© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Allen weh und keinem wohl
EU-Gipfel: Weitere hilflose Versuche, den Euro zu retten und den Verlust Griechenlands zu verbergen
Bernd-Thomas Ramb

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“ Diese Empfehlung aus Goethes Faust bestimmt offensichtlich die aktuell erneuerten Versuche der Staats- und Regierungschefs der EU zur Rettung des Euro. Mit einem Dreifachprogramm sollen die Finanzmärkte und die Nerven der Euro-Europäer beruhigt werden. Griechenlands Schulden sollen einen „Haarschnitt“ erhalten, indem ihr nomineller Wert um mindestens die Hälfte herabgesetzt wird.

Der so entstehende finanzielle Abschreibungsverlust der Banken soll mit einer Finanzspritze von 100 Milliarden Euro gemildert und die schon jetzt viel zu knappe Finanzdecke des Euro-Rettungsschirms durch „Hebel“ (JF 42/11) ausgeweitet werden. Zudem soll möglicherweise der „Kriseneinsatz der EZB“ (wie etwa die Financial Times Deutschland verharmlosend den vertragswidrigen Aufkauf von Staatsanleihen der peripheren Problemstaaten durch die Europäische Zentralbank nennt) trotz unverholener Kritik aus Deutschland fortgesetzt werden.

Ob das alles hilft, wissen selbst die Urheber des bunten Straußes zur Euro-Rettung nicht. Vielleicht ist der Erfolg (oder Mißerfolg) auch nicht das entscheidende Motiv. Bis das Ergebnis feststellbar ist, vergeht Zeit. Zeit aber ist das, was der Euro-Gruppe als Hauptmangel erscheint. Mit Zeitgewinn zur Lösung der Euro-Fehlentwicklung, wo immer die Erlösung auch herkommen mag – so lautet das Motto der versammelten 27 Staats- und Regierungschefs. Als ob die Zeit alle Wunden der verunglückten Währungsunion heilen könnte.

Neben dieser vagen Illusion existiert aber die harte (Finanz-)Realität, die auf die konkreten Mätzchen zur Zeitgewinnung sofort und erbarmungslos reagiert. Die Erkenntnis, ob ein Medikament hilfreich war oder nicht, mag etwas Zeit benötigen. Eine schädliche, möglicherweise tödliche Wirkung beginnt jedoch meist sofort.

Da ist zum ersten das Vorhaben einer Schuldenverringerung Griechenlands durch Erklärung des Teilbankrotts. Letztlich ist es zweitranging, ob 50, 60 oder 80, wenn nicht sogar 95 Prozent der Schuldentitel den Gläubigern nicht mehr zurückgezahlt werden. In der anschließenden Zeit wird zunächst keiner mehr freiwillig Griechenland neue Kredite zur Verfügung stellen – außer zu horrenden Zinsen, die das Risiko eines erneuten Schuldenschnitts einpreisen. Bereits in den Jahren 1833, 1893 und 1932 stellte das Land seine Zahlungen schon einmal ganz oder teilweise ein. Das heutige Griechenland aber braucht neue Gläubiger, denn der Athener Staatshaushalt wird in den kommenden Jahren chronische Defizite aufweisen.

Das spätestens durch die Einführung des Euro wirtschaftlich fehlgeleitete Land kann selbst bei einer radikalen Kehrtwende hin zur ökonomischen Leistungsgesellschaft seine inländisch eingegangenen Verpflichtungen nicht einhalten. Der griechische Staat müßte einen ähnlichen Schnitt wie bei seinen Altschulden auch bei seinen Staatsausgaben vornehmen, etwa die Gehälter der Beamten um 50 bis 60 Prozent kürzen oder mehr als die Hälfte der Staatsdiener entlassen. Selbst dann würde der Ersparniseffekt durch die damit zwangsläufig verbundenen Steuermindereinnahmen noch stark eingeschränkt.

