© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Von preußischer Haltung
Märkische Tröstungen aus dem Dichtergarten: Zum 85. Geburtstag von Günter de Bruyn
Sebastian Hennig

Es gibt derzeit keinen belletristischen Autor, der sich inniger mit der Lokalität der Mark Brandenburg und dem Geist Preußens verbunden weiß als Günter de Bruyn. Aber von seinen sechzig Jahren als freier Schriftsteller in der Mark Brandenburg fielen zwei Drittel unter die Bedingungen der DDR. Und wer in einem totalitär organisierten Gemeinwesen einen Beruf ausübt, der ohne Beziehung zur Öffentlichkeit nicht denkbar ist, der steht immer in einer heiklen Spannung. Jedes geschriebene und gesprochene Wort wird auf eine Weise mehrdeutig, durch die der Ausdruck nicht bereichert, sondern beschränkt wird.

Der Schriftsteller schildert anhand von zwei Lesungen im Dresden der achtziger Jahre diese groteske Situation. Eher belustigt ist er, als die offizielle Lesung durch eine Vergatterung willfähriger Genossen für die interessierte Leserschaft blockiert wird. Zum anschließenden subkulturellen Termin in einer Kirche muß der im Scheinwerferlicht stehende Autor in den dunklen Abgrund hineinsprechen, aus dem mit diffuser Macht die totale Zustimmung der Dissidenten entgegenkocht. Als er in der Diskussion durch sein differenzierendes Denken von der Abweichung abzuweichen wagt, erntet er Empörung der oppositionellen Pharisäer.

Der Kunst ist die offenkundige Zustimmung der zornig Ohnmächtigen ebenso abträglich wie die Zurückweisung durch die ratlos Mächtigen. Das ästhetische Gesetz beinhaltet zugleich ein sittliches Gebot. Und auch umgekehrt geht diese Rechnung auf. Nicht nur die Schlechten, auch die Guten können Böses wirken. Fast zwangsläufig verkommt dann auch ihr Gutes. Formbeherrschung, Sprachmächtigkeit, die Bildkraft oder der musikalische Ausdruck offenbaren und verbergen des Künstlers Distanz zu den zeitlichen Wirren und bekunden seine bedingungslose Dichte in der Kunst.

Das ist Gebot, dessen einmalige Verletzung den 37jährigen Günter de Bruyn auf das Krankenlager wirft: Für seinen ersten Roman „Der Hohlweg“ (1963) erhält er den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste. Nachdem ihm der Akademiepräsident die Hand geschüttelt hat, entzieht er sich in einer Klinik jener Welt, in der er gerade sein fragwürdiges Glück gemacht hat: „Nur weil ich fror, hatte ich den Wunsch, nach Hause zu kommen. Lieber aber wäre ich in das Krankenghetto, wo man für das Beiseiteschieben aller Probleme Lob ernten konnte, zurückgekehrt.“

Zehn Jahre nach der belastenden Auszeichnung, die ihn materiell absicherte und als freien Autor bestätigte, geht er mit seinem Debüt hart ins Gericht. Er unterbindet weitere Auflagen des Romans. In einem Sammelband mit Stellungnahmen von Autoren zu ihren Erstlingswerken schreibt er darüber unter dem Titel „Der Holzweg“. Umarbeitungspläne scheitern, und er bedauert, sein Kriegserlebnis als literarischen Stoff verloren zu haben. (Etwas davon barg er später in seinem Erinnerungsbuch „Zwischenbilanz. Eine Jugend in Berlin“.)

Mit dem zweiten Roman „Buridans Esel“ (1968) hat er den eigenen Ton etabliert. Das Buch erscheint auch in Westdeutschland, wurde dramatisiert und verfilmt. Der Roman um den Bibliothekar Erp, der zwischen seiner Ehefrau und der geistreichen hübschen Praktikantin Broder hin und her gerissen ist, zeigt, daß auch im vermeintlichen Paradies der Werktätigen Adam und Eva an ihrem Unglück weiterschmieden.

