© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Ökonomie ist mehr als gesunder Menschenverstand
Wirtschaftstheorie: Kritische Anmerkungen zu Rahim Taghizadegans Einführung in die Österreichische Schule / Grenzen des menschlichen Wissens
Erich Weede

Mit Rahim Taghizadegan und den „Österreichern“, einer wirtschaftswissenschaftlichen Denkschule, kann man in manchen Fragen einig sein, in anderen gar nicht. Wie die Klassiker, beispielsweise Adam Smith, sind sie (Eugen von Böhm-Bawerk, Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek) dem „gesunden Menschenverstand“ in seiner illusionslosen Variante nahe, was sich auch in dem Verzicht auf mathematische Hilfsmittel äußert. Wir verdanken ihnen wichtige Erkenntnisse, etwa warum Sozialismus nicht funktionieren kann.

Weil die „österreichische“ Denkschule keine mathematischen Zugangsschranken aufbaut, wird die Vermittlung ihrer zahlreichen wichtigen Einsichten leichter. Wenn die Wähler und erst recht die Politiker mit diesen Erkenntnissen vertraut wären, könnte sich die Politik nur verbessern. Deshalb ist der Versuch von Taghizadegan zu begrüßen, die Österreichischen Schule einem breiten Lesepublikum zugänglich zu machen.

Nach zwei einleitenden Kapiteln verwirft der Wiener Wirtschaftsphilosoph unter der Überschrift „Werte und Kosten“ alle objektiven Wertlehren, einschließlich der These, daß Wert durch Arbeit geschaffen werde, und insistiert, daß „Wert“ immer das Resultat subjektiver Entscheidungen (Wertschätzungen)ist. Im Kapitel „Handel und Märkte“ verweist Taghizadegan darauf, daß freier Tausch auf dem Markt der Besserstellung aller Beteiligten dient.

Man gibt etwas, was für einen persönlich weniger Wertvoll ist, um etwas für einen selbst wertvolleres zu erhalten. Nicht nur die Unterschiedlichkeit des Könnens oder komparative Kostenvorteile, sondern auch die Unterschiede der Wertschätzung von Gütern führen zum Tausch. Hintergrundbedingung der Besserstellung aller Beteiligten ist die Freiwilligkeit. Im Gegensatz zu vielen Globalisierungskritikern weiß Taghizadegan, daß das auch auf dem Weltmarkt zutrifft. Unter den Titeln „Marktversagen und Interventionen“ sowie „Arbeitsplätze“ erläutert Taghizadegan, daß und warum politische Eingriffe in den Markt – von der Zentralverwaltungswirtschaft bis hin zu staatlich gesetzten Höchst- oder Mindestpreisen (bzw. -löhnen) – in aller Regel zu Verschlechterungen führen, oft zu Lasten scheinbar Begünstigter.

In den drei Kapiteln erklärt Taghizadegan, was zu Wachstum und Wohlstand führt: zeitweiliger Konsumverzicht und Investitionen, das Finden und Erfinden von Profitchancen, die Zusammengehörigkeit von Entscheidung und Haftung beim Unternehmer – wie im Mittelstand, aber nicht bei der Aktiengesellschaft die Regel.

Im Zinskapitel macht Taghizadegan auch einen Vorzug des Marktes gegenüber alternativen Koordinationsmechanismen klar: Menschen können (auch bei Verfolgung ganz unterschiedlicher Ziele) Mittel miteinander tauschen und damit einen Beitrag zur Überwindung des Freund-Feind-Denkens leisten.

Anschaulich werden die Österreichische Geld- und Konjunkturtheorie sowie die Rolle des Staates analysiert. Kritisch behandelt der Autor das Teilreservesystem der Banken, Zentralbanken und die Geldschöpfung aus dem Nichts (Fiat-Money). Für Wirtschaftskrisen und Inflation wird von ihm letztlich der Staat verantwortlich gemacht. Auch auf die negativen Anreize durch Steuern und Regulierung wird hingewiesen.

In den letzten Kapiteln distanziert sich Taghizadegan (ähnlich wie Hayek) vom Kapitalismusbegriff, aber nicht von der oft so bezeichneten Wirtschaftsordnung. Er betont die Grenzen des menschlichen Wissens und fordert intellektuelle Bescheidenheit. Taghizadegan gibt – er ist Gründer des Instituts für Wertewirtschaft in Wien – auch Anlageempfehlungen, mit denen vermutlich aber kaum ein Kapitalanleger etwas anfangen kann.Taghizadegans Buch vermittelt auf gut lesbare Art wichtige Kenntnisse über die Wirtschaft und die Schwächen der herrschenden Praxis. Daß dabei manchmal der falsche Eindruck entsteht, als ob nur die „Österreicher“ zu ökonomischen Erkenntnissen fähig seien, kann man noch hinnehmen, aber die wiederkehrenden abfälligen Bemerkungen über andere Denkschulen, Mathematisierung und Messung erwecken den Eindruck, daß letztere Garanten des Irrtums seien.

Auch daß die Herkunft von Theorien viel über deren Gültigkeit verrate und daß bei „österreichischen“ Theorien Falsifikationsversuche schlicht überflüssig seien, ist mehr als fragwürdig. Taghizadegan hat damit das Kunststück fertiggebracht, gleichzeitig viele vernünftige Einsichten zur Wirtschaft und ein geradezu absurdes Bild von den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu vermitteln.

 

Prof. Dr. Erich Weede war Professor für Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn. Er schrieb zahlreiche Fachbücher, zuletzt „Unternehmerische Freiheit und Sozialstaat“ (2008).

Rahim Taghizadegan: Wirtschaft wirklich verstehen. Finanzbuch-Verlag, München 2011, 287 Seiten, gebunden, 24,99 Euro

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