© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Muammar al-Gaddafis Tod
Auf Menschenjagd
Thorsten Hinz

Leben und Wirken des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi bieten keinen Anlaß zu sentimentaler Betrachtung. Er war unberechenbar, diktatorisch, neurotisch, bizarr. Doch die mittelbaren und unmittelbaren Umstände seines Todes lösen Ekel aus. Er betrifft nicht den Diktator, sondern den Lynchmob, der ihn massakrierte, und diejenigen, die ihm das Opfer zutrieben. Das Mandat des Sicherheitsrats, das durch die Enthaltung der Veto-Mächte Rußland und China zustande kam, bezeugt kein höheres, übernationales Recht. Es besagt nur, daß China oder Rußland sich zu schwach fühlten oder daß Gaddafi ihnen nicht wichtig genug war, um einen Konflikt mit dem Westen zu riskieren.

Gaddafis Ende war kein Tyrannenmord, wie er im Rausch einer Revolution geschieht, wenn über die Bedrücker die Erbitterung und der Zorn der Volksmassen hereinbrechen. So etwas kann seine Berechtigung haben, um die Machtverhältnisse zu klären und bei den Unterdrückten eine Katharsis, eine innere Reinigung durch Affektentladung, auszulösen. Gaddafi aber war politisch längst tot und lief seit Wochen um sein Leben. Was hier veranstaltet wurde, war eine technisch raffinierte, von Racheinstinkten durchtränkte Menschenjagd, die in einem archaischen Opferritual mündete: ein schauerliches Zusammenspiel von westlicher und islamistischer Werteordnung!

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