© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

„Die Stimmung kann ganz schnell kippen“
Er ist die APO gegen den Euro. Hans-Olaf Henkel ist zum führenden Kopf der stillen Euro-Rettungs-Opposition außerhalb des Bundestags und jenseits von Karlsruhe geworden. Auf einer Vortragstour suchte er jetzt den direkten Kontakt zu den Bürgern.
Moritz Schwarz

„Hans-Olaf Henkel reichen Talkshows nicht mehr. Seine neue Bühne ist jetzt Deutschland“, höhnt die „Financial Times Deutschland“ .

Henkel: Es gibt leider auch unfaire Artikel über meine Vorträge zum Euro. Was man da so zum Teil liest – mitunter meint man, der Autor muß auf einer anderen Veranstaltung gewesen sein.

Warum „reichen“ Ihnen die Talkshows nicht mehr?

Henkel: Ich kann dort meinen zugegebenermaßen komplizierten Vorschlag nicht erklären. Er wird immer gern mit primitiven Totschlagargumenten niedergemacht.

Tatsächlich sind Sie in den Medien derzeit quasi „die“ außerparlamentarische Opposition gegen die Euro-Rettung der Politik.

Henkel: Weil wir ein seltsames Phänomen erleben: Fast alle Wirtschaftsredaktionen und Ökonomen sind inzwischen in Diagnose und Prognose für den Euro-Patienten weitgehend mit mir einig. Sie schimpfen wie die Rohrspatzen auf Rettungspakete, Hebel und Bürgschaften, dennoch wagt es keiner, eine alternative Therapie zu verschreiben.

Die da lautet?

Henkel: Deutschland, Holland, Österreich und Finnland müßten aus dem Euro aussteigen und eine eigene Währung unter dem Arbeitstitel „Nordeuro“ begründen, die so hart bleibt, wie der Euro ursprünglich mal werden sollte.

Der Henkel-Plan.

Henkel: Wenn Sie das so nennen wollen. Der Plan umfaßt eine Reihe von Entscheidungen, die man in Talkshows nicht mit wenigen Sätzen erklären kann. Die vom Moderator zugebilligte Zeit reicht dafür nicht aus, zudem wird einem ständig ins Wort gefallen.

Bei Ihrem jüngsten Maischberger-Auftritt ging es recht ruppig zu: Herr Biedenkopf wurde Ihnen gegenüber sogar persönlich.

Henkel: Eben, unter anderem unterstellte er, mein Plan sei „unhistorisch“, so als sei nicht die Mark, der Franc und der Gulden, sondern der Euro historisch. Deshalb also die Idee, Vorträge zu halten, zu denen all jene, die sich einmal in Ruhe mit meinem Vorschlag beschäftigen möchten, kommen können.

Und dafür 21,75 Euro Eintritt zahlen.

Henkel: Tatsache ist, daß ich keinen müden Cent davon bekomme und auch meine Reisekosten selbst trage. Die Eintrittsgelder gehen vollständig an die Konzertagentur, die ich engagiert habe, um die Veranstaltungen zu organisieren und zu bewerben. Pressekonferenz in Berlin, Saalmieten, Honorare für das Personal vor Ort: ich nehme an, auch für den Veranstalter ist das kein Geschäft. Ich betone das zwar bei jeder Gelegenheit, trotzdem wird es immer wieder falsch dargestellt. Ein Beispiel ist ein recht zynischer Artikel im Handelsblatt über meinen Vortrag in Münster. Auch in Münster wurde sowohl vom Moderator als auch mir ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich kein Honorar bekomme. Trotzdem wurden in dem Artikel die 22 Euro so erwähnt, daß jeder Leser denken mußte, das Eintrittsgeld fließt in meine Tasche.

Ist das „Handelsblatt“ nicht quasi Ihr Hausblatt? Sie haben dort eine Kolumne.

