© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Der Wind dreht sich
Klaus Rainer Röhl spricht Klartext über das Jammertal Bundesrepublik / Dennoch sei das Glas halb voll / Zunehmend spüre er „noch vorhandenen“ Selbsterhaltungswillen der Deutschen
Rolf Dressler

Klaus Rainer Röhl versteht sich vortrefflich darauf, das eigene wechselvolle Leben wie in einem Spiegel nachzuzeichnen. Zeitgeistkritisch. Selbstkritisch. Immer wieder erfrischend konkret. Der inzwischen 83 Jahre alte Junggebliebene weiß nur zu genau, von welchem fanatisch-ultralinks-ideologischen Irrglauben er in seinen Sturm-und-Drang-Zeiten einst beseelt gewesen war und zu welchen konträren besseren Einsichten er in der Folge fand.

Klaus Rainer Röhl schöpft besonders authentisch aus einem großen Quell sehr persönlicher politischer Erfahrungen und Umbrüche. Anders als viele nachgeborene Alles-besser-Wisser doziert er weder mit professoralem Beiton noch schwadroniert er im Unverbindlichem vor sich hin. So wünscht man sich einen Zeitzeugen mit besonderer Beobachtungsgabe. Darauf dürfen sich auch jene freuen, die nun sein jüngstes Buch zur Hand nehmen. Schon der Titel ist sinnfällig genug: „Höre, Deutschland – Wir schaffen uns nicht ab“. Auch diesmal wieder rechnet Klaus Rainer Röhl kundig und elanvoll mit den mannigfachen ideologischen Abirrungen und politischen Fehlsteuerungen der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart ab. In Sauertöpfigkeit verfällt er nicht. Gerade weil er, allen unguten Zeitzeichen zum Trotz, Selbstheilungschancen zu erkennen meint und es – was wahrlich selten geworden ist im quirligen Polit- und Medienbetrieb unserer Tage – sogar für möglich hält, daß der Selbstbehauptungs- und Gesundungswille der Deutschen noch längst nicht erloschen ist.

Ein unschätzbares Verdienst daran schreibt Klaus Rainer Röhl maßgeblich der beherzten öffentlichen Initiative des Sozialdemokraten und ehemaligen Bundesbankvorstandsmitgliedes Thilo Sarrazin zu. Zu Recht. Und das vor allem aus zwei Gründen. Zum ersten: Sarrazins Mahn- und Alarmruf hat jedermann vor Augen geführt, daß der verniedlichend „Migration“ (sprich: „Wanderung“) genannte Zustrom namentlich von Menschen aus dem offensiv gepolten islamischen Kulturkreis ein existentielles Zukunftsproblem für die angestammte deutsche Bevölkerungsmehrheit ist.

Und zweitens, kaum minder wichtig: Thilo Sarrazin lieferte den erfreulichen Beweis dafür, daß sogar ein mutiger Einzelner die politische und mediale Lufthoheit über die veröffentlichte und damit die öffentliche Meinung zu brechen vermag. Anders gesagt: Die links-politisch korrekte Sprachregelung ist durchaus nicht unangreifbar. Themen jedenfalls, die den Menschen wirklich auf den Nägeln brennen, können fortan längst nicht mehr so leicht unter dem Deckel gehalten werden. Und das erfüllt gewiß nicht nur Klaus Rainer Röhl mit einiger Genugtuung – es läßt viele andere Landsleute hoffen. Angela Merkels urplötzlicher 180-Grad-Schwenk vom bis dahin ausgewogenen „Energie-Mix“ einschließlich Atomkraft hin zum Abschalten auf Teufel komm raus? Klaus Rainer Röhl fragt kurz und trocken: Wegen Rousseau? Der heilen Natur, der Sauberkeit der Luft zuliebe? Dann dürfte kein einziger Kohlemeiler mehr in Betrieb sein, geschweige denn reihenweise neue, größere Kohle- und Gaskraftwerke gebaut werden.

