© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Partei neuen Typus
Marcus Schmidt

Es läuft für die Piratenpartei. Nach dem sensationellen Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus liegt die Partei in den Umfragen deutschlandweit bei acht Prozent. Das würde den Sprung in den Bundestag und das Ende der rot-grünen Träume auf Bundesebene bedeuten. Mit etwas Phantasie scheint 2013 sogar eine Regierungsbeteiligung der Piraten möglich.

Zeit also, daß sich die Partei endlich auch auf die große bundespolitische Bühne begibt. Doch wer sich in der vergangenen Woche von der Führungsspitze der Piratenpartei beim ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz Antworten etwa zur Euro-Rettung oder zum Krieg in Afghanistan erwartet hatte, der wurde vertröstet. Man habe noch nicht zu allen Themen endgültige Antworten, warb der Bundesvorsitzende der Piraten, Sebastian Nerz, um Verständnis. „Aber im Gegensatz zu den anderen Parteien stehen wir dazu“, sagte das ehemalige CDU-Mitglied. Auf keinen Fall, so versucht die Führungsspitze der Partei mehrfach klarzumachen, hängen diese blinden Flecken im Programm damit zusammen, daß die Piraten eine Ein-Thema-Partei sei. „Wir sind keine Internetpartei, sondern eine Grundrechtspartei“, sagte Nerz.

Überhaupt ist das mit dem Programm der Piratenpartei, die mittlerweile 14.000 Mitglieder hat, so eine Sache. „Wir bieten den Wählern eher ein Betriebssystem als ein Programm“, versucht Geschäftsführerin Marina Weisband den besonderen Charakter der Piraten zu verdeutlichen. Ziel sei es, die Bürger bei der Entwicklung der Programmatik einzubinden. „Liquid Feedback“ lautet hierbei das Zauberwort. So heißt die Benutzeroberfläche im Internet, mit der die Mitglieder untereinander kommunizieren können. Jeder „Pirat“ erhält einen Zugang und kann so online Anträge formulieren und für diese unter den anderen Mitgliedern um Unterstützung werben.

Der Unterschied zu den anderen Parteien ist augenfällig: Bei den Piraten ist jeder antragsberechtigt und darf jeder abstimmen – nicht nur die Delegierten auf den Parteitagen. Mehr Basisdemokratie geht nicht, möchte man meinen. Doch Weisband, eine wortgewandte 24 Jahre alte Psychologiestudentin, ließ durchblicken, daß dieses System nicht nur seine technischen Tücken hat. „Es hindert uns manchmal daran, effizient zu sein.“ Doch man sei bereit, diesen Preis zu zahlen. „Uns sind unsere Ideale wichtiger als Erfolge“, sagte sie. Vielmehr wolle man den Politikstil in Deutschland revolutionieren. Nach Ansicht von Weisband haben die anderen Parteien angesichts der Erfolgswelle, auf der die Piraten derzeit schwimmen, sowieso nur zwei Möglichkeiten: „Entweder bekämpfen sie uns, oder sie übernehmen unsere Mittel.“

Fast etwas mitleidig schauen die Piraten auf die FDP, nicht nur wegen der Umfragewerte. Während die FDP-Euro-Rebellen mühsam Unterschriften gesammelt haben, um einen Mitgliederentscheid zu erzwingen, hätten die Berliner Piraten in derselben Zeit bereits über mehrere Anträge abgestimmt, berichtete stolz der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Andreas Baum.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen