© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Flämische Wahlsieger bleiben draußen
Regierungsbildung in Belgien: Sozialist Di Rupo wird als Held gefeiert, doch seine Regierungskoalition steht auf tönernen Füßen
Mina Buts

Beinahe 500 Tage nach der letzten Parlamentswahl rückt eine belgische Regierung doch noch in greifbare Nähe. Nachdem die größte Fraktion im Parlament, die national-konservative N-VA bereits vor Monaten aus den Regierungsverhandlungen ausgeschert ist, gelang es im September den acht noch für eine Regierungsbildung vorgesehenen Parteien, eine Einigung über den Dauerstreitpunkt, nämlich die Aufteilung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde, zu erreichen. In den sechs in Flandern liegenden Gemeinden, die schon jetzt über eine wallonische Bevölkerungsmehrheit verfügen, wird es in Zukunft französischsprachige Bürgermeister geben. Damit wird der schon lange geforderte Korridor zwischen Wallonien und Brüssel manifest – was im Falle einer stattfindenden Teilung des Landes eine gewichtige Rolle spielen dürfte. In den übrigen Gemeinden, so das wallonische Zugeständnis, werden hingegen künftig nur flämische Parteien zu wählen sein.

Jetzt hat sich der designierte Ministerpräsident des Landes, Elio Di Rupo von den wallonischen Sozialisten (PS), auch der flämischen und wallonischen Grünen entledigt. Acht Parteien, so hatten die flämischen Liberalen der Open VLD zuvor erklärt, das sei dann doch eine „adipöse Regierung“, man wolle es lieber „schlank, wendig“. Zudem, so der Parteivorsitzende der flämischen Liberalen Alexander de Croo, sei der ideologische Graben zwischen den Liberalen und den Grünen einfach zu tief. Mit dem erfolgten Ausschluß der Grünen sind nicht nur die beiden flämischen Wahlsieger vor die Tür gesetzt worden, die für die neue Regierung noch vorgesehenen flämischen Parteien S.PA, CD&V und Open VLD haben mit 43 von 88 Sitzen nicht einmal mehr die Mehrheit der Parlamentssitze ihres Landesteils inne. Eine gewagte Konstellation, die sich bei den 2012 anstehenden Regionalwahlen rächen könnte. Schon jetzt prognostizieren Umfragen einen Zuwachs für die N-VA, auch der rechte Vlaams Belang erholt sich von seinem Umfragetief.

Doch gibt sich di Rupo optimistisch, gemeinsam mit seiner PS, den wallonischen Liberalen der MR und den Christdemokraten der CDH und deren flämischen Schwesterparteien eine Regierung bilden zu können. Er wäre der erste wallonische Ministerpräsident seit 1974, gleichzeitig auch der erste Sozialist in diesem Amt.

Sollte die Regierungsbildung in diesem Anlauf tatsächlich gelingen, muß Di Rupo zuerst einmal erklären, wo er das Sparpotential für die geplanten 10 Milliarden Euro sieht – immerhin 1.000 Euro pro Kopf. Doch vor allem an der Lösung der Asyl- und Einwanderungsfrage wird er sich messen lassen müssen. Belgien gilt als das Paradies für illegale Einwanderer. Sie bevölkern nicht nur die Gefängnisse – ein Drittel aller Häftlinge sind Illegale. Eine ganze Einwanderungsindustrie ist in den vergangenen Jahren entstanden, da jeder Ausländer, wenn er auch nur einen Tag gearbeitet hat, lebenslang Arbeitslosengeld erhält.

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