© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Hoffen und Bangen
Bundeswehr: Verteidigungsminister entscheidet über Standortschließungen
Marcus Schmidt

So etwas hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) noch nicht erlebt, vermutlich auch keiner seiner Amtsvorgänger. In der vergangenen Woche hat sich der Bürgermeister von Immendingen in Baden-Württemberg an das Wehrressort gewendet und um die Schließung der Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne gebeten.

Im Berliner Bendlerblock und der Bonner Hardthöhe, den beiden Dienstsitzen des Ministeriums, werden sich die für die Bundeswehrreform zuständigen Beamten und Offiziere verwundert die Augen gerieben haben. Denn in den vergangenen Wochen sind bereits zahlreiche andere Bürgermeister und Kommunalpolitiker beim Ministerium vorstellig geworden. Doch dann hieß es stets: Bitte, bitte verschonen sie unsere Stadt, unsere Region von den Standortschließungen.

Denn auch wenn de Maizière erst am kommenden Mittwoch die Liste mit den künftigen Garnisonsorten bekanntgibt, ist seit Verkündung der Truppenreduzierung durch seinen Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) klar, daß die Bundeswehr erneut zahlreiche Standorte schließen muß.

Seit Monaten wird im Verteidigungsministerium fieberhaft an der Reform der Streitkräfte gearbeitet. Die künftige  Struktur der Armee, die als Grundlage für die Festlegung der Standorte notwendig ist, zeichnet sich mittlerweile bereits deutlich ab.

Als Obergrenze für den Umfang der Truppe steht die Zahl von 185.000 Soldaten fest, darunter 2.500 Reservisten. Von den bis zu 170.000 Zeit- und Berufssoldaten sollen 55.300 auf das Heer, 22.000 auf die Luftwaffe und 12.500 auf die Marine entfallen. Der Sanitätsdienst soll demnach künftig 14.100 Soldaten, die Streitkräftebasis 35.500 umfassen. Rund 30.400 Zeit- und Berufssoldaten befinden sich jeweils in der Ausbildung oder sind in anderen Verwendungen gebunden und stehen demnach nicht für Einsätze zu Verfügung. Der Verteidigungsminister hat zudem bereits deutlich gemacht, daß die Bundeswehr trotz der Reduzierung der Personalstärke von rund 220.000 auf 185.000 Soldaten keine Fähigkeiten aufgeben soll. Allerdings wird es voraussichtlich Einschnitte bei den Artilleriebataillonen des Heeres und den Geschwadern der Luftwaffe geben. Als Parole gab de Maizière den Grundsatz „Breite vor Tiefe“ aus. Eine Ankündigung, die den Bundeswehrverband veranlaßt hat, vor einer Überbelastung der geschrumpften Truppe zu warnen (JF 43/11).

Um die einzelnen Stationierungsorte wird hinter den Kulissen seit Wochen hart gekämpft, nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf landes- und bundespolitischer Ebene.  So muß etwa Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) fürchten, daß sein bislang mit Bundeswehrstandorten vergleichsweise gut ausgestattetes Land von den bevorstehenden Schließungen besonders hart getroffen wird. Die Medien in Bayern berichten von 10.000 bis 12.000 Stellen bei der Bundeswehr, die im Zuge der Reform im Freistaat auf der Kippe stehen. Bislang sind in Bayern rund  49.000 Soldaten und Zivilangestellte an 68 Standorten stationiert.

Auch wenn das Verteidigungsministerium bislang Wasserstandsmeldungen  über mögliche Kasernenschließungen nicht kommentiert, sind erste Details bereits an die Öffentlichkeit gelangt. So zeichnet sich etwa ab, daß dem traditionsreichen Bundeswehrstandort Hannover ein schwerer Aderlaß bevorsteht. Die niedersächsische Landeshauptstadt muß sich aller Voraussicht nach von der seit 1956 hier stationierten 1. Panzerdivision verabschieden. Der Stab und damit rund 400 Soldaten, wird vermutlich nach Oldenburg verlegt. Daß die Stadt, die künftig das Hauptquartier eines der mit derzeit noch rund 22.000 Soldaten letzten verbleibenden Großverbände der Bundeswehr beherbergen wird, ausgerechnet der Wahlkreis des Parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, Thomas Kossendey (CDU), ist, dürfte zumindest in Hannover mit Interesse zur Kenntnis genommen werden.

Markus Hugger (CDU), der Bürgermeister von Immendingen, das sich als „Garnisonsgemeinde“ bezeichnet, hat übrigens gute Gründe für seine ungewöhnliche Bitte um die Schließung der Kaserne. Längst hat man der Daimler AG das Gelände zur Ansiedlung eines vom Autobauer geplanten Technologie- und Prüfzentrums angeboten und erste Gespräche geführt. Den Kommunalpolitikern scheint die Ansiedlung eines weltweit erfolgreichen Autobauers sicherer als der Stützpunkt einer seit zwanzig Jahren stetig schrumpfenden Armee. Denn nicht nur die Kommunalpolitiker wissen: Die nächste Bundeswehrreform – und damit weitere Standortschließungen – kommt bestimmt.

Foto: Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), Generalinspekteur Volker Wieker: „Breite vor Tiefe“ als Parole

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