© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Roosevelt statt Clinton
Finanzkrise: Historische Erfahrungen aus den USA sprechen für mehr Regulierung und eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken
Markus Brandstetter

Am 16. Januar 1932 sinkt in New York der arbeitslose Dachdecker Peter J. Cornell mit nur 48 Jahren tot in die Arme seiner Frau. Seit Monaten arbeitslos, kann er die Miete nicht mehr bezahlen, weshalb die Polizei seine Möbel auf die Straße gestellt hat. Die fünf Dollar, die er gebraucht hätte, um die Miete für den nächsten Monat im voraus zu bezahlen, hat er nicht.

So wie Cornell geht es im Winter 1931/32 Millionen von Amerikanern. Rund um New York sind 200.000 Textil­arbeiter arbeitslos, Ford entläßt 75.000 Arbeiter, überall gehen Kinder auf die Straße, um Schulspeisung zu fordern, Hunderttausende Bauern verlassen ihre Farmen und ziehen als Landstreicher nach Kalifornien. Zwischen 1929 und 1932 halbiert sich die Produktion der US-Industrie, 15 Millionen Amerikaner, ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung, verlieren Arbeit und Brot, Tausende Banken brechen zusammen.

Der Auslöser all dessen war eine „Kernschmelze des Finanzsystems“ , wie die heutigen Banken-Retter formulieren würden. Beim Einbruch der New Yorker Börse Ende Oktober 1929 hatten die US-Aktienmärkte binnen weniger Tage ein Viertel ihres Wertes verloren, was ein Jahrzehnt wilder (kreditfinanzierter) Wall-Street-Spekulationen zu einem fatalen Abschluß brachte. Der mit 57 Prozent gewählte Präsident Franklin D. Roosevelt beschließt sofort nach seinem Amtsantritt 1933, die Krise mit eiserner Hand in den Griff zu bekommen.

Er läßt – ähnlich wie in Deutschland oder Italien – überall im Land Straßen, Brücken, Schulen, Parks, Staudämme und Kraftwerke bauen, um die Massenarbeitslosigkeit zu reduzieren. Millionen Amerikaner finden hier bis zu acht Jahre lang Arbeit. Gehälter und Pensionen von Beamten werden um 15 Prozent beschnitten, um das Staatsdefizit zu reduzieren. Roosevelt initiierte eine staatliche Agrarpolitik und die noch heute gültige Sozialversicherung (Social Security).

Der entscheidende Teil des „New Deal“ betrifft aber die Banken. Mit zornigen Bibelworten gibt der aus einer der wohlhabendsten New Yorker Familien stammende Präsident den Bankiers die Hauptschuld an der Great Depression: „Die Praktiken skrupelloser Geldwechsler stehen im Gerichtshof der öffentlichen Meinung unter Anlage; Praktiken, die von den Herzen und Köpfen der Menschen abgelehnt werden.“

Die Bankreformen gipfeln im zweiten Glass-Steagall-Gesetz (Banking Act of 1933), das die Trennung aller Banken in Geschäfts- und Investmentbanken anordnet. Fortan dürfen Geschäftsbanken weder mit Wertpapieren handeln, noch Aktien und Anleihen emittieren, noch Firmen kaufen und verkaufen. Roosevelt beschert dem US-Finanz- und Bankensektor ein halbes Jahrhundert Stabilität – eine Forderung, die nun auch in Deutschland ernsthaft diskutiert wird.

Seit dem Amtsantritt von Ronald Reagan wird der „New Deal“ von umfassenden Deregulierungsmaßnamen kontakariert – doch die nutzen nicht der Industrie (die wanderte in Billiglohnländer ab), sondern dem Finanzsektor. Plötzlich konnten etwa die konservativen US-Bausparkassen, die bislang ausschließlich Hypothekendarlehen gegen Grundschulden ausgeben durften, wie ganz normale Banken agieren, was zu riskanten Geschäften, Skandalen und Betrug führt. 1986 beginnen die „Savings and Loans“ jedoch reihenweise zusammenzubrechen. Wider Willen entschließt sich die Reagan-Regierung, alle Bausparkassen (747 von 3.200) mit sämtlichen Einlagen zu retten, was den Steuerzahler 125 Milliarden Dollar kostet. Während Roosevelts „New Deal“ mit 40 Prozent Staatsverschuldung auskam, brachten die „Reaganomics“ 60 Prozent. Die eigentlich kleinen Bausparkassen galten plötzlich als „too big to fail“, was heute mit „systemrelevant“ übersetzt wird. Diese Aktion setzt ein verhängnisvolles Zeichen, signalisiert sie doch den Bankvorständen: Wenn es wirklich eng wird, hilft der Staat.

