© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Leicht entflammbar
Brandsatz-Serie: Linke Politiker verharmlosen Anschläge auf die Bahn
Baal Müller

Allnächtliche Brandstiftungen an Fahrzeugen gelten in Berlin mittlerweile als normal – ebenso wie der Ratschlag, man solle sein Fahrzeug lieber nicht in bestimmten Stadtvierteln abstellen. Vergangene Woche erreichte die linksextreme Gewalt offenbar eine neue Qualität: An zahlreichen Bahngleisen wurden immer neue Brandsätze gefunden, so daß der Schienenverkehr in der Hauptstadt erheblich eingeschränkt war. Schwerwiegender als die Kosten und Unannehmlichkeiten ist aber die Verunsicherung der Öffentlichkeit, zumal umstritten ist, ob Menschenleben durch die mit Benzin gefüllten und mit Zündvorrichtungen versehenen Flaschen gefährdet waren. Die tatsächliche Gefahr, die von den – wegen Regenwetters großenteils nicht entflammten – Brandsätzen ausging, mag geringer gewesen sein, als es den Berichten von einem „unheimlichen Feuerterror“ (Bild) entsprach, aber die Täter erhielten durch solchen Alarmismus die Aufmerksamkeit, die sie sich wünschten.

Selbstverständlich sind die Anschläge nicht zu verharmlosen, im Gegenteil. Aber es mutet merkwürdig an, wenn manche Medien oder Politiker, die Brandanschläge seit Jahren als „Zündeln“ verniedlichen und das Vorhandensein einer gewaltbereiten linksautonomen Szene bestreiten, sich nun vorübergehend erregen. Die deutlichsten Worte kamen aus der CSU, die eine gute Gelegenheit hatte, von der Affäre um möglicherweise unrechtmäßig eingesetzte „Bundestrojaner“ abzulenken: Verkehrsminister Ramsauer sprach von „verbrecherischen, terroristischen Anschlägen“; Berlins CDU-Chef Frank Henkel sekundierte mit einer „neuen Form des Extremismus“, und sein Parteifreund Wolfgang Bosbach erinnerte an die Anfänge der RAF.

Auf der Linken hielt man wenig von solchen Parallelen; so menschelte Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit (SPD) nur von „rücksichtslosen, menschenverachtenden Anschlägen“, und sein Innensenator Ehrhart Körting gestand zwar zu, daß man von einer „Terroraktion“, nicht aber von Terrorismus sprechen könne, und sah lediglich eine isolierte Gruppe am Werk. Ähnlich warnte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz vor einem „leichtfertigen Umgang“ mit dem Terrorismusbegriff, da es hier nur um „einen Eingriff in den Schienenverkehr“ gegangen sei, und der Berliner Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele wetterte, daß jemand, der Bezüge zur RAF konstruiere, überhaupt nichts von den damaligen Vorgängen verstanden habe.

Ungeachtet dieser interessegeleiteten Einschätzungen stellt sich tatsächlich die Frage der Vergleichbarkeit einer kommunistisch ausgerichteten Kaderorganisation wie der von der Stasi unterstützten RAF mit dem (nach einem isländischen Vulkan benannten) „Hekla-Empfangskomitee“, das sich in einem auf der linksextremen Internetplattform „Indymedia“ veröffentlichten Pamphlet zu den Anschlägen bekannte. Zweifellos haben auch in den siebziger Jahren linke Milieus und deren Exponenten in den Feuilletons terroristische Gewaltakte verständnisvoll beurteilt oder gar unterstützt, aber sie waren deutlich vom bürgerlichen Lager geschieden. Heute kann Körting zwar mit einigem Recht, wie ein Blick in die auf „Indymedia“ publizierten hämischen Kommentare zu den Brandanschlägen zeigt, auf die mangelnde Unterstützung der Täter in der linksradikalen Szene hinweisen, aber die Situation ist dadurch nicht besser geworden: Immerhin gab es zu RAF-Zeiten noch einen relativ einflußreichen Konservatismus als Korrektiv zum linken Spektrum, während dessen Vorstellungen heute großenteils zum gesellschaftlichen „Mainstream“ geworden sind.

Noch bemerkenswerter sind die ideologischen Differenzen zwischen dem Steinzeitkommunismus des „klassischen“ Terrorismus und dem pazifistischen Geschwurbel der Hekla-Gruppe, das teilweise fast „konservative“ Züge annimmt. Während die RAF in der Tötung von Menschen so etwas wie Kollateralschäden sah, die man für die Revolution in Kauf nehmen müsse, versicherten die Anarchisten, daß es ihnen einerseits um ein Zeichen gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr gegangen sei, andererseits aber vor allem darum, Berlin als „Kriegshauptstadt“ für eine Weile lahmzulegen beziehungsweise zu „entschleunigen“.

Eine solche Kritik an totaler Mobilität und technokratischer Vereinnahmung des Menschen, die mit großem Medienecho auch in dem 2007 in Frankreich anonym veröffentlichten und sodann in mehrere Sprachen übersetzten Manifest „Der kommende Aufstand“ formuliert wurde, ist – ungeachtet aller Partisanenrhetorik – ihrem Wesen nach alles andere als links, wie Johannes Thumfart in einem giftigen Verriß in der Jungle World vom 25. November 2010 hervorgehoben hat: Die in dem Buch vorgetragenen Gedanken seien „zu eng mit der deutschen Ideengeschichte verwoben, als daß man sie auch nur in Erwägung ziehen könnte“.

Der französische Re-Import ist also interessanter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Ob die Hekla-Aktivisten ihn oder gar Heidegger und Carl Schmitt, deren geistige Ahnherrschaft Thumfart wittert, gelesen haben, ist fraglich – links ist jedoch nur ihre Bombenlegeraktion, nicht deren Motivation. Wie eine konservative Entschleunigungskritik heute auszusehen hätte, sollte wieder einmal diskutiert werden.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen