© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Orientierung am Machbaren
Bundeswehr: Die neuerliche Reform der Streitkräfte versucht, den begrenzten _ nanziellen und personellen Ressourcen Rechnung zu tragen
Hans Brandlberger

Vor wenigen Wochen konnte die Bundeswehr vermelden, daß ihre Personalstärke bereits die Schwelle von 200.000 aktiven Soldaten unterschritten hat. Hinsichtlich des Streitkräfteumfangs ist sie somit nicht mehr weit von dem Ziel entfernt, das ihr vom Verteidigungsminister vorgegeben wurde. Ging die alte Struktur noch von einer Sollgröße von 252.000 Uniformträgern aus, sind in der neuen nur noch 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 5.000 „Freiwillig Wehrdienstleistende“ vorgesehen. Hinzu kommen, je nach aktuellem Bedarf und der Möglichkeit ihrer Rekrutierung, weitere 10.000 Männer und Frauen, die auf freiwilliger Basis bis zu 23 Monate in der Bundeswehr dienen. Auch die Zahl der zivilen Beschäftigten soll deutlich – auf 55.000 – sinken. Hier ist man jedoch noch weit entfernt von der Zielmarke, die die einstige „Transformation“ gesetzt hatte, nämlich bis Ende 2011 mit 75.000 zivilen Mitarbeitern auskommen zu können. Ihre Zahl liegt heute weiterhin über 90.000.

Die Öffentlichkeit begleitet diese Entwicklung mit Achselzucken, eine Kritik, daß hier womöglich Abstriche an der Sicherheitsvorsorge unseres Landes vorgenommen werden, ist nicht zu vernehmen. Junge Männer mit deutscher Staatsbürgerschaft dürften überwiegend sogar eine Erleichterung verspüren, daß ihnen der in den vergangenen Jahren zudem noch durch Wehrungerechtigkeit gekennzeichnete militärische Zwangsdienst oder doch wenigstens das lästige Procedere, ihm auszuweichen, endlich erspart bleiben. Auch die Verteidigungsexperten in Politik und Wissenschaft schweigen sich aus – und dies aus gutem Grund. In den vergangenen zwei Jahrzehnten begleiteten sie jede Reduzierung mit erhobenem Zeigefinger und merkten an, daß die Bundeswehr nun aber wirklich am untersten Rand des Möglichen angekommen wäre, der eine Erfüllung ihrer Aufgaben gerade noch zuließe. Würden sie heute gleiches behaupten, liefen sie Gefahr, daß man sie an ihre Irrtümer der Vergangenheit erinnerte.

Das Motiv der Bundesregierung für die im Ministeriumsdeutsch als „Neuausrichtung“ deklarierte Reform der Bundeswehr ist natürlich nicht, daß sie plötzlich deren Bedeutung und Notwendigkeit in Zweifel ziehen würde. Auch ist sie durch die Schuldenkrise nicht vollkommen blindlings auf die Suche nach Einsparpotentialen gegangen, daß ihr Sicherheit auf einmal weniger wert wäre.

Sie hat lediglich nüchtern bilanziert, welche Defizite die Bundeswehr auch nach zehn Jahren ihrer sogenannten „Transformation“ in eine Einsatzarmee noch aufwies, und festgestellt, daß sich manche von ihnen, wie nicht zuletzt Dauer und Komplexität von Entscheidungsprozessen, in dieser Phase sogar noch vergrößert haben. Zudem hat sie sich daran erinnert, daß eine als Kunst des Möglichen verstandene Politik auch im Verteidigungsbereich zum Tragen kommen sollte. Das Wünschenswerte ist hier, was die Finanzmittel, die Personalstärke und eine von staatsbürgerlichem Enthusiasmus junger Männer getragene Wehrform betrifft, schnell formuliert. Das Machbare sieht jedoch anders aus, und nur an diesem darf sich eine seriöse Verteidigungsplanung orientieren.

