© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Unter der Roten Fahne
„Occupy-Bewegung“: Linke Organisationen haben die Führung übernommen
Henning Hoffgaard

We are the 99 percent“, skandieren die Demonstranten auf ihrem Weg zum Reichstag. Die Mitglieder der „Occupy-Bewegung“ wollen damit deutlich machen, daß sie es sind, die der Bevölkerung angeblich aus der Seele sprechen und nicht die Politiker. 99,9 Prozent der Berliner nehmen am vergangenen Sonnabend von den etwa 500 Protestlern allerdings kaum etwas wahr. Vor allem Touristen schlendern bei sonnigem Wetter durch das Brandenburger Tor zum Parlament und nehmen die Teilnehmer, die sich dort zu einer offenen Diskussionsrunde, genannt „Asamblea“ versammelt haben, eher belustigt zur Kenntnis. Eine Woche zuvor waren noch mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen und versuchten an gleicher Stelle ein dauerhaftes Protestlager zu errichten, das von der Polizei jedoch schnell wieder geräumt wurde.

Um ähnliches zu verhindern, sperren die Sicherheitskräfte den Reichstag dieses Mal weiträumig ab, durchsuchen Rucksäcke und beschlagnahmen alles, was nach Campingausrüstung aussieht. Auf der „Asamblea“ sitzen derweil mehrere hundert Aktivisten im Kreis und beginnen, sich ihren Frust von der Seele zu reden. Ein bißchen Bankenkritik hier, ein wenig Antikapitalismus dort. Viele träumen schlicht von der „besseren Welt“. Vor dem Brandenburger Tor hatten sich schon kurz zuvor etwa 150 Demonstranten an den Händen genommen und zu einem Kreis aufgestellt, um eine „Friedensmeditation“ abzuhalten. Gemeinsame Ziele, die über ein diffuses „Dagegensein“ hinausgehen, werden kaum postuliert. Ein älterer Herr beschwert sich über die milliardenschweren Griechenland-Hilfen, ein paar Meter weiter mahnt eine Gruppe von „Empörten“ einen weltweiten freien Zugang zu sauberem Trinkwasser an.

Nur in einem Punkt sind sich die meisten Anwesenden anscheinend einig: Man will sich von keinen Gruppen, Organisationen und Parteien vereinnahmen lassen. Dafür ist es allerdings bereits zu spät. Längst haben Gewerkschaften, Linkspartei, Attac und Antifa die Bewegung selbst öffentlich okkupiert. Vorneweg marschieren lautstarke Linksextremisten mit Transparenten und Plakaten, die so auch schon auf den „revolutionären“ 1.-Mai-Demonstrationen präsentiert wurden. Ein Demo-Teilnehmer ruft empört, mit roten Fahnen werde er nicht mitlaufen. Nachdem ihn die Umstehenden wüst auffordern, er solle dann einfach stehenbleiben, setzt er seinen Weg doch fort. Besonders im Internet ist der Kampf um die Deutungshoheit über die Occupy-Demonstrationen längst im Gange. Mobilisierung, Fotos, Berichte und eine Live-Übertragung werden über die linksextreme Internetseite „Indymedia“ abgewickelt. Für letzteres wird ein Kanal genutzt, auf dem ansonsten nur Live-Berichte von den Anti-Atom-Demonstrationen gezeigt werden.

Auch auf Facebook konkurrieren gleich mehrere Gruppen darum, welche denn nun die „wahren“ Repräsentanten der Bewegung seien. Begleitet wird das ganze von zahllosen Blogs und Internetseiten, die zum Teil bereits eigenmächtig Presseanfragen entgegennehmen. Die „Springerpresse“ soll allerdings keine Antworten bekommen, heißt es. Anfragen liegen bisher nur von der taz und Radio Paradiso vor, schreiben die anonymen Hintermänner von „Occupy Reichstag“. Auf den einschlägigen Handzetteln finden sich immer wieder Hinweise auf linksextreme Gruppen, die mit einem 15-Punkte-Fahrplan werben. Der sieht unter anderem die Einführung einer Weltwährung und die Einrichtung von „Kommunen“ vor. Auch Grundeinkommen, Bankenzerschlagung sowie die Besetzung ganzer Kieze werden gefordert.

Wie intensiv die linke Szene versucht, die Occupy-Demonstrationen zu kapern, zeigt sich auch in Frankfurt am Main. Seit Wochen kampieren mehrere Dutzend Demonstranten vor der Europäischen Zentralbank. Auch am Wochenende waren 4.000 Menschen auf den Beinen. Die allgemein zu hörenden Forderungen decken sich mit dem, was Gewerkschaften und Linke bereits seit Jahren fordern. Auch was nicht gewollt ist, steht bereits fest. So sollen selbst Mitglieder der liberalen Partei der Vernunft am besten gar nicht erst mitdemonstrieren dürfen, meint der Antifa-Pfarrer Hans-Christoph Stoodt, Sprecher der örtlichen „Anti-Nazi-Koordination“. „Das ist eine rechtspopulistische Gruppierung, die die Idee hat, Probleme nur auf nationaler Ebene zu lösen“, warnt der Geistliche.

Weniger Probleme hatten die Demonstranten dagegen mit Geldspenden von der Linkspartei, die nach Meinung ihrer Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch wichtiger „Teil dieser Bewegung“ ist, SPD, Grünen und Gewerkschaften. 700 Euro spendete die Linke den Frankfurter Dauercampern bisher, weitere 500 Euro sind für die Verlegung eines Stromkabels in Aussicht gestellt worden. Auch SPD und Grüne ließen jeweils 250 Euro springen. Kritik daran wischen die linken Aktivisten vom Tisch. „Wir lassen uns von niemandem vereinnahmen“, versichert Colin Below, einer der Organisatoren, kurz angebunden.

Fast hilflos wirken dagegen die Versuche von CDU-Politikern, sich mit den Protestlern zu solidarisieren. Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, sagte angesichts der Proteste, in Deutschland gebe es tatsächlich „eine für alle wahrnehmbare Gerechtigkeitslücke“. Am 12. November sind weitere große Demonstrationen unter der Federführung von Attac angekündigt. Mißfelder wird wohl nicht dabeisein. Er wäre auch nicht erwünscht.

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