Henkel: Tja, typisch Presse, Chefredakteur Steingart hängt halt am Einheits-Euro – wie alle seine Kollegen –, koste es was es wolle.

Für eine Redakteurin des Berliner „Tagesspiegel“ geht es einem „Populisten“ wie Ihnen nur ums Geld. Sie meint, Sie würden auch das Gegenteil erzählen, wenn Sie damit Kasse machen könnten.

Henkel: Ein besonders übles Beispiel für den Umgang der Presse mit der Wahrheit – das sollten Sie auch so drucken.

Käme so etwas von der „taz“ – geschenkt. Aber woher dieser Furor in bürgerlichen Medien, von denen die meisten Zeitungsleser annehmen, diese würden unideologisch an die Sache herangehen?

Henkel: Weil das Rütteln am Einheits-Euro bei uns mit einem Tabu belegt ist. In anderen Euro-Ländern wurde mein Alternativ-Vorschlag viel breiter diskutiert – nicht immer positiv, aber es wurde diskutiert. In Deutschland bleibt er ein Tabu. Davon haben wir einige.

Zum Beispiel?

Henkel: Schlagen Sie doch mal vor, daß auch das deutsche Volk über seine Verfassung – gemäß Artikel 146 GG – abstimmen dürfen muß, so wie andere Völker: Sie bekommen sofort eins über die Rübe, denn das traut man dem deutschen Volk nicht zu! Schäuble schlägt zwar die Direktwahl eines europäischen Präsidenten vor, so als würde das zur Lösung der Euro-Misere beitragen, wagt aber einer vorzuschlagen, den deutschen Bundespräsidenten vom Volk wählen zu lassen, heult das politisch korrekte Establishment auf. Es gibt gewisse Mechanismen, die immer wieder dazu führen, daß in unserer Gesellschaft über bestimmte Themen keine richtige Diskussion geführt werden kann.

Was für Mechanismen?

Henkel: Die Methode ist, die Glaubwürdigkeit dessen zu beschädigen, der es wagt, gegen die Politische Korrektheit zu verstoßen, und das beste Instrument dazu ist immer noch, ihn in die rechte, populistische Ecke zu schieben.

Sie vergleichen unser Meinungsklima inzwischen mit dem in der DDR.

Henkel: Nicht unähnlich, wer dort etwas kritisieren wollte, mußte erst einmal versichern, ein überzeugter Kommunist zu sein. Erst nach diesem Ritual konnte er vorsichtig etwas Kritik anbringen, um gleich danach erneut zu betonen, daß er ein begeisterter Kommunist ist. Bei uns müssen heute Schäffler, Bosbach oder ich immer erst einmal betonen, daß sie überzeugte Europäer sind, bevor sie Kritik an der Euro-Rettung äußern. Das sind notwendige Prologe und Epiloge, wenn Sie es wagen, ihre Meinung zur Euro-Politik zu äußern. Das ist bedrückend.

Sonst?

Henkel: Sonst ist alles möglich. Ich erinnere etwa an Thilo Sarrazin, dem ruck, zuck „Rassismus“ unterstellt wurde, obwohl das SPD-Mitglied Klaus von Dohnanyi festgestellt hat, daß nicht einer der Vorwürfe, die ihm vor dem Parteigericht gemacht wurden, zutraf. Mich etwa nennt Jürgen Trittin einen „D-Mark Chauvinisten“, ungeachtet der Tatsache, daß ich gar nicht für die Wiedereinführung der Mark werbe, und ein stellvertretender Chefredakteur der Welt nannte mich letzte Woche einen „Neo-Populisten“. Offensichtlich eine besonders niederträchtige Konstruktion aus „Neo-Nazi“ und „Rechts-Populist“.

„Der Erfolg seiner Einmannshow gegen den Euro ... ist überschaubar“ feixt die schon erwähnte „Financial Times Deutschland“.

Henkel: Klar, die möchten auch, daß das so bleibt. Die Säle in Münster und Hamburg waren voll, der übergroße in Berlin bis auf wenige Reihen hinten auch. Wenn man sich überlegt, daß so viele freiwillig an einem Sonnabend auf das reichhaltige Kulturangebot in Berlin verzichteten, um für über 22 Euro einer eineinhalb Stunden langen Rede von Hans-Olaf Henkel geduldig zuzuhören, dann komme ich zum gegenteiligen Schluß. Inzwischen sind die Berichte darüber fast ausnehmend positiv geworden.

Bestritten haben Sie in der ersten Runde nur drei Veranstaltungen: in Münster, Hamburg und Berlin. Wie geht es weiter?

Henkel: Darüber machen wir uns noch Gedanken. Aber weitergehen soll es, wenn wir auch einiges am Plan ändern müssen, schließlich hat die Euro-Rettung inzwischen auch „Fortschritte“ gemacht.

Und noch einmal die „FTD“, laut der Ihr „neues Ziel eine Parteigründung ist“.

Henkel: In Deutschland ist es wahnsinnig schwer, eine neue Partei zu etablieren.

Soll heißen?

Henkel: Da ich ein liberaler Mensch bin, sehe ich die FDP im Grunde als die richtige Partei für mich an, wenn Sie nur ihren Euro-Kurs ändern würde – nicht den Europa-, aber den Euro-Kurs.

Moment – erst im September haben Sie bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl verkündet, die FDP sei nicht mehr wählbar und Sie würden sich einer neuen bürgerlichen Partei zur Verfügung stellen.

Henkel: Stimmt. Solange die FDP an ihrem Euro-Kurs festhält, ist sie für mich nicht mehr wählbar. Zunächst ist es besser, sich für eine Änderung der Euro-Politik in der FDP einzusetzen. An die Spitze einer neuen Partei setze ich mich nicht.

Warum nicht?

Henkel: Ich bin kein Politiker und halte mich auch nicht mehr für jung genug, um noch einer zu werden. Ich würde aber meine Kraft und Erfahrung einer geeigneten politischen Formation zur Verfügung stellen, sei es für die FDP mit neuem Euro-Programm, sei es für eine neue Partei.

Es gibt bereits alternative Kleinparteien.

Henkel: Ich weiß, auf meinen Vortragsveranstaltungen wird mir auch mal das eine oder andere solche Parteiprogramm zugesteckt. Aber Sie sagen es selbst: Kleinparteien. Natürlich gibt es etliche bürgerliche Splitterparteien, die mitunter schon ewig auf dem Markt sind und doch auf keinen grünen Zweig kommen. Daran sehen Sie, wie schwer es ist, eine neue Partei erfolgreich zu starten.

Sie haben die Situation in Sachen neuer Partei mit einem Apfelbaum verglichen, an dem reife Früchte hängen. Es müßte nur jemand kommen und dagegentreten.

Henkel: Nun, bisher kam keiner. Aber ich bin überzeugt, daß das an sich stimmt. Ich las jüngst ein Interview mit dem griechischen Soziologen Michael Kelpanides, der meint: „Ich komme aus dem Staunen darüber nicht heraus, wie Berlin dem fachlichen Standpunkt der erdrückenden Mehrheit der deutschen Ökonomen zuwiderhandelt. Und darüber, daß noch keine Partei aufgekommen ist, die diesem Kurs entgegensteuert.“ Interessant ist übrigens auch seine Ursachenanalyse dafür: „Offenbar ist der Korrekturmechanismus der Konkurrenzdemokratie in Deutschland gegenwärtig gestört.“ Der Mann hat recht! Und wenn laut Umfragen drei Viertel der Deutschen gegen die Euro-Rettungspolitik sind und neunzig Prozent des Bundestags dafür, dann läuft in unserer Demokratie etwas falsch.

Was ist die Ursache?