Ohne darin aufzugehen, ist das Buch zugleich eine feinfühlige Milieuschilderung der Honecker-Epoche, in der das sozialistische Spießbürgertum durch materielle Zugeständnisse gedüngt werden sollte und auch die Kunst zunächst an ein längeres Gängelband gelegt wurde. Erps Vater ragt aus dieser Geschichte heraus, der von sich sagt: „Ich bin ein Preuße“ und damit eine Lebenshaltung bekundet, die der Autor mit unverhohlener Zustimmung so umschreibt: „…, sympathisch, anständig, ohnmächtig wie viele, ausgezeichnet nur durch Konsequenz und Bewußtsein und dadurch, daß er einen zusammenhängenden Namen für das hatte, was die anderen (unverfänglicher) Fleiß, Ordnungssinn, Genügsamkeit, Haltung, Pflichtbewußtsein, Ehrlichkeit, Nüchternheit nannten. Die (durch ihren ethischen Formalismus begründete) Brauchbarkeit dieser Haltung unter grundverschiedenen Umständen hat sich erwiesen.“

Die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 und der exemplarische Ausschluß von neun unbotmäßigen Schriftstellern aus dem Verband sind zwei Signale, die schließlich jede Illusion einer relativen geistigen Freiheit rauben: „Ich machte mir Vorwürfe, weil ich Fluchtmöglichkeiten versäumt hatte, träumte vom zensurlosen Schreiben in West-Berlin oder Hamburg und fand es gleichzeitig widersinnig, ohne Lebensbedrohung aus einer Gegend, die die meine war, wegzugehen.“

Die Herausgeberschaft der Reihe „Märkischer Dichtergarten“ hilft über die Umstände hinweg, in denen eigenen Werken mit Argwohn und Zensur begegnet wird. De Bruyn verläßt die DDR und rettet sich nach Preußen. Hippel, Fouqué, von der Marwitz, Schmidt-Werneuchen, Friedrich Nicolai, Rahel Levin und Moritz Heimann werden von ihm in schönen, handlichen Bändchen vorgestellt. 1975 erscheint die Romanbiographie „Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter“. Zum Jean-Paul- Kongreß nach Bayreuth eingeladen, reist er in „jenen Teil meines Vaterlandes (…), der bei manchen seiner Bewohner, als ob es das ganze wäre, Deutschland hieß.“

Als er 1998 „für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der deutschen Literatur“ Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität wird, kann deren Dekan feststellen: „Günter de Bruyn hat immer an einer durch die Mauer nicht aufgehobenen sprachlich-kulturellen Einheit der Nation festgehalten.“

In seinem Erinnerungsbuch „Vierzig Jahre“ (1996) hat er sich die DDR noch einmal nachträglich vom Halse gehalten. Es gibt keine andere Darstellung über diese zwielichtigen Verhältnisse, die so ohne Schonung gegen sich selbst und so höflich gegen die anderen ist, von Biermann über Minister Höpcke bis zu Wolfgang Harich. Wie schon in seinen belletristischen Werken, als deren Fortsetzung und Krönung die Lebensberichte auch angesehen werden können, vermeidet er den klebrig-grauen Schatten einer DDR-Milieuschilderung und erreicht so ganz ohne artistische Verschlüsselungen eine Verallgemeinerung des persönlichen Erlebens. Darin und in der ruhigen Bestimmtheit seines Erzählens ähnelt der Brandenburger dem Schwaben Hermann Lenz, der in seinen Eugen-Rapp-Romanen das bundesdeutsche Pendant eines Schriftstellers gibt, der dem Konformitätsdruck durch unnachgiebige Elastizität widersteht.

Neben der Heimattreue besteht ein Kraftquell solcher produktiven Reserve in den Schutzheiligen: Was Lenz Eduard Mörike und Kaiser Franz Joseph sind, das bedeuten de Bruyn Jean Paul und Königin Luise. Aus dieser Zuflucht ist schließlich eine Heimat geworden. Der Schriftsteller, der als Leser und Bibliothekar anfing, ist ein Wegweiser durch das Kulturleben seiner Lieblingszeit und seines bevorzugten Raumes geblieben. Er schafft Lesbares aus seiner Lektüre und seinen Erlebnissen und erzählt Geschichten aus Ereignissen der Geschichte. Zuletzt erschienen zwei Bände über das Berliner Kulturleben der Epoche zwischen dem Tod Friedrichs des Großen und der endgültigen Niederlage Napoleons.

Fotos: Günter de Bruyn bei der Verleihung des Deutschen Bücherpreises 2002 auf der Leipziger Buchmesse: „Ich bin ein Preuße“; Günter de Bruyn mit Christa Wolf im Dezember 1981: Im Oktober 1989 verweigerte er die Annahme des DDR-Nationalpreises

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