© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

EU: Vom Staatenbund zum Bundesstaat
Das vergessene Prinzip
Wolfgang Ockenfels

Es waren Christen, die Europa aus der Taufe hoben. Seither ist es uns sehr ans Herz gewachsen, es ist uns teuer. Und in des Wortes weiterer Bedeutung kann es uns ein teures, zweifelhaftes Vergnügen werden, an das die politischen Gründungsväter gewiß nicht gedacht haben. Sie hatten ein „Europa der Vaterländer“ vor Augen, einen Staatenbund, keinen zentralistischen Bundesstaat. Denn durch Geschichtserfahrung klug geworden, plädierten sie für eine subsidiäre, antitotalitäre politische Form.

Heute tun unsere europabeflissenen Politiker so, als müßten sie mit dem Euro zugleich auch Europa retten. Dabei haben sie keine blasse Ahnung mehr davon, was es mit dem Subsidiaritätsprinzip auf sich hat. Sie nehmen hohe materielle Verluste in Kauf, um die Finanzierung überschuldeter, bankrotter Staaten zu gewährleisten. Das wäre vielleicht gerade noch hinzunehmen. Aber der Entzug demokratischer Bürgerrechte ist eine verfassungsrechtliche Frage ersten Ranges. Innerhalb der Demokratie bestimmt der Souverän, das Volk, über die Verwen-dung dessen, was es in den Staatshaushalt einbringt. Und wenn sich die Regierenden allzu weit von den Regierten entfernen, entsteht ein demokratisches Manko.

Freilich könnte der deutsche Volkssouverän auf Teile seiner Souveränität verzichten und sie auf die europäische Ebene übertragen. Das passiert aber eher schleichend, unter der Hand, ohne die aktive Mitwirkung der Wähler. Dieses Demokratiedefizit produziert immer mehr Zentralismus, immer mehr Bürokraten, die ein feudales Eigenleben entfalten. In dem Maße aber, in dem sich die Repräsentanten von den zu Repräsentierenden entfernen, meldet sich ziviler Widerstand. Hoffentlich nicht im Sinne des Rechtsbruchs, der zur staatlichen Gepflogenheit wurde, sondern als öffentliche Kritik und politische Opposition.

Ein europäisches Staatsvolk gibt es nicht, noch lange nicht. Wir müssen Europa wieder neu buchstabieren, und zwar nach dem Alphabet der Subsidiarität. Auf diesem Prinzip gründet die europäische Idee: Eigenverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe. Die Demontage Europas beginnt da, wo man auf Kosten anderer ein bequemes Leben führen will. Wer nicht bereit ist, sich selber durch einen kräfti-gen Eigenbeitrag zu helfen, hat die Berechtigung verloren, von anderen solidarische Hilfe zu erwarten.

 

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und lehrt christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät in Trier.

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