Nach Ansicht der „Troika“, der Wirtschaftsprüfer der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, wird Griechenland frühestens im Jahr 2020, wahrscheinlich aber erst ab 2027 auf dem freien Kapitalmarkt wieder Staatsschulden finanzieren können. Bis dahin ist ein Finanzbedarf von mindestens 252 Milliarden Euro bereitzustellen. Realistischer angesichts des zu erwartenden griechischen Wirtschaftseinbruchs dürfte ein Betrag von 450 Milliarden Euro sein. Als Finanzier kommen nur noch der Euro-Rettungsschirm oder die EZB in Frage. Das legale Volumen des Rettungsschirms wäre damit allein für die Griechenland-Rettung ausgeschöpft.

Das Vorbild Griechenland wird allerdings Nachahmer hervorrufen. Seinen Schuldenberg schlagartig um die Hälfte abbauen und dann die Finanzierungslücke des Staatshaushalts von gnädigen Gönnern finanziert zu bekommen, welcher Staat zöge das nicht harten Jahrzehnten der Selbstkasteiung vor. Die Iren und Portugiesen, die zudem auch noch das leichte Leben der Griechen mitzufinanzieren hätten, werden kaum Verständnis dafür aufbringen. Wenn denen aber die gleichen Erleichterungen gewährt würden, wer besänftigt dann die Spanier und Italiener?

Der zweite Problembereich der angepeilten Rettungsvielfalt betrifft die Bankenhilfe. Natürlich wird der geplante Schuldenschnitt Banken und Finanzinvestoren in große Verlegenheit bringen, die mit den satten Profiten der Griechenlandpapiere spekuliert haben. Andere waren da vorsichtiger, aber auch bescheidener in ihrer Gewinnplanung. Sie haben die Griechenlandanleihen möglicherweise auch zuvor unter Verbuchung der Verluste zu Marktpreisen abgestoßen. Mit Euro-Rettungshilfegeldern werden jedoch die unvorsichtigen und gierigen Banken belohnt: ein klassischer Fall des staatlichen Fehlverhaltens, durch einen unmoralischen Eingriff in das Marktgeschehen den Redlichen zu bestrafen und den unverantwortlichen Glücksspieler zu belohnen.

Die Bankenhilfe birgt zudem eine verkappte Transferunion. Die durch die Euro-staatlichen Zahlungen begünstigten Finanzinstitute sind unter den beteiligten Euroländern nicht entsprechend der Einzahlung in den Hilfstopf verteilt. Insbesondere sind deutsche Banken weitaus weniger betroffen als beispielsweise französische. Erhalten diese mehr als 20,4 Milliarden Euro aus dem vorgesehenen Topf von 100 Milliarden Euro, fließen ihnen Transferzahlungen der anderen Länder zu. Umgekehrt stehen den deutschen Banken Hilfsgelder in einer Gesamthöhe von 27,1 Milliarden Euro zu, wenn ein klammheimlicher Transfer von Deutschland zu den anderen Ländern verhindert werden soll.

Dabei ist immer noch nicht die Frage beantwortet, woher das Geld überhaupt kommen soll. Die direkte Griechenlandhilfe und die Bankensubvention übersteigen in ihrer Summe die verfügbaren Mittel des erweiterten Euro-Rettungsfonds. Die dritte Komponente des Rettungspakets mußte daher zwangsläufig in einer Aufblähung des Finanzrahmens liegen. Wie auch immer dies bewerkstelligt wird, die Folge ist unabwendbar eine höhere Verschuldung der Geberländer.

Damit laufen selbst Frankreich und Deutschland Gefahr, die Höchstbewertung ihrer Zahlungsfähigkeit – das „AAA“ – zu verlieren. Unterm Strich erweist sich damit die Flucht in die Vielfalt der Rettungsmaßnahmen als kompletter Fehlschlag, der allen Beteiligten größere Probleme bereitet und keinem die erhoffte Rettung beschert. Vor allem nicht den Euro rettet.

Foto: Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel: Auch Frankreich und Deutschland laufen Gefahr, ihre „AAA“-Bonität zu verlieren

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