Henkel: Unser Kernproblem ist, daß bei uns die Parteien so mächtig sind, wie in kaum einer anderen Demokratie. Das wird auch von allen Politikwissenschaftlern, die sich etwas in der Welt auskennen, so gesehen. Umgekehrt könnte ich auch formulieren: Ich kenne keine Demokratie in der Welt, in der die Bürger so ohnmächtig sind wie bei uns. Deshalb habe ich mich auch immer wieder für eine Reduzierung der Parteienmacht ausgesprochen. Aber so lange bleibt eben nichts anderes übrig, als weiter Überzeugungsarbeit für einen Kurswechsel der FDP zu leisten. Und hier tut sich jetzt eine neue Chance auf: Denn wenn die Mitgliederbefragung mehrheitlich zugunsten der Schäffler-Initiative ausgeht, muß die FDP das Ergebnis nicht nur zur Kenntnis nehmen, sie muß ihre Politik ändern.

Kaum vorstellbar, denn das würde doch einen Koalitionsbruch provozieren.

Henkel: Das kommt darauf an. Vielleicht ist die Situation dann inzwischen so weit, daß nicht nur die Bosbachs und die Schäfflers die Nase voll haben und für einen Schwenk werben, etwa weil die Wähler weiterhin scharenweise weglaufen.

Ein Aufstand gegen die Kanzlerin?

Henkel: Auch bei Frau Merkel ist nichts unmöglich. Wer hätte vor Fukushima gedacht, daß Sie kurz nach der Verlängerung der Reaktor-Laufzeiten einen 180-Grad-Schwenk in der Energiepolitik vollziehen würde. Immerhin ist die Bereitschaft der Deutschen, weiter diese Rettungsschirme zu tragen, inzwischen geringer als die Akzeptanz der Kernkraft direkt nach dem Unfall in Japan.

Der Mitgliederentscheid wird pro Schäffler ausgehen und doch irgendwie ausmanövriert werden. Wenn nämlich nicht, würde die FDP von den Medien sozial ausgebürgert werden.

Henkel: So sieht das heute aus, da gebe ich Ihnen recht. Und doch sage ich, wir können uns nicht vorstellen, was vielleicht schon im Januar oder Februar los sein kann. Ich bin der Meinung, daß Italien tatsächlich schon in einem schlimmeren Zustand ist als Spanien. Und wer weiß, was plötzlich alles ans Tageslicht kommt, wenn Berlusconi weg ist? Es kann sogar sein, daß wir uns auf griechische Überraschungen auch in Italien gefaßt machen müssen. Dann kann unter Umständen sehr schnell die Stimmung im Land kippen, und am Ende ist es vielleicht – Überraschung! – Herr Gabriel, der sagt: „Wir können das unseren Arbeitnehmern und Rentnern nicht mehr zumuten!“ Was meinen Sie, wie schnell Frau Merkel dann die Wende schafft. Gut möglich, daß wir schon in naher Zukunft aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen.

 

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und danach Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft. Geboren wurde Henkel 1940 in Hamburg. Heute berät der ehemalige IBM-Manager unter anderem die Bank of America, das größte Kreditinstitut der USA, und ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender der renommierten Reforminitiative „Konvent für Deutschland“. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt „Kampf um die Mitte“ (2007), „Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“ (2009) und jüngst: „Rettet unser Geld! Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“ (Heyne). Das Buch empfiehlt der Ex-Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin mit den Worten: „Man möchte es zur Pflichtlektüre für jeden Bundestagsabgeordneten machen, damit der Regierung endlich die richtigen kritischen Fragen gestellt werden.“

www.konvent-fuer-deutschland.de

Foto: Henkel bei einem Talkshow-Auftritt: „An die Spitze einer neuen Partei setze ich mich nicht. Aber wenn drei Viertel im Volk gegen die Rettungspolitik sind und neunzig Prozent im Bundestag dafür, dann läuft etwas falsch.“

 

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