Die Konsequenzen zeigen sich schnell: 1998 verliert Long-Term Capital Management (LTCM), ein hochspekulativer Hedgefonds, binnen vier Monaten fünf Milliarden Dollar. Der New Yorker Arm der US-Notenbank Fed rettet den Fonds mit 3,7 Milliarden Dollar, von denen nur 500 Millionen von den Titanen der Wall Street und einigen europäischen Privatbanken stammen. Allmählich kapiert auch der letzte Banker die frohe Botschaft: Ganz egal, was meine Bank auch tut – am Schluß zahlt immer der Staat. Eine persönliche Haftung, von Strafen ganz zu schweigen, gibt es nicht: Der LTCM-Gründer und frühere Salomon-Brothers-Vize John Meriwether macht 1999 mit JWM Partners LLC weiter. Zehn Jahre später ist auch dieses erneut im Hedgefonds-Paradies Greenwich/Connecticut (hier residiert seit diesem Jahr auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg) registrierte Investitionsvehikel am Ende.

Bill Clinton hebt 1999 das Glass-Steagall-Gesetz ganz auf: Geschäftsbanken können dank dem Gramm-Leach-Bliley Act wieder Investmentbanking betreiben. Die Citigroup läßt sich das nicht zweimal sagen, verhebt sich dabei aber kräftig mit forderungsbesicherten Wertpapieren (CDO). Im November 2008 ist die größte Bankengruppe der Welt kurz vor dem Ende, 400 Milliarden Dollar an Verlusten werden durch den Staat und die Einlagensicherung der Banken aufgefangen, 100.000 Mitarbeiter müssen gehen. Für die US-Investmentbanker ist die Jahrtausendwende eine kreative Zeit. Immer komplexere Investmentvehikel werden ersonnen; immer mathematischer werden die Modelle, auf denen alles beruht; niemand blickt mehr durch, aber jeder investiert, denn keiner will die Party, die kurzfristig Traumrenditen verspricht, verpassen.

Ratingagenturen vergeben Bestnoten an die Derivate gebündelter Schrottpapiere; die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicken die Bilanzierung zukünftiger Erlösströme (Mark to Market Accounting), also die Aktivierung von Einkünften, die es noch gar nicht gibt und vielleicht nie geben wird, bereitwillig ab. Fed-Chef Alan Greenspan hält in seinen 19 Amtsjahren (1987–2006) die Zinsen niedrig, das Geld billig und die Staatsverschuldung hoch, was allein dadurch funktioniert, daß die Staatsfonds von Chinesen oder Arabern den Konsum der Amerikaner finanzieren.

Von 2002 bis 2007 röhrt die Wall Street wie ein Ferrari. Jedes Jahr steigen die US-Hauspreise. Menschen ohne Eigenkapital und Bonität kaufen Häuser auf Kredit, diese Subprime-Hypothekenkredite werden dann bündelweise verbrieft, bis keiner mehr weiß, welche der ursprünglichen Kredite gut und welche faul sind. Obwohl seit 2006 absehbar ist, daß die Immobilienblase platzen wird, springen viele europäische Banken genau dann auf den Zug auf – darunter die IKB, die staatliche KfW und so manche Landesbank, deren aller Aufgabe es eigentlich doch war, den deutschen Mittelstand zu finanzieren.

Im Juli 2007 fällt die IKB um (JF 34/07) und vernichtet im Zuge ihrer Rettung 11 Milliarden Euro an Steuergeldern, bevor ihre leere Hülle 2009 für ein Trinkgeld an den US-Investor Lone Star geht. Danach erwischt es neben einigen Landesbanken die HRE und die Commerzbank, die zum schieren Überleben alle Milliardenbeträge plus noch weit höhere Garantien aus dem Finanzmarktstabilisierungsfonds (Soffin) der Bundesregierung benötigen.

Diese Analyse der Geschichte zeigt: Die Aufspaltung von Universalbanken in Geschäfts- und Investmentbanken hat in den USA jahrzehntelang dazu beigetragen, Katastrophen wie die Finanzkrise 2008 zu verhindern. Auch in Deutschland könnte eine solche Trennung helfen, Risiken im Finanzsektor zu verringern. Entscheidend ist aber, endlich damit aufzuhören, jede Bank automatisch als „systemrelevant“ zu begreifen, nur weil es eine Bank ist. Nur das Pleiterisiko kann den Vorständen signalisieren: Verantwortungslosigkeit wird zukünftig sanktioniert.

Foto: Wolkenkratzer im Finanzzentrum Manhattans: Ein erneuertes Trennbankensystem könnte helfen, die Risiken im Finanzsektor zu verringern

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