© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Der transatlantische Klon
Netzwerke: Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg arbeitet jetzt bei einer „Denkfabrik“ in Washington
Thorsten Hinz

Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat eine neue Beschäftigung gefunden: beim Center for Strategic and International Studies (CSIS), einer politischen „Denkfabrik“ in Washington. Der mit Schimpf und Schande aus dem Amt geschiedene Plagiator wird dort als distinguished statesman („herausragender Staatsmann“) geführt. Direktor John Hamre bescheinigte dem CSU-Mann einen „kraftvollen und kreativen Intellekt“. Er verfüge über „eine geostrategische Sicht, die seinem Alter weit voraus ist.“ Er lobte „Karl-Theodors Energie, Enthusiasmus und tiefe Hingabe zur transatlantischen Partnerschaft“. Die Springer-Zeitungen, die Guttenberg in bemerkenswerter Weise die Treue halten, berichteten darüber hocherfreut.

Guttenbergs rasanter Aufstieg zum gefühlten Reservekanzler und sein ruhmloser Abgang bieten für Publizisten und Wissenschaftler ein dankbares Thema. Das Haus Suhrkamp hat eine ambitionierte „interdisziplinäre Fallstudie“ herausgebracht, zu der 13 etablierte Wissenschaftler und Journalisten beigetragen haben. Der Herausgeber Oliver Lepsius, Jura-Professor der Universität Bayreuth, hatte Guttenberg seinerzeit als „Betrüger“ klassifiziert und damit dessen Versuch, die Affäre wegzulächeln, zunichte gemacht. Zu Recht stellt Gustav Seibt fest, daß es die Empörung des bürgerlich-akademischen Milieus war, die Guttenberg zu Fall brachte. Dabei entlud sich die aufgestaute Wut über die Kette der Demütigungen, welche die Wissenschaft durch die Politik – zuletzt durch die Bologna-Reformen – erduldet.

Der Frankfurter Soziologe Tilman Allert legt in einer leider in unzumutbaren Jargon verfaßten Studie dar, daß der Adlige Guttenberg einerseits als Träger einer „generationenübergreifenden Bedeutsamkeit“ auftrat und andererseits mit der glanzvoll benoteten Dissertation gleichsam beiläufig, die Hand in der Hosentasche, die Ansprüche des bürgerlichen Leistungsethos’ zu erfüllen schien: eine Kombination, die in der kleinbürgerlich verfaßten Bundesrepublik von unbezwingbarer Wirkung war.

Mehrere Aufsätze analysieren Guttenbergs Rhetorik und fördern Schwulst, Redundanz und kleinliche Rechthaberei zutage. Weiterhin wird die Ikonographie insbesondere seiner Inszenierung als Erster Soldat des Landes untersucht, in der sich Anleihen bei Renaissance-Feldherren und beim „Top Gun“-Darsteller Tom Cruise mischten. Die naheliegende Frage aber, welche politischen Zeichen die Hollywood-Reminiszenzen aussendeten, wird nicht einmal gestellt.

Die vielen klugen Überlegungen in dem Buch verharren unverbunden auf den Ebenen der Ästhetik, Psychologie, Soziologie, der Demokratie- und Medienwissenschaft, anstatt zu einer politischen Analyse verbunden zu werden. Der Jurist Lepsius meint, es sei in der Guttenberg-Affäre um „Werte“ gegangen, und der Germanist Uwe Pörksen behauptet, daß das Aufallendste der Guttenberg-Inszenierung die „Politikleere“ gewesen sei. Welch ein Irrtum! Wo es um politische Machtfragen geht, stößt der bundesdeutsch konditionierte Geist an seine Grenze!

Wie gut, daß es Außenseiter gibt wie die Bloggerin Friederike Beck, die schon seit längerem auf ihrer Internetplattform zeitgeist-online.de erhellende Fakten über Guttenberg publiziert hat, die sie nun in einem „Guttenberg-Dossier“ (JF 34/11)zusammenfaßt und vertieft. Nach ihren Recherchen ist das Drehbuch der Guttenberg-Inszenierung von jenen transatlantischen Netzwerken verfaßt worden, die ihm jetzt Unterschlupf gewähren. Im Suhrkamp-Band wird moniert, daß Guttenberg die Abschaffung der Wehrpflicht als Verwaltungs- statt als politischen Akt durchsetzte. Beck geht weiter und arbeitet die politische Logik heraus: Aus Sicht dieser Netzwerke stellt Deutschland nur eine Verwaltungseinheit und kein politisches Subjekt dar. Der Umbau seiner Armee zur weltweit einsatzfähigen Söldnertruppe ist die Konsequenz davon.

Was ist noch echt an Guttenberg? Sein freier Journalismus bei Springer und die „beruflichen Erfahrungen“ in den USA waren studentische Praktika, die behauptete Tätigkeit in der „freien Wirtschaft“ stellte sich als die Verwaltung des Familienvermögens heraus. Doch Guttenberg verfügte früh über gesellschaftliche Kontakte: zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, zur Atlantik-Brücke, zum American Council on Germany (ACG).

Erklärtes Ziel des ACG ist es, „Young Leaders“ (Junge Führungskräfte) von älteren „Leaders“ programmieren (Programming) zu lassen. Guttenberg hat das Programm genauso absolviert wie Angela Merkel oder der CDU-Politiker Friedbert Pflüger, der als Merkels außenpolitischer Berater fungierte. Präsident des ACG ist Ex-Außenminister Henry Kissinger. Kooperationspartner sind unter anderem die Bucerius-Stiftung (Die Zeit) und die Axel-Springer-AG. Zu den Mitgliedern zählen der SPD-Vorsitzende Gabriel, der Außenpolitik-Redakteur der FAZ, Frankenberger, der Vorstandschef von Daimler, Zetsche, usw. usf.