Dieser Aufgabe stellt sich nun Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in einer illusionslosen Nüchternheit, die man, historische Sentimentalität ist ihm allerdings fremd, als preußisch charakterisieren könnte. Die Maximen der Reform, die in der Amtszeit seines schillernden Vorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) angestoßen, von diesem allerdings nur chaotisch vorangetrieben wurde, sind unterdessen klar definiert: Die Bundeswehr ist so aufzustellen, daß sie mit einem klar vorgegebenen Finanzrahmen auskommt, der jedoch nicht gravierend enger gefaßt ist als der aktuelle. Ihre Personalplanung muß „demographiesicher“ sein und hat die Tatsachen, die die Bevölkerungsstatistik ausweist, zur Kenntnis zu nehmen. In Zahlen ausgedrückt: Konnte die Bundeswehr vor 20 Jahren ihren Nachwuchs noch aus jährlich 600.000 jungen Männern rekrutieren, so schöpft sie heute aus einem Rekrutierungspotential von 600.000 jungen Männern und Frauen – mit weiter abnehmender Tendenz.

Die neu aufgestellten Streitkräfte sollen in der Lage sein, bis zu 10.000 Soldaten für Auslandseinsätze abzustellen, was ihnen allerdings auch in den vergangenen Jahren möglich gewesen wäre. Dabei sind Fähigkeiten vorzuhalten, die es erlauben, die Verantwortung als (federführende) „Rahmennation“ in bis zu zwei Einsätzen zu Land sowie in einem maritimen zu übernehmen. Die bisherigen Planungen sehen aber nicht vor, daß die Bundeswehr
irgendeine ihrer Fähigkeiten aufgibt. Eine Spezialisierung, auf die Verfechter einer stärkeren Verschränkung der Streitkräfte im Rahmen von EU oder Nato setzen, zeichnet sich nicht ab. Folglich soll die Bundeswehr auch mit weniger Personal und entsprechend reduziertem Bestand an Waffensystemen im Prinzip das gleiche Aufgabenspektrum abdecken können wie zuvor. Einschränkungen in der Durchhaltefähigkeit werden hingenommen, in einigen Bereichen sind sie sogar eklatant. Auf dem Papier kann die Bundeswehr damit weiterhin einer Vielzahl von Herausforderungen entgegentreten, in der Praxis würden sich jedoch ihre Kräfte sehr rasch erschöpfen. Insbesondere der Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung, an der nicht allein aus Tradition, sondern auch mit Blick auf den eigentlichen Verfassungsauftrag deutscher Streitkräfte festgehalten wird, würde sie nicht einmal mehr ansatzweise gerecht werden können, so sie denn, was derzeit allerdings tatsächlich höchst unwahrscheinlich ist, mit dieser Notwendigkeit konfrontiert würde.

Als neuartig an dieser Reform gilt, daß die Veränderungen von „oben“ nach „unten“ konzipiert werden. Die Umstrukturierung des Verteidigungsministeriums selbst stand auf der Agenda ganz vorne, hier sind die Planungen im wesentlichen abgeschlossen. Die Zahl seiner Dienstposten wird um 35 Prozent verkleinert, an die Stelle der bislang elf Abteilungen treten neun neu zugeschnittene. Als Maxime wurde ausgegeben, Kompetenz und Verantwortung in eine Hand zu legen, um Schnittstellen zu reduzieren und überbordende Mitzeichnungs- und Mitprüfungsgänge abzukürzen. Ob die neue Struktur des Ministeriums diesem Anspruch gerecht wird, hat die Praxis erst zu erweisen. Das bloße Organigramm läßt jedenfalls eine anhaltend hohe Komplexität der Entscheidungsprozesse etwa auf den Gebieten Rüstung und Streitkräfteplanung erwarten. Neu ist, daß die Teilstreitkräfte beziehungsweise Organisationsbereiche nicht mehr unmittelbar im Ministerium repräsentiert sind. Ihre Inspekteure werden von Abteilungsleitern zu Befehlshabern ihrer jeweiligen Kommandobehörde im nachgeordneten Bereich herabgestuft.

