© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Vom Dorf über die Welt in die Provinz
Werben um Anerkennung: Vor zweihundert Jahren wurde der Komponist und Klaviervirtuose Franz Liszt geboren
Sebastian Hennig

Der große europäische Aufbruch vor zweihundert Jahren spiegelt sich in den vielen Jubilaren aus jener Generation. Philipp Otto Runge, Robert Schumann und Heinrich von Kleist haben uns unlängst auf diese Weise beschäftigt. Und bereits jetzt rüstet sich die Musik- und Opernwelt für die Bizentenar-Feiern Richard Wagners und Guiseppe Verdis im Jahr 2013.

Zuvor aber ist noch Franz Liszt zu beachten, der am 22. Oktober vor zweihundert Jahren im burgenländischen Dorf Raiding geboren wurde. Aus der Franz-Liszt-Konzerthalle, die seit 2006 dort neben dem unscheinbaren Geburtshaus steht, überträgt der Österreichische Rundfunk am Sonnabend ein „Liszt-Geburtstagsfrühstück“. Der Schauspieler und Schriftsteller Gerhard Töschinger gab seinem neuen Buch den passenden Titel „Franz Liszt – Vom Dorf in die Welt“ (Langen-Müller). Das trifft gut die äußere Lebensgeschichte: Der Komponist kam vom Land und eroberte als Virtuose Paris, Moskau, Istanbul und Rom, um in der fränkischen Provinz seine letzte Ruhestätte zu finden.

Dazwischen wurde ihm für zehn Jahre die thüringische Residenz Weimar zu einer wichtigen Stätte eingezogener Arbeit. Sein Vater war Verwaltungsbeamter in Eisenstadt und spielte zudem als Instrumentalist unter Joseph Haydn und Nepomuk Hummel an der berühmten fürstlich-eszterhazyschen Hofkapelle mit. Franz lernt auf dem väterlichen Klavier erstaunlich mühelos die schwierigsten Stücke spielen und triumphiert als Neunjähriger in öffentlichen Konzerten in Ödenburg und Preßburg. Stipendien aus der Hand ungarischer Magnaten ermöglichen die Ausbildung bei Antonio Salieri und Carl Czerny in Wien.

Die Vermarktung des Einzelkindes als Wunderknabe durch den Vater endet mit dessen Tod 1827 auf einer Konzert-reise. Liszt läßt sich mit der Mutter in Paris nieder, wo er sein Dasein mit dem Erteilen von Unterricht fristet. Daß er so früh umjubelt wurde, hat seine Selbstwahrnehmung gestört. Die Folge sind tiefe Zweifel über sein Künstlertum und auszehrende Weibergeschichten. Von Mozart wird überliefert, daß der Knabe in Tränen ausbrechen konnte, wenn ein Publikum ohne Kunstverständnis ihm applaudierte. Liszt dagegen forcierte das Interesse an seiner artistischen Leistung noch durch Zurschaustellung äußerlicher Marotten. Das Gemälde „Liszt am Flügel“ von Josef Danhauser zeigt den langhaarigen Tastengott Auge in Auge mit einer monumentalen Beethoven-Büste, die im geöffneten Fenster vor einem verhängnisvoll umdämmerten Himmel steht. Neben, hinter und zu Füßen lagern die ergriffenen Kollegen und Bewunderer.

1841 kommt es zu einer ersten Begegnung mit Richard Wagner in dessen Pariser Notjahren. Die Begegnung ist eine der folgenreichsten für beide Musiker. Liszt setzt sich immer wieder für Wagners Werke ein, was dieser ebenso selbstverständlich hinnimmt, wie dessen Tochter Cosima zum Eheweib. Vielen auf Wagner gezielten Bosheiten dient der Freund als Zielscheibe. Man schreibt vom „berüchtigten Nichtkomponisten, dessen Tonschmierereien direkt eine Herausforderung zum Zischen und Pfeifen seien“. Der Musikkritiker Eduard Hanslick spricht von einer „Genialitätsdampfmühle, die fast immer leer geht.“ Freilich haftet vor allem Liszts Orchesterwerken oftmals etwas Indezentes an. Das gibt es zwar auch bei Wagner zur Genüge, dort bleibt aber zuletzt hinter den Effekten noch ein Dämonisches und Geheimnisvolles bestehen. Bei Liszt ist dieses am stärksten in den Klavierstücken zu bemerken, und da vor allem in den späten.

Sein Werben um Anschluß und Anerkennung bei den Machtinstanzen vom Vatikan über das Konzertpublikum bis zu Wagner verläuft selten glücklich. Selbst die Magyarisierung gelingt ihm nicht reibungslos: Der Ministerpräsident Tisza lehnt die Beisetzung seines Leichnams in Pest ab, wegen des „antinationalen“ Aufsatzes über „Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn“. Ohnehin wünschte der Komponist seine letzte Ruhestätte dort zu erhalten „wo er dereinst sterben werde“. Das erfolgte in Bayreuth, wo die gerade laufenden Festspiele ungerührt weitergingen.

In seiner eigenartigen Mischung von Selbstbewußtsein und Resignation äußerte Liszt einige Jahre vor seinem Tod gegenüber einem Freund: „Man wird mich zwar nicht wie den toten Tasso im Triumph zum Kapitol tragen, aber es wird die Zeit schon kommen, in welcher man meine Werke anerkennen wird. Für mich aber wird es zu spät sein, denn ich werde nicht mehr unter Euch weilen.“

Tatsächlich urteilte die folgende Komponisten-Generation anders, vor allem jene, die sich der alles versengenden Sonne Richard Wagners entziehen wollten. Ravel befindet zwar noch defensiv rhetorisch: „Welche Mängel an Liszts ganzem Werk sind uns denn so wichtig? Sind nicht genügend Stärken in dem tumultuösen, siedenden, ungeheuren und großartigen Chaos musikalischer Materie, aus dem mehrere Generationen berühmter Komponisten geschöpft haben?“ Ferruccio Busoni befindet: „Im letzten Grunde stammen wir alle von Liszt ab – Wagner nicht ausgenommen – und verdanken ihm das Geringere, das wir vermögen.“ Reinhard Haschens Monographie von 1989 trägt den vielsagenden Titel „Franz Liszt oder Die Überwindung der Romantik durch das Experiment“.

Der Ur-Ur-Enkelin Nike Wagner, die seit 2004 ein Liszt gewidmetes Kunstfest in Weimar leitet, wurde dessen Musik von den Exponenten der Neuen Musik-szene in Darmstadt und Donaueschingen nahegebracht, die waren „auffallend Liszt-positiv“, sagte sie Ende April dieses Jahres in einem Interview mit der Zeit. Wagner habe dort niemanden interessiert, „dagegen war Liszt aktuell mit seinen formalen Experimenten, dem Verlassen der Tonalität, dem Kargwerden des musikalischen Satzes“.

Den wahren fruchtbaren Kern dieses etwas ideologisch-äußerlichen Begründungsvorschlages enthüllt Béla Bartóks Auskunft von 1936: „Liszts Werke wirken befruchtender auf die nachfolgenden Generationen als die Wagners.“ Denn er „läßt in seinen Werken so viele Möglichkeiten anklingen – ohne sie selbst bis zum letzten ausgeschöpft zu haben –, daß von ihm unvergleichlich stärkere Impulse ausgehen als von Wagner.“

Programmtip: Aus Anlaß des 200. Geburtstages von Franz Liszt überträgt Arte am Samstag, 22. Oktober, ab 21.05 Uhr leicht zeitversetzt das Festkonzert aus Weimar unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann.

Fotos: Franz Liszt, Lithographie von Deveria, 1832: Tiefe Zweifel über sein Künstlertum; Franz Liszt am Flügel, Gemälde von Josef Danhauser (1805–1845), Öl auf Holz, 1840: Auge in Auge mit einer Beethoven-Büste

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