Die noch exklusivere Atlantik Brücke verfügt über ein separates „Young Leader Programm“, das Guttenberg ebenfalls durchlaufen hat. Weitere prominente Absolventen sind: Christian Wulff, Thomas de Maizière, der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Auch die Atlantik-Brücke legt großen Wert auf enge Beziehungen zu den Medien. Der Burda-Verlag, die Zeit, die Süddeutsche sind gut in ihren Reihen vertreten, Bild-Chef Kai Diekmann sitzt im Vorstand, Springer-Chef Mathias Döpfner steht gleichfalls auf der Liste. Als Bild im Februar 2011 zu einem „Guttenberg-Entscheid“ trommelte, richtete die Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke, Beate Lindemann, eine elektronische Nachricht an die Mitglieder und forderte sie zur Beteiligung auf. Ihr neuer Chef Friedrich Merz fand diese öffentliche Parteinahme freilich schädlich und ließ die Aktion abblasen.

Von Anfang an schien eine schützende Hand Guttenbergs Karriere zu leiten. Als er 2002 mit 31 Jahren in den Bundestag einzog, wurde er sofort Mitglied im gewichtigen Auswärtigen Ausschuß, dem seit 2005 der CDU-Mann Ruprecht Polenz vorsitzt, auch er ein Brückenbauer. Polenz tritt vehement für den EU-Beitritt der Türkei ein und entspricht damit dem Wunsch der USA. Die Ochsentour durch die Parteigremien konnte Guttenberg sich ersparen. Den Zugriff auf das sichere Direktmandat im Wahlkreis Kulmbach erhielt er, nachdem der bisherige Inhaber, der frühere CSU-Generalsekretär Bernd Protzner, durch eine dubiose, zehn Jahre zurückliegende Steueraffäre eingeholt wurde. Die eigenen Parteifreunde hielten sie konsequent am Kochen.

Seine wissenschaftlich wertlose Dissertation wurde vom Bayreuther Staatsrechtler Peter Häberle durchgewunken und mit höchstem Lob bedacht. Häberle hatte 2007 von Stoiber den Bayerischen Verdienstorden erhalten. Zu beachten ist, daß der neue Lehrstuhl an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth in den Jahren, als Guttenberg an der Dissertation arbeitete, von der Rhön-Klinikum AG knapp 750.000 Euro erhielt. Großaktionäre waren – die Guttenbergs.

Interessant ist zudem, daß Häberle zu den Verfechtern einer europäischen Bundesstaatlichkeit zählt und gegen die nationalstaatliche Souveränität argumentiert. Bei den politischen Eliten hat er sich hohes Ansehen damit erworben. Sogar ein eigenes Forschungsinstitut für Europäisches Verfassungsrecht richtete man ihm ein. Guttenbergs Disserta-
tion „Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ ist gleichfalls auf die supranationale Zukunft orientiert, von der führende Transatlantiker wie David Rockefeller und Henry Kissinger schwärmen.

Im Dezember 2010 entließ Guido Westerwelle seinen Mitarbeiter Helmut Metzner aus der FDP-Zentrale, weil der – wie Wikileaks enthüllte – in der US-Botschaft über die laufenden Koalitionsverhandlungen rapportiert hatte. Metzner war ein Bauernopfer. Der viel größere Skandal, daß Guttenberg sich gegenüber dem US-Botschafter ungeniert darüber ausließ, daß sein Ministerkollege Westerwelle das größte Hindernis bei der Aufstockung des deutschen Truppenkontingents in Afghanistan sei, ist öffentlich nie thematisiert worden. Was dem Suhrkamp-Autor Pörksen als Politikleere erscheint, ist in Wahrheit das „formelhafte Abspulen transatlantischer Losungen“. Autorin Beck fragt: „Guttenberg, ein transatlantischer Klon?“

Gerade das könnte ihm sein politisches Comeback sichern. Nach Guttenbergs Sturz äußerte Atlantik-Brückler Michel Friedman sich im ZDF hintersinnig über dessen Zukunftsaussichten: „Solange diese Gruppe ihn hält, braucht er nichts zu befürchten.“ Er muß es wissen. Schließlich wird auch der ehemals gnadenlose Konsument von Zwangsprostituierten und Kokain vom US-affinen Nachrichtensender N24 und von der Springer-Presse als öffentliche Figur am Leben erhalten.

Das Neueste: Die zuständige Staatsanwaltschaft Hof wird gegen den „Betrüger“ Guttenberg wahrscheinlich kein Strafverfahren einleiten. Welt online triumphierte: „Guttenberg wäre bei einem Comeback vorstrafenfrei.“ Und könnte nach seinem Sabbatical in den USA doch noch deutscher Kanzler werden. So schließen sich die Kreise.

Dazu gehört, daß das Suhrkamp-Buch von der Presse hochgelobt, das politisch viel brisantere von Friederike Beck hingegen totgeschwiegen wird.

Friederike Beck: Das Guttenberg-Dossier. Das Wirken transatlantischer Netzwerke und ihre Einflußnahme auf deutsche Eliten. Zeitgeist Print & online. Ingelheim am Rhein 2011,broschiert, 200 Seiten, 16,90 Euro

Oliver Lepsius und Reinhart Meyer-Kalkus (Hg.): Inszenierung als Beruf.  Der Fall Guttenberg. Suhrkamp, Berlin 2011, broschiert, 210 Seiten, 10 Euro

Foto: Karl-Theodor zu Guttenberg: Von Anfang an schien eine schützende Hand die Karriere des ehemaligen Verteidigungsministers zu leiten

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