassen. Arbeiten für drei oder vier Euro, manchmal noch weniger. Das kategorische Ignorieren des Offensichtlichen ist in Hochfeld keine Seltenheit. Vielleicht ist es ein Schutz. „Wer nichts gesehen hat oder gesehen haben will, der bekommt auch keinen Ärger“, nennt Bastian S. den Grund dafür. Denn daß Polizei und Behörden die Probleme lösen oder zumindest den nötigen Schutz gewährleisten, daran glaubt hier inzwischen keiner mehr. „Wenn einer von uns ein Problem hat, dann regeln wir das selbst“, sagt dann auch ein türkischer Nußverkäufer. Wie das in der Praxis aussieht, will er nicht verraten.

Auf die Zigeuner angesprochen, wird er ungehalten, erhitzt sich sein Gemüt schneller als seine gebrannten Erdnüsse und Mandeln. „Ich bin ein friedlicher Mensch. Aber wenn einer von denen in meinen Laden kommt und was klaut, dann passiert hier was Schlimmes“, deutet er an, daß die Zigeuner von ihm dann eher Saures statt Süßes erwarten können.

 

Recht auf Freizügigkeit

Zigeuner – meistens Roma – aus Rumänien oder Bulgarien haben als EU-Bürger das Recht auf freie Ein-, Durch- und Ausreise innerhalb der Union. Der Aufenthalt in einem anderen EU-Staat darf bis zu drei Monate dauern, ohne an besondere Bedingungen geknüpft zu sein. Wer länger bleiben möchte, muß eine Erwerbstätigkeit und ausreichende finanzielle Mittel vorweisen. Häufig erfolgt dies in Deutschland unter einer formalen Anmeldung als Kleinunternehmer. Im Einklang mit europäischen Verträgen gelten jedoch noch bis Ende 2013 für bulgarische und rumänische Staatsangehörige Sonderbestimmungen, soweit es um den Zugang zum Arbeitsmarkt in den EU-Mitgliedstaaten geht. Diese dürfen übergangsweise Einschränkungen hinsichtlich der Arbeitserlaubnis für Personen aus den betreffenden Staaten erlassen. Die Freizügigkeit kann außerdem auch aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit beschränkt werden. Im vergangenen Jahr etwa ließ Frankreichs Präsident Sarkozy etwa 300 illegale Lager „Nichtseßhafter“ schließen, nachdem es zuvor zu schweren Ausschreitungen und Angriffen von Roma auf Polizisten gekommen war. Die Behörden begannen danach, die Roma entweder durch Zahlung von Geld zur Ausreise zu bewegen oder auszuweisen.

Foto: Straßenszene mit eingewanderten Roma: „Schauen Sie sich die Wohnungen an. Dann verstehen Sie, warum wir hier wegwollen.“

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