© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Ich-Bewußtsein und Identität
Ausstellung: Gesichter der Renaissance im Berliner Bode-Museum
Fabian Schmidt-Ahmad

Von einfachen, primitiven Formen zu einer immer vollkommeneren Gestalt – so denkt man sich heute Entwicklung. Ein Gedanke narzißtischer Eitelkeit, dünkt sich unsere Gegenwart doch so als die Krone des mit der Neuzeit begonnenen Projekts der Individualisierung. Doch nichts ist falscher als dies – geistige Impulse leuchten am stärksten im Moment ihres Einschlags, nicht ihrer unterirdischen Entfaltung. Den praktischen Beweis liefert die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“, die bis November im Berliner Bode-Museum gezeigt wird.

Gattungsübergreifend sind über hundertfünfzig Porträts der italienischen Frührenaissance auf Gemälden, Zeichnungen, Büsten und Medaillen versammelt worden, die damit den Anspruch des Museumsgründers Wilhelm von Bode entgegenkommen, eine künstlerische Gesamtschau zu präsentieren. Gewaltige Namen der Kunstgeschichte begegnen uns: Leonardo da Vinci, Sandro Botticelli, Donatello, Raffael, Antonio del Pollaiuolo, aber auch die von den Italienern geschätzten Albrecht Dürer, Hans Memling und Rogier van der Weyden, die auf wechselseitige Beeinflussung im europäischen Raum hinweisen.

Über fünfzig Leihgeber aus Europa und Amerika, darunter die Uffizien in Florenz, der Pariser Louvre und die Londoner National Gallery, stellten hochwertige Werke zur Verfügung, welche die Ausstellung unwirklich erscheinen lassen – man begegnet alten Freunden, die man vielleicht noch nie sah, die vielleicht sich selbst nicht mehr gesehen hatten, seitdem sie die Werkstatt verließen.

An der Schwelle zur Neuzeit, zwischen 1430 und 1500, entstanden die meisten Arbeiten. Mit jedem Pinselstrich drücken sie die revolutionäre Veränderung des Menschen zum Ich-Bewußtsein, zur Individualität, aus. Zugleich zeigen sie mit klar artikulierten Bildtypen die feste Einbindung in einen Kontext, eine kulturelle Identität. Prägnant sind die zehn Ausstellungssäle gegliedert in: Anfänge, Florenz, die Medici, die Höfe in Mantua und Ferrara, in Rom, Neapel und Bologna, in Perugia und Urbino, Venedig, dazu ein Exkurs zu deutschen Auftraggebern. Ein Saal ist Mailand gewidmet.

Schon der Auftakt mit Donatellos Büstenreliquiar des heiligen Rossore beeindruckt. Der vergoldete Bronzeguß, zunächst wie eine introvertierte Porträtplastik wirkend, wurde als Reliquienschrein konzipiert. Im Vergleich zu den meist in Marmor oder auch Terrakotta ausgeführten Porträtbüsten wohlhabender Auftraggeber wird der nur kleine Schritt von der sakralen zur profanen Kunst deutlich. Masaccios auf Holz gemaltes Porträt eines Mannes 1426/27 gilt als erstes, eigenständiges Florentiner Porträt.

Als „Ghirlandaios größtes Meisterwerk“ (Roger Fry) gilt das fein empfundene Doppelporträt eines alten Mannes mit Enkel. Nachzudenken scheint der Grauhaarige über die dynastische Fortsetzung seines Geschlechtes. Auffallend ist der ungeschönte Realismus der Darstellung, der weder die Warze auf der Stirn noch die von einem Rosenekzem deformierte Nase verschweigt. Die gekonnte Wiedergabe der Oberflächenstruktur von Samt und Seide demonstriert den Reichtum des Auftraggebers. Den Blick beeindruckt das Schimmern des Lichtes auf Haut und Haaren, die sanften Schatten, welche die Falten der Gewänder werfen.

Während bei den Männerporträts eher Selbstbewußtsein, Energie oder Erfolg ausgedrückt werden, ist es bei Frauen Schönheit und Anmut. Weiße Haut war gefragt, blondes Haar. Von Botticelli sehen wir zwei Profilansichten der Simonetta Vespucci, deren kompliziert frisiertes Haar reich geschmückt ist. Doch Florenz hatte strenge Luxusgesetze, nur ein zur Schutzgöttin verklärtes Ideal der Simonetta wurde gezeigt, die schon mit 23 Jahren an Schwindsucht starb.

Stadtbekannt war die platonische Liebe des Giuliano de Medici zu ihr, der zwei Jahre nach ihr einem Attentat zum Opfer fiel. Er ist gleichfalls mit mehreren Porträts vertreten, die Botticellis künstlerische Entwicklung faßlich machen. Ein regelrechter Kultus wurde um die beiden getrieben, durch das Mäzenatentum der Medicis befeuert.

Im Sinnzusammenhang stehen die einzelnen Kunstgattungen nebeneinander, verweisen auf die gegenseitige Befruchtung der Genres. Zeichnungen dienten der Vorbereitung der Gemälde. Die oft reliefartig behandelten Medaillen, begehrte Sammelobjekte an den Höfen Europas, geben die Auftraggeber differenziert wieder, spielen auf den Rückseiten an auf bestimmte Eigenschaften oder Vorlieben. Medaillen, die ihrerseits Anregungen aus der Antike aufnahmen, inspirierten die populären Profildarstellungen auf den Gemälden, während die Dreiviertelporträts Anregungen der Porträtbüsten aufnahmen.

Mit der ästhetischen Kraft einer neuen Zeit leuchten glühend die Farben oder schimmern kostbar auf schwarzsamtenen Tafeln, die manchmal sogar noch die kostbaren Originalrahmen tragen. Nobel erscheinen die hellen, auf Renaissancearchitektur bezogenen alten Türeinfassungen aus Stuckmarmor inmitten derin Anthrazit gehaltenen Wände. Kunstwerke und der sie umgebende Raum begegnen sich in Harmonie. Raumfluchten mit Sichtachsen auf Meisterwerke leiten und locken.

Am Ende des Rundganges stockt der Atem beim Anblick Cecilia Galleranis, der jungen und gebildeten Geliebten von Ludovico Sforza. Es ist Leonardos berühmtes Meisterwerk, die „Dame mit dem Hermelin“.

Die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ ist bis zum 20. November im Berliner Bode-Museum, Am Kupfergraben 1, täglich von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 22, zu sehen. Telefon: 030 / 2 66 42 42 42. Der Katalog kostet 47,50 Euro www.smb.museum

Foto: Domenico Ghirlandaio, Bildnis eines Greisen mit einem Kind, um etwa 1490: Dynastische Fortsetzung des Geschlechts

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