© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Konservierte Vergangenheit
Gedächtnis der Nation: Zeitzeugen im Internet
Henning Hoffgaard

Der Saal der Bundespressekonferenz in Berlin ist zum Bersten gefüllt. Jedes Medium mit Rang und Namen ist vertreten. Auf dem Podium sitzt nicht weniger mediale Prominenz. Allen voran Guido Knopp, ZDF-Redaktionsleiter für „Zeitgeschichte“, und Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Stern-Chefredaktion. Die beiden stellten in der vergangenen Woche ihr interaktives Geschichtsprojekt „Gedächtnis der Nation“ vor.

Mit diesem sollen Zeitzeugenberichte erhalten und der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich gemacht werden. Mehrere hundert zwei- bis achtminütige Interviews sind auf dem Internetportal bereits abrufbar. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Fußball-WM 2006 sind alle wichtigen Ereignisse berücksichtigt. Dazu kommen 41 einstündige Interviews mit sogenannten „Jahrhundertzeugen“ wie Helmut Kohl, Ephraim Kishon oder Hans-Dietrich Genscher. Der Großteil der Aufnahmen stammt aus den Archiven des ZDF, besitzt also einen eingeschränkten Neuigkeitswert.

Der Schwerpunkt liegt derzeit noch auf dem Dritten Reich und dem Holocaust, zu dem in naher Zukunft allein 800 weitere Interviews zugänglich gemacht werden. Daneben sollen auch aktuellere Themen ihren Eingang in das Projekt finden. Etwa die Geschichte der zwei deutschen Staaten nach 1945 und die Zuwanderung in die Bundesrepublik.

Im Mittelpunkt des Gedächtnis der Nation steht die Möglichkeit, selbst Zeitzeugenberichte aufzunehmen und an die Redaktion des Projekts zu senden. Jeder kann teilnehmen, verspricht Knopp. Dennoch wird Jörges nicht müde, gefühlte zwanzigmal darauf hinzuweisen, daß „Tendenziöses“ und „Geschichtsverfälschendes“ nicht veröffentlicht würde. Vier Zensoren sollen nun über den Inhalt wachen und alle eingeschickten Videos überprüfen. Ob sich so wirklich „neue Perspektiven“ für die Geschichtswissenschaft eröffnen, wie es sich der Historiker Sönke Neitzel, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Projektes, erhofft, bleibt erst einmal offen.

www.gedaechtnis-der-nation.de

Foto: Initiatoren Guido Knopp und Hans-Ulrich Jörges

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