Gibt es eine Altenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft? Röhls Beobachtung: Ob „Seniorenteller“ oder „Seniorentreff“, Absonderung hat viele Gesichter. Eine kaum verhohlene Anzüglichkeit sei bei Veranstaltern sogenannter „Kaffeefahrten mit Rheumadecken“ ebenso gang und gäbe wie in Behörden oder in Krankenhäusern: „Na, wie haben wir (!) denn heute geschlafen ...?“ Davor, schreibt Klaus Rainer Röhl, schütze weder eine private Krankenversicherung noch das Einzelzimmer in der Klinik. Und überhaupt scheine es so manchen neunmalklugen jüngeren „Experten“ in Politik und Presse mit dem Sterben der Älteren nicht schnell genug zu gehen. Bemerkung eines Arztes in einer Fernsehgesprächsrunde: „Wir haben da ein demographisches Problem, wir werden immer älter – jedenfalls die Deutschen ...“

Und wie nimmt nicht nur Klaus Rainer Röhl die heutige CDU der Kanzlerin Angela Merkel und ihrer willigen Gefolgschaft der Röttgen, Gröhe, Pofalla & Co. wahr? Als orientierungsschwach schwankende Gruppierung, die den Status einer wirklichen Volkspartei ebenso wie die SPD-Konkurrenz eingebüßt, ja, in der Wählerschaft praktisch verwirkt habe. Die erdrückende linke Mehrheit der Medien habe die CDU so sehr in eine unbestimmte politische Mitte getrieben, „daß es mittelmäßiger gar nicht mehr geht“. Das ursprünglich tragende, im besten Wortsinn konservative Profil, sagt Röhl, habe sich weitgehend verflüchtigt, sichtbar werde nur noch die blanke Angst, nur ja nicht irgendwo anzuecken. Klaus Rainer Röhls Rat an Angela Merkel: „Nicht immer nur gegen Frauenfeindlichkeit, Minderheiten-, Ausländer- und Migrantenfeindlichkeit auftreten, sondern auch vernehmlich gegen Deutschenfeindlichkeit.“ Denn: „Mehr Deutschenfreundlichkeit würde jetzt und bei der nächsten Bundestagswahl im Jahre 2013 gut verstanden werden. Der Trend geht zur Nation. Überall in Europa.“

Dem zu entsprechen zum Nutzen des Ganzen und der Menschen, meint Klaus Rainer Röhl, sei zwar schwierig genug in einem mächtigen linksgewickelten Polit- und Medienumfeld, in dem viele „Macher“ weithin ungeniert nach dem Motto des Altmeisters Wladimir Iljitsch Lenin handelten: „Journalismus ist Agitation mit Tatsachen.“ Schon frohlockten angesichts der Euro-Krise nicht wenige, daß Karl Marx am Ende doch noch recht behalten könnte. Nach normalem Menschenverstand sollte man doch zum Beispiel einfach einmal fragen, wie es denn angehen könne, daß drei US-amerikanische, „aus dem Dunkel operierende“ sogenannte Ratingagenturen gleichsam Hampelmann mit der Politik spielten und über das Wohl und Wehe der gesamten Finanz- und Wirtschaftswelt entschieden und zu wessen Nutzen. Doch sofort werde der Fragesteller reflexartig verdächtigt, irgendwelche „abstrusen Verschwörungstheorien“ zu verbreiten, und versucht, ihn als bemitleidenswerten Spinner hinzustellen. Eine klarsichtige Bestandsaufnahme, zur Lektüre empfohlen.

Klaus Rainer Röhl: „Höre, Deutschland – Wir schaffen uns nicht ab“. Universitas Verlag, Wien 2011, gebunden, 208 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Eruption des Vulkans Eyjafjallajökull: Muth in der Brust / ist beßer als Stahl (Das Lied von Fafnir, Heldensage, Edda)

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