© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Cavaliere am Abgrund
Italien: Noch trotzt Ministerpräsident Berlusconi der Straßenrandale und Mißtrauensvoten, doch die Luft wird immer dünner
Paola Bernardi

An dem Kruzifix hängt nur noch der Torso ohne Kopf und ohne Beine: Stummes Mahnmal an die gewalttätigen Ausschreitungen in Rom am letzten Wochenende. Eine Gewaltwelle bei der Großdemonstration gegen die Macht der Banken verwandelte das Zentrum Roms in ein Schlachtfeld. Nicht nur daß Luxushotels, Banken und Steuerbehörden in Brand gesetzt wurden, Autos und Schaufensterscheiben systematisch zerstört wurden, sondern erstmals gingen die Gewalttäter auch gegen die Kirche vor. Jetzt wurden die Fotos veröffentlicht, die einen Maskierten zeigen, wie er aus der Kirche „Dei Santi Marcellino e Pietro“ an der via Labicana eine Madonnenstatuette heraustrug und auf dem Pflaster zerschmetterte.

Italien reagiert geschockt: Über 100 Verletzte. Die Sachschäden gehen in die Millionen. Unter den 150.000 Demonstranten, die sich an dem weltweiten Protest (Occupy Wall Street) beteiligten – der sogenannte „schwarze Block“. Hunderte Autonome kamen aus ganz Italien. Gut per Internet organisiert, mit Waffen, Rauchbomben und Steinen in Rucksäcken versehen, stürmten die Maskierten Rom.

Dabei waren die Sicherheitsbehörden gewarnt. Man ahnte bereits, daß diese Kundgebungen turbulent würden. Denn seit Wochen wird gegen die Regierung Berlusconi protestiert, nachdem im September das erste Sparpaket verabschiedet wurde. Nach dem jüngsten Vertrauensvotum, (dem 51. seit Beginn der Legislaturperiode), das Ministerpräsident Silvio Berlusconi mit 316 gegen 301 Stimmen wieder einmal gewann, waren die Einsatzkräfte auf gewaltsame Zwischenfälle vorbereitet. Doch auf einen darartigen Gewaltausbruch war man dann doch nicht vorbereitet.

Inzwischen wurden zwölf Täter verhaftet, darunter vier Frauen und drei Minderjährige. Die Suche geht weiter.  Innenminister  Roberto Maroni von der Lega Nord gibt sich hart: „Wir werden die Urheber finden; es sind reine Kriminelle, die exemplarisch bestraft werden.“ Es grenze an ein Wunder, daß es keine Toten gegeben habe, so Maroni. Auch Ministerpräsident Berlusconi ruft nach einer strengen Bestrafung. Randalierern drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Aber mögen die Worte der Regierung nun martialisch klingen, mag Berlusconi noch einmal frohlocken, daß auch der letzte hinterhaltige „Überfall“ auf ihn gescheitert sei, jeder spürt es, daß diese Regierung in ihrer bisher schwersten Führungskrise steckt.

Auch der jüngste Sieg Berlusconis kann nicht über die Lähmungserscheinungen hinwegtäuschen. Nicht nur, daß die Rating-Agenturen Italien wöchentlich immer tiefer herabstufen, die Justiz immer neue Prozesse gegen den italienischen Ministerpräsidenten einleitet, sogar die Kirche hat Berlusconi erstmals kritisiert – nun stellt auch noch sein treuester Verbündeter die Regierungskoalition in Frage. Denn erstmals hat sich der Chef der Lega Nord, Umberto Bossi für Neuwahlen ausgesprochen. Und als wollte er dies noch bekräftigen, fügte er hinzu: „Berlusconi ist das Problem.“

Längst vergessen schienen die Zeiten, als Berlusconi bei seiner ersten gewonnenen Wahl mit „Forza Italia“ im Jahre 1994 die Lega in seine Regierungskoalition aufnahm. Nur –  Bossi trat nach acht Monaten wieder aus, stürzte somit Berlusconi. In den späteren Legislaturperioden schien die Freundschaft zwischen den beiden zu glänzen: Berlusconi und Bossi hielten lange zusammen wie Pech und Schwefel.

Doch an der Basis der regionalistischen Lega rumort es gewaltig. Allzu sehr fühlen sich die Lega-Parlamentarier, die von einem unabhängigen Staat Padanien   träumen, mit in den römischen Abgrund gezogen. Immer mehr Bürgermeister, so in Varese und Verona begehren auf. Die Machtkämpfe über die Nachfolge des 70jährigen Bossi sind voll entbrannt und werden offen vom Innenminister Roberto Maroni – ein Mann der ersten Stunde der Lega – angeführt.

Als nun noch der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano den Lega-Chef Umberto Bossi scharf angriff und ohne Umschweife erklärte: „Heute noch von Sezession zu sprechen, ist völlig realitätsfern. Solche Worte beleidigen die Geschichte unseres Landes“,  war das Faß zum Überlaufen gebracht; Bossi setzte noch einen drauf: Italien sei zum „Ekel“ verkommen, erklärte er. Und weiter: „Schluß damit, das Volk kann nicht als Sklave der Zentralregierung existieren. Wir haben ein Recht auf unsere Freiheit.“ Da war er wieder, der alte Kampfgeist des Lega-Gründers.

Doch nicht nur Bossi und die Lega bereiten Berlusconi Kopfzerbrechen, auch in der eigenen Partei Volk der Freiheit (PdL) rebelliert eine Gruppe von 35 PdL-Parlamentariern um den ehemaligen Industrieminister Claudio Scajola („Eine Wende ist notwendig“) und droht im Parlament mit Mißtrauensanträgen. Parallel dazu herrscht zwischen Wirtschaftsminister Giulio Tremonti – der immer als enges Bindeglied zwischen Berlusconi Partei PdL und Bossis Lega galt – und Berlusconi nach Verabschiedung der Sparpläne Eiszeit. Selbst die bis dato berlusconitreue Unternehmerschaft fordert den Cavaliere lautstark auf, zurückzutreten – aus Liebe zum Land.

Die Zeichen stehen auf Sturm, und Berlusconis Mehrheit scheint fraglicher denn ja. Man könnte also meinen, dies sei die Stunde der Opposition: Doch die Linke Italiens ist derart zerstritten, daß sie nicht einmal jetzt imstande ist, eine konstruktive Mehrheit auf die Beine zu stellen, um Berlusconi zu stürzen.

Foto: Gegen Bankenmacht und Berlusconi: Mit dem Plakat  „Werft einen Schuh nach Silvio“ wirft sich ein Demonstrant in Rom in Siegerpose 

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