Dies entspricht der Vorstellung, daß sich das Ministerium schließlich auf seine strategischen Kernaufgaben konzentrieren solle. Schwer vorstellbar ist aber, daß es sich aus dem „operativen Geschäft“ heraushalten kann und will. Die Inspekteure dürften es daher schwieriger haben, mit ihren Vorstellungen Gehör zu finden. Die Streitkräfte werden dem Generalinspekteur der Bundeswehr unterstellt, der damit nicht mehr länger allein ein Berater der Bundesregierung ist. Er gehört zur „Leitung“ des Ministeriums, ist in dieser aber einem beamteten Staatssekretär unterstellt. Ob dies tatsächlich eine Aufwertung seiner Rolle bedeutet oder er sich in der Verantwortung der Streitkräfte im allgemeinen und der Einsätze im speziellen gegenüber der Politik verschleißt, wird die Praxis erst zeigen müssen und dürfte wesentlich von seiner Persönlichkeit abhängen.

Auch wenn erst im Grundsatz gebilligte Grobstrukturen der neuen Bundeswehr vorliegen und die detaillierte „Ausplanung“ sowie die zeitliche Umsetzung der Reform erst peu à peu festgelegt werden, zeichnet sich ab, daß das Personal die kritische Ressource ist – und erst in zweiter Linie die Finanzausstattung. Die Motivation der aktiven Soldaten ist durch lange Monate der Planungsunsicherheit strapaziert, und zündende Konzepte, mit denen die nach der Aussetzung der Wehrpflicht besonders geforderte Nachwuchsrekrutierung einen entscheidenden Auftrieb erhielte, stehen aus. Findet die Bundeswehr hier keine Lösungen, dürften der Umfangsreduzierung im Zuge der „Neuausrichtung“ sehr rasch weitere folgen.

 

Wofür ist die Bundeswehr da?

Mit der laufenden Reform wird die Transformation der Bundeswehr zur Einsatzarmee abgeschlossen. Die Landesverteidigung spielt schon längst nicht mehr die wichtigste Rolle in den Planungen der Militärs.

Dabei setzt die Bevölkerung ganz andere Prioritäten. Die Deutschen haben ganz klare Vorstellungen davon, wofür die Armee eingesetzt werden soll: zur Landesverteidigung. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Zeitschrift Internationale Politik sind 83 Prozent der Befragten der Ansicht, die Bundeswehr sei in erster Linie zur Verteidigung der Heimat da. Ebenfalls 83 Prozent sagen, die Streitkräfte sollten auch für humanitäre Zwecke eingesetzt werden.

Deutlich geringer fällt die Zustimmung zu Einsätzen der Bundeswehr für die Terroristenbekämpfung aus. Hier sagen 63 Prozent, dies sei Aufgabe der Armee. Wesentliche Unterschiede gibt es hier zwischen den Anhängern der Parteien. Während 74 Prozent der Wähler von CDU/CSU die Bundeswehr im Kampf gegen den Terror einsetzen wollen, sind es bei SPD (57 Prozent), FDP (59), Grünen (55) und Linkspartei (56) deutlich weniger. Interessant: Gerade einmal 60 Prozent der Befragten sind der Auffassung, die Bundeswehr sei dafür da, Verpflichtungen gegenüber der Nato zu erfüllen. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Ost und West. Während 64 Prozent der Westdeutschen die Bundeswehr im Dienste des Verteidigungsbündnisses einsetzen wollen, sind lediglich 40 Prozent der Mitteldeutschen dieser Ansicht.

Die Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen ist nach Auffassung von 29 Prozent der Befragten Aufgabe der Bundeswehr.

Foto: Deutsche Panzergrenadiere suchen während einer Übung hinter einem Schützenpanzer vom Typ Marder Deckung: Der Bestand an Waffensysteme in der Bundeswehr wird reduziert

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